Enjoy Jazz

Der Jazz ist ein Bastard

  • enjoy jazz angel bat dawid
    Eröffnet Enjoy Jazz – die westafrikanische Kora-Spielerin Sona Jobarteh kombiniert in ihrer Musik afrikanische Tradition und europäische Moderne.
› Im Juli dieses Jahres wäre Joachim-Ernst Berendt, der wahrscheinlich einflussreichste Jazzkritiker und Jazzwegbereiter Deutschlands, 100 Jahre alt geworden. Grund genug, an sein Hauptwerk „Das Jazzbuch“ zu erinnern, in dem er detailgenau die Entwicklung dieser Musik aufdröselt, ihre verschiedenen Einflüsse und Ursprünge herausarbeitet. Im Vorwort einer Neuausgabe des wegweisenden Werks hat Günther Huesmann, einer seiner Nachfolger beim SWR, einmal trefflich auf den Punkt gebracht, worum es geht: „Jazz ist Weltmusik. Er war es von Anfang an — eine musikalische Kunstform, die auf amerikanischem Boden aus der Interaktion der unterschiedlichsten afrikanischen und europäischen Musiktraditionen entstanden ist. Die Geschichten, die uns der Jazz erzählt, sind Mittler und Boten zwischen den Kulturen der Welt. Oft hat man das Gefühl: Jazzmusiker sind in ihren kulturellen Dialogen den Gesellschaften um Jahrzehnte voraus.“

Jazz in all seinen Spielarten und aus allen Ländern

Ein Festival wie Enjoy Jazz bildet nicht nur die verschiedenen kulturellen Traditionen und Dialoge ab, sondern versucht mit seinem Programm zudem eine Sensibilität für kommende Entwicklungen zu erzeugen. Das größte Kompliment, das man Enjoy Jazz machen kann: dass es dem Festival gelingt, Jazz in all seinen Spielarten und aus allen Ländern ein Podium zu geben — und Musikerinnen und Musiker unterschiedlichster Herkunft zusammenzubringen, auf und jenseits der Bühne.
  • enjoy jazz kit sebastian
    London Connection – aus der britischen Metropole kommen unter anderem das Duo Kit Sebastian …
  • enjoy jazz the comet is coming
    … die Jazzfuk-Formation „The Comet is Coming“ …
  • … und die Singer-Songwriterin Rosie Frater-Taylor.
Auch bei der 24. Ausgabe des „Festivals für Jazz und Anderes“ ist dies ein zentrales Anliegen. Jedes Jazz-Festival, das diesen Namen verdient, steht damit auch quer zu engstirnigen Diskursen, die Menschen auf eine bestimmte, ausschließliche Identität festlegen wollen. Jazz zeigt, dass Musik keine Landesgrenzen kennt, dass alle möglichen Genres und Traditionslinien hier zusammenfließen dürfen — und Menschen jeglicher Hautfarbe an diesem Amalgam mittun. Der Jazz ist, so Günther Huesmann, ein „Bastard“. Und nur wenn er es bleibt, darf man von Jazz als auch gesellschaftlich relevanter Musik sprechen.

Zurück zu den Wurzeln

Von daher nimmt uns Enjoy Jazz im Jahr 2022 wieder auf eine Weltreise mit, oder anders gewendet: Die ganze Welt kommt in Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen im Herbst zusammen. Bei keinem einzigen Konzert sollte man mit etwas „Originärem“ rechnen, mit größter Originalität, Neugier und Freude am Verrühren diverser Zutaten allerdings schon. Eine gewichtige Klammer bilden in diesem Jahr afrikanische Künstler*innen. Immerhin haben die meisten musikalischen Elemente des Jazz ihre wesentlichen Wurzeln in Afrika — vom Rhythmus bis zur Melodie.

Das Eröffnungskonzert bestreitet Sona Jobarteh, die erste Kora-Spielerin Westafrikas. In ihrem Zugang zur Musik fließen Vergangenheit und Gegenwart zusammen, afrikanische Tradition und europäische Moderne. Jobarteh wurde in London geboren, entstammt einer Griot-Dynastie und hat nicht nur Komposition, sondern auch Afrikanistik studiert. Mit ihrer Kunst geht sie über das rein Ästhetische hinaus — sie versteht sich selbst als Aktivistin und das Kora-Spiel als emanzipatorischen Akt.
  • enjoy jazz joel ross
    USA Connection –  aus Chicago stammt der gefeierte Vibraphonist Joel Ross, …
  • enjoy jazz sona Jobarteh
  • enjoy jazz melanie charles
    …  aus New York City die Sängerin, Flötistin und Komponistin Melanie Charles …
  • enjoy jazz Makaya McCraven
    … und wiederum aus Chicago der in Paris geborene Schlagzeuger und Produzent Makaya McCraven.
Für die weltweite Anerkennung afrikanischer Musik ist Abdullah Ibrahims Werk nicht zu überschätzen. 1934 in Kapstadt geboren, hat der Pianist mit allen Großen gespielt, auf dem afrikanischen und amerikanischen Kontinent — und ist nun zum wiederholten Mal bei Enjoy Jazz zu Gast. Er ist der Übervater des afrikanischen Jazz. Der Pianist Nduduzo Makhathini, der 2021 in Heidelberg begeisterte, verdankt diesem Ahnen eine Menge. Und dass Makhathini nun als Talentscout und Produzent für das neue Sublabel „Blue Note Africa“ mit an Bord ist, kann als Meilenstein gewertet werden. Erstaunlich nur, wie lange es gedauert hat, die Bedeutung afrikanischer Musik mit dem Ableger eines großen Labels zu würdigen. Nebenbei bemerkt: Enjoy-Jazz-Leiter Rainer Kern hat in seiner Programmarbeit die Wichtigkeit dieser Pulsader des Jazz von Anfang an betont.

