› „Wir sind Gespenster. 30.000 Stunden Netflix! 30.000 Stunden Nachrichten! Und dann auch noch das, on top.“ So lässt sich verkürzt zusammenfassen, wie sich viele Westeuropäer*innen nach mehreren Lockdowns und dem russischen Angriff auf die Ukraine fühlen. Theaterrevolutionär René Pollesch legt diese desillusionierten Sätze seinem Protagonisten in „Geht es dir gut?“ in den Mund. Es ist ein eineinhalbstündiges Solo von Fabian Hinrichs, einem breiteren Publikum bekannt als Nürnberger Tatort-Kommissar Voss. Das Klagelied balanciert zwischen Ironie und Schmerz und zeigt, was das Unglück dieser Welt selbst in einer vermeintlichen Komfortzone anrichtet. Begleitet wird das Gastspiel der Berliner Volksbühne von Gesang und Tanz: Die Chöre „Afrikan Voices“ und „Bulgarian Voices Berlin“ sowie die Breakdancer der Flying Steps treten auf. „Geht es dir gut?“Der Titel „Geht es dir gut?“ könnte ebenfalls als Motto über dem gesamten Schauspielprogramm der Ludwigshafener Festspiele stehen. „Wie geht es unseren Zuschauerinnen und Zuschauern, wie geht es den Besuchern in Zeiten der Krisen?“, fragt Pfalzbau-Intendant und Festspiel-Kurator Tilman Gersch. Klimaerwärmung, Pandemie, Krieg — oft ist es schwierig, für jedes dieser Probleme die entsprechende künstlerische Antwort zu finden. „Bei unseren Aufführungen sind die Themen der Zeit subtil verarbeitet, aber dennoch spürbar“, so Gersch.
Wie immer legte der Pfalzbau-Chef beim Gastspielprogramm anspruchsvolle Kriterien an: „Mir geht es um hohe künstlerische Qualität, tolle Schauspieler, einen überraschenden Regieansatz oder ein packendes Thema.“ Besonders freut sich Gersch, dass er dem Ludwigshafener Publikum nach mehreren Anläufen nun endlich eine Produktion des im Exil lebenden Russen Kirill Serebrennikow präsentieren kann. Die Bühnenadaption von „Der schwarze Mönch“ (Bild oben), einer Novelle von Anton Tschechow, entstand am Thalia Theater unter erschwerten Bedingungen. Zunächst probte der Regisseur mit dem Hamburger Ensemble online, bis er im Januar 2022 kurz vor den Endproben überraschend aus Moskau ausreisen durfte. In einem multinationalen Ensemble übernehmen drei Schauspieler die Rolle der Tschechow-Figur Kowrin. Sie spielen in Deutsch, Englisch und Russisch den Protagonisten, der von seiner Arbeit an der Universität ausgebrannt ist und zu seinem Ziehvater aufs Land flüchtet. Dort beginnt Kowrin eine Affäre mit dessen Tochter und heiratet sie, glücklich werden die beiden nicht. „Die Sehnsucht nach einem anderen Leben, einer anderen Welt bekommt hier eine kosmische Dimension“, sagt Gersch. Being BeyoncéViele der eingeladenen Gastspiele bewegen sich in Grenzbereichen. Die Übergänge zwischen Schauspiel, Performance und Revue sind fließend. Besonders originell ist „Don’t Worry Be Yoncé“, das Stephanie van Batum am Schauspielhaus Bochum inszeniert hat. Man muss kein Fan von Beyoncé sein, um diese Produktion zu mögen, die unter anderem zum „Radikal jung Festival“ nach München eingeladen wurde. Die Regisseurin entwickelte eine Art Tutorial, wie Frau oder Mann in wenigen Schritten so schön, energiegeladen und stark werden kann wie der Popstar — herausgekommen ist ein Mix aus Schauspiel, Comedy, Konzert und Live-Coaching-Seminar. Ein Teil der Zuschauer*innen sitzt an einem langen Tisch und wird hin und wieder ins Geschehen mit einbezogen. Die Burg zu GastEin weiterer Festspiel-Höhepunkt dürfte „Dorian“ sein, das Düsseldorfer Projekt von Robert Wilson frei nach Oscar Wilde. Weiß geschminkt und mit blauen Kontaktlinsen schlüpft Christian Friedel in die Rollen von Dorian Gray, Oscar Wilde und Francis Bacon. Das Ensemble des Wiener Burgtheaters reist mit Arthur Schnitzlers „Das weite Land“ im Gepäck an. Barbara Frey brachte diese Tragikomödie über eine halt- und orientierungslose Gesellschaft auf die Bühne. Der Pfalzbau-Intendant steuert zum Festspiel-Auftakt zwei eigene Inszenierungen bei. An einem Abend zeigt er die Dramen „Philoktet“ und „Antigone“ von Sophokles, die die Dramaturgin Barbara Wendland in eine kompakte Fassung gegossen hat. Besonders interessant findet Gersch, dass darin zwei Figuren auf ganz unterschiedliche Weise „Nein“ zu gesellschaftlichen Vorgaben sagen. Dabei geht es unter anderem um die Frage, wie man mit seinen Feind*innen umgeht. Insgesamt stehen in diesem Jahr wieder spektakuläre und ungewöhnliche Gastspiele auf dem Festspiel-Programm, die mit ihren Themen und Schauspieler*innen das Publikum begeistern sollen. Gersch ist zuversichtlich: „Bei der Auswahl bin ich mir sicher, dass die Stoffe auf Interesse stoßen.“ ‹
Festspiele Ludwigshafen
12. Oktober bis 16. Dezember 2023
Theater im Pfalzbau, Ludwigshafen
www.theater-im-pfalzbau.de
Festspiele Ludwigshafen
12. Oktober bis 16. Dezember 2023
Theater im Pfalzbau, Ludwigshafen
www.theater-im-pfalzbau.de
Bildnachweis:
Krafft Angerer, Ira PolyarnayaFestspiele Ludwigshafen
Die Festspiele Ludwigshafen sind eine feste Größe im Programm des Theaters im Pfalzbau. Jedes Jahr im Herbst präsentieren sie Schauspiel- und Tanzaufführungen auf höchstem Niveau. Neben einem hochkarätigen Tanzprogramm, das von einem externen Kurator oder einer Kuratorin ausgewählt wird, steht bei den Festspielen auch alljährlich eine renommierte deutschsprachige Bühne im Fokus, die sich mit mehreren Gastspielen in Ludwigshafen präsentiert. So waren in den vergangenen Jahren unter anderem das Wiener Burgtheater, die Münchener Kammerspiele oder das Deutsche Schauspielhaus Hamburg mit ihren Inszenierungen zu Gast.
TerminDO 12. Oktober bis SA 16. Dezember 2023
AdressePfalzbau Bühnen // Berliner Straße 30 // 67059 Ludwigshafen // Kartentelefon: 0621 5042558 // E-Mail: pfalzbau.theaterkasse@ludwigshafen.de
SpielortePfalzbau Bühnen