Schlösser und Gärten Hessen

„Es war an einem schönen Juniabend …“

› Im Juni 1873 unternahm Familie Schaefer aus Darmstadt mit dem Zug einen Ausflug in den Odenwald. Ziel der Exkursion war neben Schloss Fürstenau, nahe dem neu erbauten Michelstädter Bahnhof, die Ruine des ehemaligen Klosters Steinbach — beides Orte, die der Profession und Passion des Familienvaters entsprachen: Georg Schaefer war 1869 Gründungsordinarius für das Fach Kunstgeschichte am damaligen Polytechnikum Darmstadt, ab 1877 Technische Hochschule. Zudem setzte er sich als Denkmallobbyist für den Erhalt historischer Bauten ein und er sammelte Kunst.

Vom Redakteur zum Kunsthistoriker

Der Autodidakt hatte seine berufliche Laufbahn 1848 als stellvertretender Redakteur der Frankfurter Oberpostamtszeitung in der Paulskirche begonnen. Es folgten zehn Jahre als Hofmeister des Fürsten zu Hohenzollern-Sigmaringen und danach weitere zehn Jahre als Privatgelehrter in Würzburg und Darmstadt. Der polyglotte Gelehrte hatte sich schon für den diplomatischen Dienst erwärmt, als ihm der großherzoglich-hessische Ministerpräsident, Freiherr von Dalwigk, die Gründungsprofessur für das Fach Kunstgeschichte antrug.

Nun war Schaefer also Kunsthistoriker. Sein wissenschaftliches Debüt hatte er mit einer Arbeit über die Elfenbeine der großherzoglichen Sammlungen zu Darmstadt gegeben — das Echo war verhalten. Aber an einem schönen Juniabend stand er vor der Kirchenruine in Steinbach im Odenwald und machte die Entdeckung seines Lebens.
  • einhardsbasilika schlösser hessen karolinger georg schaefer
    Expedition Heimat – der Darmstädter Kunsthistoriker Georg Schaefer erkannte 1873 als Erster die historische Bedeutung der Einhardsbasilika.
Diese Entdeckung hatte eine Vorgeschichte, denn einige Jahre zuvor hatte Schaefer in Seligenstadt am Main den Abriss der romanisch-barocken Westpartie der alten Klosterkirche erlebt. Sie ging auf Einhard zurück, den Gelehrten und Biografen Kaiser Karls des Großen. Dabei hatte er die Gelegenheit, die ihres Putzes beraubten westlichen Arkadenpfeiler der Basilika zu studieren. Und genau dieses Studium war der Grund dafür, dass Schaefer in Steinbach die typische Bauweise der Karolingerzeit auf Anhieb identifizierte. Begeistert schrieb er von seinen Eindrücken: Als „die untergehende Sonne mit ihren glühenden Strahlen den farbensatten Hochbau übergoss: Überall prächtiges Material aus gebrannter Erde“.

Tochter Agnes formulierte es in ihren Erinnerungen später so: „Vater sah sich die romanische Kirchenruine in Steinbach an, die ihn ganz in Erregung versetzte. Hatte er doch das merkwürdige Bauwerk mit den dicken Mörtellagen zwischen den flachen Ziegeln sofort als aus der Karolingerzeit stammend festgestellt: Kinder, ich glaube, ich habe die verschollene Einhardsbasilika gefunden! Es war so.“

Wirbel in der Kunstwelt

Die Entdeckung Georg Schaefers verursachte einigen Wirbel in der Kunstwelt. Ein spezifisch karolingischer Stil begann sich aus dem Begriff der Romanik oder gar der „Vorgotik“ herauszulösen. Er wurde nicht mehr nur an Form und Erscheinung festgemacht, sondern erstmals auch an konkreten, unumstößlichen kunsttechnologischen Beobachtungen. Schaefer rundete sein Lebenswerk mit der Initiative zur ersten umfassenden Inventarisation von Kunstdenkmälern im Großherzogtum Hessen ab. Er steuerte in den Jahren 1885, 1891 sowie 1898 selbst drei bis heute wertvolle Bände bei.

Befremdlich erscheint uns heute die Verknüpfung dieses karolingischen Stils mit ideologischen Vorstellungen: der Charakter der Karolingerzeit als eine Verschmelzung des Besten aus christlichem und germanischem Kunstsinn — eine Vision ähnlich der Overbeck’schen „Italia und Germania“. ‹


Einhardsbasilika Michelstadt-Steinbach
Schlossstraße 17, 64720 Michelstadt
www.schloesser-hessen.de



Jubiläen in der Einhardsbasilika

Die Einhardsbasilika feiert in diesem Jahr gleich zwei runde Geburtstage: ihre Wiederentdeckung durch Georg Schaefer vor 150 Jahren und dessen 200. Geburtstag. Ein bedeutendes Ereignis, denn die Einhardsbasilika von Michelstadt-Steinbach gehört zu den wenigen erhaltenen repräsentativen Bauten des europäischen Frühmittelalters. 1073, also vor 950 Jahren, gründeten Lorscher Benediktinermönche in dem verlassenen Gotteshaus eine Propstei, die bis zur Reformation bestand. Ein enges Band verbindet den ehrwürdigen Bau im Odenwald daher mit der UNESCO-Welterbstätte Kloster Lorsch. Mit diesen beiden Kulturschätzen sowie der ebenfalls auf eine Gründung Einhards zurückgehenden ehemaligen Benediktinerabtei Seligenstadt finden sich gleich drei bedeutende Denkmale aus dem 8. und 9. Jahrhunderti n der Obhut der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen. Dieser Schatz wird aus Anlass der Jubiläen mit einem spannenden Programm aus Vorträgen und Führungen gewürdigt.
Bildnachweis:
Tuschezeichnung von Carl Bronner, um 1890, Foto: Thomas Neu

Staatliche Schlösser und Gärten Hessen

Das UNESCO-Weltkulturerbe Kloster Lorsch ist das bedeutendste Bauwerk, das die Hessische Schlösserverwaltung in der Metropolregion Rhein-Neckar betreut. Sein Freilichtlabor Lauresham zieht wie auch der romantische Staatspark Fürstenlager in Bensheim-Auerbach Jung und Alt an. Außerdem gehören auch die Burgen Auerbacher Schloss und Hirschhorn zum Einzugsgebiet der Hessen sowie das Erbacher Schloss mit den gräflichen Sammlungen und dem Deutschen Elfenbeinmuseum. Ein weiteres Kleinod ist die Einhardsbasilika in Michelstadt-Steinbach, eines der letzten Beispiele authentisch erhaltener karolingischer Architektur.
AdresseStaatliche Schlösser und Gärten Hessen // Schloss // 61348 Bad Homburg v.d.Höhe // Telefon: 06172 9262-0 // E-Mail: info@schloesser.hessen.de
facebooktwitterg+Mail