› Die Märchen der Brüder Grimm, der Schwarzwald, Kuckucksuhren, Weihnachtsbäume und Räuchermännchen — der deutsche Wald ist ein mythischer Ort und gerade in Nordamerika stellen sich offenbar nicht wenige Menschen unser Land als riesiges Waldgebiet vor, unterbrochen nur von einigen romantischen Flusstälern und natürlich von der sagenumwobenen Autobahn. Nicht nur deswegen, sondern auch aufgrund der offenkundigen Herausforderungen, denen sich Wälder überall auf der Welt ausgesetzt sehen, war es kein Zufall, dass sich das kanadische Künstler*innen-Duo Mia & Eric bei ihrem Performance- und Recherche-Projekt auch des hiesigen Waldes annahm.
Auf Einladung von Matchbox, dem wandernden Kunst- und Kulturprojekt in der Region Rhein-Neckar, erkundeten Mia Rushton und Eric Moschopedis bereits 2020 die Rhein-Neckar-Region und ihre Wälder, pandemiebedingt von ihrer Heimatstadt Calgary aus. Unter dem Titel „3 WOODS“ untersuchten die beiden den Wald und seine lokalen und globalen Verflechtungen in Zeiten des Klimawandels sowie das Verhältnis von Mensch und Natur, und zwar an der Schnittstelle von Handwerk, Performance und Kulturgeografie. Neben zwei Wäldern in der Rhein-Neckar-Region standen noch ein Wald im Norden Norwegens sowie einer nahe der nordenglischen Kleinstadt Gateshead im Fokus des Projekts.In der Region Rhein-Neckar entstand in der ersten Projektphase mit Hilfe lokaler Expert*innen und Bewohner*innen eine erste kollektive, digitale Sammlung an Fakten und Fiktionen zur ökologischen und sozialen Artenvielfalt des Waldes. Mehr als 150 Beiträge spiegelten fotografisch, filmisch, klanglich oder textlich die Wald-Wahrnehmung der Teilnehmenden. Der größte Robinienwald nördlich der AlpenEin Jahr später, im Sommer 2021, widmeten sich Mia & Eric einem ganz besonderen Stück Wald der Region: Der Heidewald im pfälzischen Maxdorf, eine Viertelstunde westlich von Ludwigshafen gelegen, ist der größte Robinienwald nördlich der Alpen. Die Robinie wurde vor etwa 300 Jahren aus Nordamerika nach Mitteleuropa importiert und gehört als invasive Konkurrenz für heimische Bäume zu den umstrittensten Baumarten. Der Akazienhonig der Robinien, die genau genommen „Scheinakazien“ sind, ist allerdings legendär. Für ihn reisen Imker*innen aus ganz Deutschland mit ihren Bienenvölkern an.
Auch in Maxdorf trugen Bewohner*innen sowie regionale Expert*innen aus Ökologie, Forstwirtschaft, Naturschutz, Historie, Landschaftsplanung und Bildung beispielsweise per Videorundgang oder mit selbstverfassten Haikus zu einer kollektiven Wissens- und Materialsammlung bei. Diese wurde unter anderem auf von den Künstler*innen gestalteten Großplakaten und Litfaßsäulen in Maxdorf präsentiert, die das Thema Nachbarschaft von Mensch, Heidewald, Tier und Naturwesen als poetische Appelle in den Alltag der Menschen brachten.„This Planted Place“Im Februar und März dieses Jahres war das Duo dann endlich vor Ort und knüpfte an bestehende Kontakte und Rechercheergebnisse an. Die Künstler*innen komponierten aus den 2021 entstandenen Videoaufnahmen aus dem Heidewald und dem Naturschutzgebiet Silbergrasflur die Installation „This Planted Place“, die zum Abschluss der Residenz im Kommandantenhaus auf dem Dilsberg zu sehen war. Auf drei Bildschirmen zeigte sich ein uns scheinbar vertrauter Ort aus anderer Perspektive und lud dazu ein, unsere Vorstellung von Natur zu überdenken.Der Heidewald — der Titel der Installation weist darauf hin — ist ein menschengemachter Wald. Er ist, wie heutzutage fast alle Wälder, eine von Menschen geplante und genutzte Ressource. Damit verweist das lokale Narrativ des Heidewalds auf eine globale Herausforderung im posthumanistischen Zeitalter: Wenn wir die negativen Auswirkungen menschlichen Handelns auf das Ökosystem unserer Erde beenden wollen, müssen wir unsere Beziehung zur Natur hinterfragen. Kooperation mit Partnern in England und NorwegenTrotz der düsteren Aussichten liegt aber auch Hoffnung in „This Planted Place“. In der Solidarität und im Dialog liegt das Potenzial zur Rettung der Welt. Damit spiegelt die Arbeit gleichzeitig auch die Arbeitsweise von Mia & Eric, die dem sozialen Anteil mindestens ebenso viel Bedeutung beimisst wie dem künstlerischen. „In den Beziehungen liegt die Kunst“, sagen die beiden. In diesem Sinne geht 3 WOODS weiter, das als Kooperation mit Partnern in England und Norwegen getragen wird. In diesem Herbst werden Akteur*innen der Forst- und Waldwirtschaft und ihre emotionale Bindung zu den Wäldern im Mittelpunkt des partizipativen Projekts stehen. ‹Weitere Infos unter:
www.3-woods.com
www.miaanderic.ca
Mia & Eric
Mia Rushton und Eric Moschopedis sind ein interdisziplinäres Künstler*innenduo aus dem kanadischen Calgary. Im Zentrum ihrer künstlerischen Praxis stehen ortsspezifische und partizipative Arbeiten, in denen sie Elemente von Handwerk, Performance und Kulturgeografie miteinander verbinden. Urbane und ländliche Ökologien, soziale Beziehungen sowie ortsbezogene Wissensproduktion sind dabei wesentliche Themen. Die Projekte, Workshops, Künstler*innengespräche und Lectures von Mia & Eric wurden sowohl in Galerien und Bildungseinrichtungen als auch im öffentlichen Raum und bei Festivals in ganz Nordamerika und Europa gezeigt.www.miaanderic.ca
Bildnachweis:
Elisa Berdica (Mia & Eric / Ausstellung); Arthur Bauer (Außenaufnahmen)Matchbox
Initiiert vom Kulturbüro der Metropolregion Rhein-Neckar GmbH zieht Matchbox als wanderndes Kunst- und Kulturprojekt seit 2015 durch Kommunen im ländlichen Raum von Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz. International renommierte Künstler*innen entwickeln vor Ort in Zusammenarbeit mit den Einwohner*-innen Kunstprojekte aller Sparten mit lokalem Bezug. Der künstlerische Prozess, die unmittelbare Teilhabe und das Erleben von Kunst direkt vor der eigenen Haustür stehen im Mittelpunkt dieses interdisziplinären Programms.
AdresseMetropolregion Rhein-Neckar GmbH // Kulturbüro // M 1, 4-5 // 68161 Mannheim // Telefon: 0621 12987-90 // E-Mail: matchbox@m-r-n.com