Reiss-Engelhorn-Museen

"Eine Mumie ist ein faszinierendes Archiv"

Herr Rosendahl, verstehen Sie es, wenn sich jemand vor Mumien fürchtet?
Ein wenig kann ich es schon verstehen. Ein Körper, der in dieser Form konserviert ist, konfrontiert einen mit sehr existenziellen Fragen und vielleicht auch mit dem Umgang mit dem eigenen Körper nach dem Tod. Ich persönlich muss aber sagen, ob ich es mit Knochenfunden oder Mumien zu tun habe, spielt für mich keine Rolle. Ich lege dieselben ethischen Richtlinien an. Als Forscher sind Mumien für mich in erster Linie aber unwahrscheinlich interessant.

Warum?
Eine Mumie ist ein faszinierendes Archiv. Im Gegensatz zu Skeletten sind bei Mumien auch Weichteile erhalten, teilweise sogar noch Organe und Haare. Diese Körper erzählen uns viel über Mensch, Kultur, klimatische Bedingungen auf der einen Seite, und auf der anderen Seite können wir persönliche Schicksale rekonstruieren — seien es Krankheiten oder Gewaltverbrechen. Beispielsweise stellen wir einen Mumienkopf aus dem alten Ägypten aus, eine Leihgabe des Nationalmuseums für Geschichte und Kunst in Luxemburg. Im CT-Scan haben wir entdeckt, dass die Frau an einem Schädeltrauma durch Gewalteinwirkung gestorben ist. Gleichzeitig konnten wir aber auch den Versuch von Heilmaßnahmen nachweisen.

Stichwort Computertomografie.
In der Ausstellung geht es auch viel um die Errungenschaften der Technik und ihre Auswirkungen auf die Forschung … Wir arbeiten hier in Mannheim mit der modernsten und besten Technik. Das ermöglichen uns starke Kooperationspartner wie die Radiologie der Universitätsmedizin Mannheim. Dort bekommen wir einen besonders leistungsfähigen Computertomografen zur Verfügung gestellt. Wir konnten sowohl über die Mannheimer Mumien als auch über Mumien aus dem Bestand anderer Museen ganz neue Erkenntnisse gewinnen. Im Gegensatz zu 2007 hat sich die Bildqualität stark verbessert. In der Ausstellung wird man in speziell eingerichteten Science-Cornern Einblicke in die Forschungsmethoden bekommen. Das ist uns wichtig

Mit wem arbeiten Sie außerhalb Mannheims zusammen?
Zum Beispiel mit der Rechtsmedizin der Uni Bonn und der Molekularpathologie in Bozen. Die Mumienforschung ist sehr interdisziplinär. Radiokarbondatierung, Anthropologie, Genetik, Gesichtsrekonstruktion, Computertomografie oder Forensik spielen eine Rolle. Wir können heute zum Beispiel genau analysieren, wie sich ein Mensch ernährt hat oder ob er Drogen genommen hat.

  • Dieses mumifizierte Sommergoldhähnchen wurde in großer Höhe in einem Kraftwerkskamin gefunden. Ob es dort verunglückte oder es sich um die verloren gegangene Beute eines Raubvogels handelt, bleibt offen.
  • Diese Mumie eines Frettchens wurde auf Teneriffa im Keller einer Hausruine gefunden. Dank des trockenen Milieus ist die lederartige Haut vollständig erhalten. Die Körperbehaarung wurde von Mottenlarven abgefressen.
  • Berühmter Moorleichenfund: Die beiden männlichen Moorleichen wurden 1904 im südlichen Teil des Bourtanger Moors in der Provinz Drenthe, Niederlande, gefunden. Die Radiokarbondatierung offenbarte, dass sie zwischen 40 v. Chr. und 50 n. Chr. in der Eisenzeit gestorben sind. Zunächst wurde angenommen, dass es sich bei einem der beiden Leichname um eine Frau handelt, was zu dem Namen "Paar von Weerdinge" führte.
Und die Mumien reisen dann von Ort zu Ort?
Nein, das ist das Tolle. Ich muss nur ein Haar verschicken und damit können die Kollegen arbeiten. Die Mumien reisen nur in Ausnahmefällen. Wir gehen sehr behutsam mit ihnen um und verändern sie natürlich auch nicht. Wer die Ausstellung besucht, wird feststellen, dass wir eine zurückhaltende, atmosphärisch passende Gestaltung ohne grelle Beleuchtung haben und jede Mumie in einen Erkenntniszusammenhang stellen

Neben rituell und künstlich generierten Mumien gibt es auch Beispiele für natürliche Mumifizierungen. Was erwartet die Besucher?
Zahlreiche Tiere wie Marder, Frettchen oder Schakale. Tiere, die in Höhlen oder auf Dachböden oder in Kellern aufgrund der besonderen klimatischen Bedingungen mumifiziert sind. Besonders schön ist ein exzellent erhaltener Feuersalamander, den man fast für lebendig halten könnte. Außerdem behandeln wir auch das Thema der sagenumwobenen Moorleichen.