Mother Africa

Afrika wird 2022 auch indirekt eine Rolle spielen: Die multiethnische Band Kokoroko, ein Pfeiler der jungen Londoner Szene um die Trompeterin Sheila Maurice-Grey, bezieht sich ausdrücklich auf Afrobeat und Highlife. Ähnliches gilt für das Londoner Balimaya Project (Aufmacherbild), für seed. und das Wau Wau Collectif, allesamt ebenfalls in diesem Jahr zu Gast in der Kulturregion. London ist ein Schmelztiegel, aber es brodelt natürlich auch andernorts: Die griechische Pianistin und Komponistin Tania Giannouli wird als Artist in Residence in verschiedenen Formationen zu erleben sein; aus Norwegen reisen Tord Gustavsen und Jan Garbarek an; aus den USA kommen unter anderem die Klarinettistin Angel Bat Dawid, der Schlagzeuger Makaya McCraven und der Vibraphonist Joel Ross — alle drei inspirierende Newcomer.
  • enjoy jazz petter eldh
    Ausgezeichnet – der schwedische Bassist und aktuelle SWR Jazzpreisträger Petter Eldh …
  • enjoy jazz angel bat dawid
    … sowie die US-amerikanische Sängerin und Klarinettistin Angel Bat Dawid.
Traditioneller Jazz von Melanie Charles steht neben Klangexperimenten John Kameel Farahs, Gitarrist Bill Frisell neben Mandolinist Chris Thile. Der Schweizer Nik Bärtsch — ebenfalls Artist in Residence — gibt sich mehrfach die Ehre, das Tal Gamlieli Trio kommt aus Israel, Chilly Gonzalez aus Berlin, aber eigentlich aus Kanada. Der SWR Jazzpreis wird in diesem Jahr an den schwedischen Bassisten Petter Eldh verliehen. Und zum Abschluss: nochmal eine Legende, der 1959 geborene Sänger, Komponist und Politiker Youssou N’Dour aus dem Senegal, der in seinem Heimatland schon Ende der 70er-Jahre ein Star war und spätestens durch seine Kollaborationen mit Ryuichi Sakamoto, Peter Gabriel, Wyclef Jean und Neneh Cherry zum internationalen Superstar wurde. Hier schließt sich die Klammer: Eine Instrumentalistin mit westafrikanischen Wurzeln eröffnet das 24. Enjoy Jazz Festival, ein westafrikanischer Ausnahmekünstler beschließt es. Aber wenn man eines von all den wunderbaren Musiker*innen, die sechs Wochen lang die Region bereichern werden, lernen kann, dann dies: Herkunft ist eine von vielen Inspirationsquellen, aber nie ein Instrument der Ab- und Ausgrenzung. ‹


Enjoy Jazz — Festival for Jazz and More
02. Oktober bis 12. November 2022
verschiedene Locations in Mannheim, Heidelberg, Ludwigshafen und der Kulturregion
www.enjoyjazz.de
Bildnachweis:
Rob O'Connor (Jobarteh); Munéyuki Sugiyama (Kit Sebastian); Fabrice Bourgelle (The Comet is Coming); Lauren Desberg (Ross); Meredith Traux (Charles); Sulyiman (McCraven)

Enjoy Jazz Festival

Seit seiner Premiere 1999 hat sich Enjoy Jazz zu einem international renommierten Festival und zum größten Jazzfestival Deutschlands entwickelt. Neben Legenden wie Ornette Coleman oder Wayne Shorter präsentiert das „Internationale Festival für Jazz und anderes“ immer auch die Größen der jüngeren Jazzgeneration und spannt den Bogen zu angrenzenden Genres wie Weltmusik, Elektronik, Hip-Hop und Klassik. Komplettiert werden die rund 70 Konzerte durch Workshops, Matineen, Partys und Vorträge.
TerminSO 02. Oktober bis SA 12. November 2022
AdresseEnjoy Jazz GmbH // Bergheimer Straße 153 // 69115 Heidelberg // Tel: 06221 5835850 // E-Mail: info@enjoyjazz.de
SpielorteVerschiedene Orte in und rund um Heidelberg, Mannheim und ­Ludwigshafen
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