Heidelberger Stückemarkt

Jenseits von Bullerbü

› Wenn Pippi Langstrumpf Geburtstag hat, feiert sie kräftig ab — mit Riesenkrapfen und Kakao. Dabei setzt sie sich ihre Tasse umgekehrt auf den Kopf, sodass die süße Flüssigkeit an ihren Schläfen herunterrinnt. Kinderbuchautorin Astrid Lindgren hat vor fast 80 Jahren eine ziemlich subversive Heldin geschaffen, die mit den Mädchen damals zugewiesenen Rollen bricht.

Es ist wohl kein Zufall, dass diese Geschichte aus dem liberalen Schweden kommt. Schließlich ist das Land auch das erste, das ein geschlechtsneutrales Personalpronomen in seine Sprache eingeführt hat: „hen“ entstand aus dem männlichen „han“ (er) und dem weiblichen „hon“ (sie). Offenheit für Neues und die Bereitschaft zum Perspektivwechsel sind Grundsätze, die für das schwedische Theater ebenfalls gelten.

Keine Scheu vor heiklen Themen

Gerade das dortige Kinder- und Jugendtheater nimmt seit jeher eine Vorreiterrolle ein. Auf der einen Seite schöpft es aus einem reichen Fundus, zum Beispiel den Klassikern wie Pippi Langstrumpf und den dänischen Märchen von Hans Christian Andersen. Auf der anderen Seite boomt aber auch die Produktion von neuen Stücken für Heranwachsende. Die Autor*innen brechen Tabus und scheuen selbst vor heiklen Themen nicht zurück, ob Scheidung der Eltern, Mobbing, Einsamkeit oder Schulprobleme. Bereits in den 1980er-Jahren entwickelten die Macher*innen über die herkömmliche realistische Spieltradition hinaus ein poetisches Theater.
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    Theater jetzt! Beim Heidelberger Stückemarkt gibt's wieder spannende Entdeckungen wie „Die Katze Eleonore“, eine Inszenierung des Staatsschauspiels Dresden über eine Immobilenmaklerin, die zur Katze mutiert. (Foto: Sebastian Hoppe)
Ebenso bemerkenswert ist, dass das schwedische Kinder- und Jugendtheater keine Generationengrenzen kennt. Die Theatersäle füllen sich nicht nur mit der eigentlichen Zielgruppe. „Die Aufführungen werden genauso selbstverständlich von Erwachsenen besucht“, schwärmt Jürgen Popig, Chefdramaturg am Heidelberger Theater. Ein Protagonist in diesem Bereich, das Backa Teater aus Göteborg, wird beim Stückemarkt ein Gastspiel aufführen. Es spaltete sich in den 1970er-Jahren vom Stadttheater ab und zeigt seine Kinder- und Jugendstücke auch im Abendprogramm, sodass sogar Erwachsene ohne ihren Nachwuchs sie besuchen.

Als weiterer Export aus Schweden ist „Ambulans“ geplant. Das Stück handelt von häuslicher Gewalt und ist eine Kooperation zwischen dem Königlichen Dramatischen Theater, dem Dramaten, in Stockholm und der freien Gruppe „Lumor“. Die Performance-Compagnie wurde von der preisgekrönten Theaterautorin und Regisseurin Paula Stenström Öhman und dem Schauspieler und Regisseur Oskar Thunberg gegründet. Letzterer ist bei uns aus Krimiserien wie „Hanna Svensson“ und „Kommissar Beck“ bekannt.

Theater im Aufbruch

Von den großen Namen der Vergangenheit im schwedischen Film und Theater, wie August Strindberg, Ingmar Bergman und dem erst im vergangenen Jahr verstorbenen Lars Nóren, löst sich die junge Theatergeneration inzwischen ab — auch im Erwachsenenbereich. „Es ist nicht alles grau und trist“, betont die Produktionsleiterin des Heidelberger Stückemarktes Lisa Koenen. Sexuelle Orientierung, Selbstverwirklichung, Darstellung von Körperlichkeit und Körperbildern spielten in den neuen Texten eine immer wichtigere Rolle. Und nicht nur in Schweden: Auch die deutschsprachigen Bewerbungen für den diesjährigen Autor*innenpreis fokussierten sich auf das eigene Ich und die Diversität. „Trotzdem sind einige schwedische Theater hier schon ein bisschen weiter als wir“, glaubt Koenen.