Warum ist dies so sagenumwoben?
Die Mumifizierung der Menschen entsteht dort durch den besonderen Chemismus des Moorwassers. Moorleichen geben uns teilweise grausige Einblicke in Opferriten und Hinrichtungspraktiken. Neben bedeutenden echten Moorleichen zeigen wir etwa das gewaltsam getötete Mädchen von Yde als 3D-Druck.

Noch einmal zurück zu den Anfängen. Mannheim ist mittlerweile ein Zentrum für die Mumienforschung weltweit. Alles begann mit einem Zufallsfund …
Genau, die Mannheimer Mumien haben wir tatsächlich beim Aufräumen entdeckt. Anlässlich des Stadtjubiläums mussten wir 2004 das Zeughaus ausräumen, das damals renoviert wurde. Dabei stießen wir auf Kisten ohne Beschriftung. In denen fanden wir 19 Mumien aus Südamerika, Ägypten, Ozeanien und Asien. Sie stammen aus der Sammlung des 1915 verstorbenen Münchner Kunstmalers Gabriel von Max, der ein bedeutender Sammler war.

Also war die Existenz dieser Mumien bekannt?
Ja, in alten Archivunterlagen von Gabriel von Max waren diese verzeichnet. Nach Max’ Tod wurde 1917 seine gesamte Sammlung aufgrund einer bürgerschaftlichen Initiative für das Museum angekauft. Nach dem Zweiten Weltkrieg galten die Mumien jedoch als Kriegsverlust, deshalb hat sie auch niemand mehr gesucht. Wahrscheinlich wurden sie bei einer Evakuierung schnell in irgendeine Kiste gelegt. In der neuen Ausstellung werden unsere Mumien natürlich auch wieder einen großen Raum einnehmen, es gibt aber auch viel Neues zu berichten.

Zum Beispiel?
Faszinierend sind zum Beispiel neue Erkenntnisse zu einer Frauenmumie aus Peru. Auf Röntgenaufnahmen haben wir zwei Gegenstände entdeckt, die sie fest umklammert hält. 2007 wussten wir noch nicht, worum es sich da handelt. Dank des technischen Fortschritts konnten wir Replikate aus dem 3D-Drucker herstellen und erkennen, dass es Milchzähne sind. Diese zeigen wir in der Ausstellung, während die Zähnchen unberührt in den Händen ruhen.

Was hat es damit wohl auf sich?
Das wissen wir nicht, aber selbst heutzutage ist es ja durchaus üblich, dass in Familien die Milchzähne aufbewahrt werden. Das könnte ein Ansatzpunkt sein. Für jede Antwort erhalten wir drei neue Fragen. So ist das in der Mumienforschung, das macht sie so spannend. ‹

MUMIEN — Geheimnisse des Lebens
16. September 2018 bis 31. März 2019
Reiss-Engelhorn-Museen (Museum Zeughaus C5)
Di–So 11–18 Uhr
www.mumien-mannheim.de
Bildnachweis:
Aufmacher: Maria Schumann, © rem; Inhalt: © rem, Foto: Jean Christen (Somergoldhähnchen/Frettchen); © Drents Museum, Assel (Paar von Weerdinge)

Reiss-Engelhorn-Museen

Die Reiss-Engelhorn-Museen sind ein international agierender Museumsverbund mit vier Ausstellungshäusern im Herzen Mannheims. Ihr breites Sammlungsspektrum und ihre Sonderausstellungen vermitteln kulturgeschichtliche Vergangenheit und Gegenwart. Außerdem werden drei Forschungseinrichtungen betrieben. Mit all diesen Aktivitäten haben sich die Reiss-Engelhorn-Museen weit über die Region hinaus einen Namen gemacht.
AdresseReiss-Engelhorn-Museen // Museum Weltkulturen D5 // 68159 Mannheim // Telefon: 0621 2933150 // E-Mail: reiss-engelhorn-museen@​mannheim.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag (auch an Feiertagen) 11–18 Uhr
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