Kurpfälzisches Museum

Die Wirklichkeit bin ich

› Die Romantiker waren die Ersten, die Bilder malten, die sie „erträumt“ hatten. Künstler wie der Heidelberger Ernst Fries oder Caspar David Friedrich stellten in ihren Landschaftsbildern eine neue Innerlichkeit dar. Oft gab es für die stimmungsvollen Sujets keine realen Vorlagen mehr, die „Hochgebirgslandschaft“ oder das „Felsenriff am Meeresstrand“ sind Imaginationen. Die Gemälde können sowohl als Spiegelungen als auch als Auslöser von Empfindungen gedacht werden.

Wie sich die Künstler um 1800 bis in die klassische Moderne Schritt für Schritt von der mimetischen Nachahmung der Wirklichkeit abwandten, beschreibt die groß angelegte Ausstellung „Unwirklichkeiten — Das Imaginäre in der Kunst“ im Kurpfälzischen Museum. „Das Innere und die Subjektivierung in der Kunst stehen seit der Romantik im Zentrum des künstlerischen Interesses“, bekräftigt Dagmar Hirschfelder, Leiterin der Gemälde- und Grafik-Abteilung und Kuratorin der Schau. Rund 100 hochkarätige Werke hat sie zusammengetragen — von Caspar David Friedrich und Francisco de Goya, Max Pechstein, Ludwig Kirchner, Edvard Munch, Alfred Kubin, Ernst Wilhelm Nay bis zu Picasso.

Träume und Sehsüchte, Ängste und Obsessionen
Die Heidelberg-Bilder von Carl Rottmann, die „Nebelschwaden“ Caspar David Friedrichs oder „Das Gestade der Vergessenheit“ von Eugen Bracht sind trotz ihrer realistisch wirkenden Oberfläche keine Nachahmungen sichtbarer Erscheinungen. Sie sind Erfindungen, in denen sich Gefühle, Träume und Sehnsüchte, aber auch Ängste und Obsessionen eines Subjekts ausdrücken. Die Landschaft wird zu einem Teil, ja zu einer Konstruktion des Ichs.

Die Beispiele von Ernst Fries bis Emil Nolde zeigen das wesentliche Verdienst der Romantiker: Sie erschaffen eine neue Kunstwelt. Damit nehmen sie der Realität nicht nur ihre spröde Fremdheit, sondern erkunden auch die Innenwelt des Menschen. Zugleich legen sie durch ihr neues Verständnis von Symbol, Mythos, Farbe und Form das Wesen menschlicher Kreativität frei.

Die Präsentation gliedert sich in fünf thematische Bereiche. Gleich zu Beginn zeichnet sie nach, wie Landschaften zu Symbolen wurden. Inszenierte Nebelschwaden, dramatische Wolken mit Reflexen der aufgehenden Sonne, Polareis und Schnee auf schroffen Felsen, Menschen und Häuser in einer unendlichen Natur versinnbildlichen geistige Erfahrungen und individuelle Gemütszustände. Max Pechstein trieb seine Unwirklichkeit 1922 so weit, dass auf seinem Gemälde „Ernte“ die Felder rot leuchten und der Himmel grün schimmert.
  • Max Pechstein lässt auf seinem Gemälde "Ernte" aus dem Jahr 1922 die Felder farbenprächtig leuchten.
Unter dem Motto „Das Innere und Unbewusste“ spannt die Ausstellung in der zweiten Sektion einen Bogen von der Romantik über den Symbolismus und den Einfluss der Psychoanalyse bis zu den Surrealisten. Neue Mythen von klassischen Kämpfen, der Geburt der Venus und ritterlichen Taten steuern unter anderem Werke von Wilhelm Trübner, Lovis Corinth und Giorgio de Chirico bei. In zwei weiteren Abteilungen beleuchtet die Ausstellung die Wirklichkeitszertrümmerung in Expressionismus, Kubismus sowie Futurismus und widmet sich zum Abschluss der Abstraktion.

„Wirklichkeitszertrümmerungen“
Während sich die Fantasien der Symbolisten noch ganz real auf eine Welt außerhalb der Kunst zu beziehen schienen, lösen sich Expressionisten wie Kirchner und Munch mit Verfremdungen und Verschiebungen auch formal von der Wirklichkeit. Ziel ihrer „Wirklichkeitszertrümmerungen“ war es, eine neue, subjektive und zugleich abstrahierende Darstellungsweise zu entwickeln. Farben, Formen und Perspektiven sollten nicht mehr von akademischen Regeln eingeschränkt werden. Im Raum zu Abstraktion und Ungegenständlichkeit sorgt die Konfrontation expressiver Werke von Künstlern wie Ernst Wilhelm Nay oder Joan Miró mit konstruktivistischen Arbeiten von Josef Albers, Friedrich Vordemberge-Gildewart und anderen für einen spannungsreichen Dialog.

Viele der Leihgaben stammen aus großen Häusern wie der Kunsthalle Hamburg oder dem Kunstmuseum Basel, aber auch von zahlreichen privaten Sammlern. Im überhitzten Ausstellungsmarkt war die Zusammenstellung der Schau keine leichte Aufgabe. „Jede Leihgabe ist ein Resultat von langen Gesprächen und Verhandlungen. Es reicht nicht, einen Brief zu schreiben“, erläutert Hirschfelder. Darüber hinaus bietet das Großprojekt dem Kurpfälzischen Museum die Gelegenheit, eigene hochkarätige Bestände, die bislang im Depot schlummerten, zu zeigen. Diese Werke können nun in der Ausstellung entdeckt werden. Zusammen mit all den anderen „Unwirklichkeiten“ laden sie die Besucher ein, in Kunstwelten abzutauchen, die dem Kern des Seins vielleicht so manches Mal näher kommen als jeder Fotorealismus.‹

Unwirklichkeiten — Das Imaginäre in der Kunst von Caspar David Friedrich bis
Picasso

14. Oktober 2018 bis 17. Februar 2019
Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr
Kurpfälzisches Museum, Heidelberg
www.museum-heidelberg.de
Bildnachweis:
Aufmacher: Caspar David Friedrich, „Felsenriff „am Meeresrand, um 1824, bpk/Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Wolfgang Pakoke; Inhalt: Lovis Corinth, „Geburt der Venus“, 1923, Kunstforum, Ostdeutsche Galerie Regensburg, Wolfram Schmidt; Max Pechstein, Ernte, 1922, Slg. Lautenschläger, Foto KMH, (c) Pechstein Hamburg/Tökendorf

Kurpfälzisches Museum

Kunst und Kultur in der Heidelberger Altstadt bietet das Kurpfälzische Museum. Mit seinen vielfältigen Beständen und deren Schwerpunkten Archäologie, Gemälde und Grafiik, Kunsthandwerk und Stadtgeschichte lädt es zu einer faszinierenden Entdeckungsreise ein, von den ersten Siedlungsspuren im Rhein-Neckar-Raum bis zu Werken der Klassischen Moderne von Beckmann, Slevogt und Corinth. Die kostbaren Bestände des Kunsthandwerks — Silber, Porzellan und Möbel — können im historischen Palais Morass bewundert werden, der „Windsheimer Zwölfbotenaltar“ von Tilman Riemenschneider in einer Sonderpräsentation.
AdresseKurpfälzisches Museum // Hauptstraße 97 // 69117 Heidelberg // Telefon: 06221 58–34020 // E-Mail: kurpfaelzischesmuseum@heidelberg.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 10–18 Uhr
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