Identitätsfragen müssen nicht zwangsläufig eine ernste Angelegenheit sein, sondern werden teilweise sehr humorvoll behandelt. Im Gastspiel „Die Katze Eleonore“ des Staatsschauspiels Dresden stellt die Hauptfigur, eine Immobilienmaklerin, fest, dass sie eine Katze ist. Sie beginnt nachts zu jagen, ein Fell zu tragen und zieht sich von ihren Mitmenschen zurück.

Mehr Vielfalt und Diversität — diesen Zielen öffnet sich der Heidelberger Stückemarkt in diesem Jahr ganz besonders. So haben Autor*innen die Gelegenheit, für den Wettbewerb Werke einzureichen, die sie nicht auf Deutsch geschrieben haben, die aber übersetzt wurden. Und bunte Partys zum Abtanzen sind ebenfalls geplant. ‹

Heidelberger Stückemarkt
28. April bis 07. Mai 2023
Theater Heidelberg, Zwinger 1 und 3
www.theaterheidelberg.de
Bildnachweis:
Sören Vilks

Heidelberger Stückemarkt

Neben spannenden Produktionen aus einem Gastland Litauen bietet der Heidelberger Stückemarkt aktuelle Inszenierungen aus dem gesamten deutschsprachigen Raum. Eine große Bandbreite an künstlerischen Handschriften, die das zeitgenössische Theater prägen. Neue, noch nicht aufgeführte Theaterstücke, gelesen von Schauspielern des Theaters Heidelberg. Theaterautoren von morgen im Wettbewerb um den Autorenpreis. Künstlergespräche, Publikumsdiskussionen und Partys.
TerminFR 28. April bis SO 07. Mai 2023
AdresseTheater und Orchester Heidelberg // Theaterstraße 10 // 69117 Heidelberg
SpielorteTheater und Orchester Heidelberg
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    Pirsch — Mit der Premiere des Siegerstücks vom vergangenen Jahr startet der Stückemarkt. Ivana Sokola führt darin in das Milieu von Dorf- und Stadtfesten, von Kirmes und Karneval. Marinka kehrt nach Jahren in ihren Heimatort zurück, um sich dafür zu rächen, was ihr hinter Buden und Lichtern angetan wurde.
    28.04.2023, 20 Uhr, Theater HD, Marguerre-Saal
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    Oma Monika – was war? — Monika ist eine liebenswerte Oma. Gemeinsam mit ihrem Enkel löst sie gerne Kreuzworträtsel. Doch immer öfter fallen ihr die Wörter nicht mehr ein und plötzlich verwechselt sie sogar nahe Verwandte. Die Hauptrolle in der Inszenierung des Jungen Ensembles Stuttgart spielt die ehemalige Chefin des Mannheimer Schnawwl, Brigitte Dethier. Bei den Mülheimer Theatertagen erhielt Autor Milan Gather den KinderStückePreis dafür.
    02.05.2023, 11 Uhr, Theater HD, Zwinger 3
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    Adern — Tirol, 1953. Aloisia, eine alleinstehende Mutter, findet durch eine Annonce einen neuen Vater für ihre Tochter. Rudolf arbeitet im Bergwerk und hat ebenfalls eine Kinderschar zu versorgen. In einem Häuschen startet die Patchwork-Familie ein gemeinsames Leben. Die österreichische Autorin Lisa Wentz schildert in der Produktion des Wiener Burgtheaters facettenreich die Nachkriegszeit, als das Radio noch obligatorisch war und der Fernseher nur sporadisch funktionierte.
    03.05.2023, 20.30 Uhr, Theater HD, Marguerre-Saal
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    Wie alles endet — Eine Theatervorstellung endet, wenn sich der Vorhang senkt, aber wie erkennt man das Ende der Welt? Mit viel Humor beschreibt die chilenische Dramatikerin Manuela Infante die drohende Apokalypse: Drei Frauen erwarten den Untergang und bereiten dafür eine Rede vor. Eine Inszenierung des ­Theaters Basel.
    04.05.2023, 18.30 Uhr, Theater HD, Alter Saal
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