Kurpfälzisches Museum

Kinder an den Lenker!

› Welcher Junge träumte in den 1970er-Jahren nicht von einem Bonanzarad? Dass es nicht einfach war, auf dem kuriosen Gefährt mit Geweihlenker zu balancieren — geschenkt! Der Bananensattel auf zwei Rädern hatte Kultstatus. Mittlerweile ist er ein Fall fürs Museum. Ein Exemplar lässt sich jetzt in der Ausstellung „Mobile Kinderwelten“ in Heidelberg bewundern.

Von der Kinderdraisine bis zum Bonanzarad
Das Kurpfälzische Museum zeigt in Kooperation mit dem Deutschen Fahrradmuseum Bad Brückenau rund 80 Vehikel für Kinder und Fotografien davon. Es erzählt damit 150 Jahre Mobilitäts- und Sozialgeschichte. Das älteste Objekt der Ausstellung ist eine Kinderdraisine aus der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, das jüngste die von vielen geliebte Tret-Harley, wie das Bonanzarad auch genannt wurde.
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    Stolzer Besitzer – das Hochrad im Kleinformat war bei wohlhabenden Familien Mitte des 19. Jahrhunderts heiß begehrt …
    (Foto: Fahrradmuseum Bad Brückenau)
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    … schön stillhalten! – Auch wenn es ihm schwer fiel: Für die Atelieraufnahme, die Ende des 19. Jahr-
    hunderts entstand, musste der kleine Junge regungslos auf seinem Dreirad verharren.
    (Foto: Fahrradmuseum Bad Brückenau)
Kuratiert hat das groß angelegte Projekt Dr. Karin Tebbe, die im Kurpfälzischen Museum die Abteilung Kunsthandwerk leitet. Sie weiß, welche emotionale Bindung Kinder zum ersten eigenen Gefährt haben. „Jeder hat eine bleibende Erinnerung daran“, sagt die Ausstellungsmacherin. Egal, ob es sich um einen flotten Roller mit Ballonreifen, ein gemütliches Zweirad mit Stützrädern oder einen drei- bis vierrädrigen Holländer mit Deichsel handelt. Aus diesem Grund hat das Museum einen Aufruf an alle Kollegen gestartet, in den Familienalben nach Aufnahmen zu diesem Thema zu stöbern. Die Fotos aus Kindertagen werden nun auf einem Bildschirm präsentiert.

Spielzeug für die Oberschicht
Darüber hinaus gibt es natürlich jede Menge spektakulärer Gefährte in Echt zu sehen. Neben der wohl einzigen in Deutschland erhaltenen Kinderdraisine sind aus dem 19. Jahrhundert auch Hochräder für den Nachwuchs ausgestellt. Originell sind die bulligen Bobby-Cars oder die Minikutschen, vor die Ziegen gespannt wurden und mit denen die Kleinen durch Parkanlagen paradieren konnten. „Diese Fahrzeuge waren natürlich nur Wohlhabenden vorbehalten“, betont Tebbe. Gleiches trifft übrigens auf die ersten Zweiräder für Erwachsene zu. Sie waren Spielzeug für die Oberschicht und entwickelten sich rasant weiter. Das Laufrad des Freiherrn Karl von Drais, mit dem man nur mühsam vorankam, geriet schnell in Vergessenheit. Denn bereits in den 1860er-Jahren wurde es vom Hochrad mit Tretkurbel abgelöst — eine französische Erfindung, die es bald auch im Kleinformat gab. Damit sausten die Sprösslinge furchtlos über die holprigen Straßen und Wege.

Im Laufe der Zeit stiegen die Zahl und die Varianten der Spielfahrzeuge. Es gab schnittige Dreiräder genauso wie filigran gearbeitete Holzautos. Begünstigt wurde die Mode dadurch, dass man den Kindern von der Mitte des 19. Jahrhunderts an mehr Zeit und Muße zum Spielen zugestand. Mit der Einführung der allgemeinen Schulpflicht und dem Verbot der Kinderarbeit verbesserte sich die Situation der Heranwachsenden. Zuvor war eine unbeschwerte Kindheit in den unteren Schichten ein ferner Wunschtraum. „Wer nicht dem Adel oder Bürgertum angehörte, musste arbeiten und die Familie unterhalten“, beschreibt Tebbe die damalige soziale Lage. Die Fürsorge für das Kind war ein Kennzeichen des Wohlstands.

Statussymbol Dreirad
Den nächsten Höhepunkt erreichte die kindliche Mobilität in den 1950er-Jahren. Die Kleinfamilie etablierte sich als gängiges Lebensmodell und dank des wirtschaftlichen Aufschwungs konnte sie sich auch etwas Luxus leisten. Mit bunten Rollern, fliegenden Holländern oder Dreirädern, die wie Motorräder aussahen, donnerten die Kleinen in der Nachkriegszeit über den Asphalt. „Das didaktische Ziel war es, die Kinder mit dem Spiel auf die Welt der Erwachsenen vorzubereiten“, erklärt Tebbe. Stolz ließ man sich mit dem eigenen Gefährt fotografieren. Mobil zu sein, galt als Statussymbol — sogar bei den Kleinen.

Mit der Schau „Mobile Kinderwelten — Was Kinder schon immer bewegt hat“ blickt das Kurpfälzische Museum nicht nur zurück, sondern schlägt zudem eine Brücke in die Gegenwart. In Zusammenarbeit mit dem Allgemeinen Deutschen Fahrradclub (ADFC) haben die Ausstellungsmacher ein Rahmenprogramm konzipiert. Es wird auch gefragt, welche Rolle das Fahrrad mittlerweile im Leben von Kindern spielt und ob diese durch die Mediennutzung heute nicht mehr digitale als echte Bewegung haben. Interaktive Spiele und Spaß kommen bei dieser Ausstellung ebenfalls nicht zu kurz. Die kleinen Besucher können ein nachgebautes Tretkurbelrad im Foyer oder bei schö-nem Wetter im Museumsgarten ausprobieren. Eine schöne Herausforderung, doch im Vergleich mit den Ziegenkutschen ein Kinderspiel. ‹


Mobile Kinderwelten — Was Kinder schon immer bewegt hat
24. März bis 30. Juni 2019
Kurpfälzisches Museum, Heidelberg
Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr
www.museum-heidelberg.de

In Kooperation mit dem Deutschen Fahrradmuseum in Bad Brückenau
Bildnachweis:
Fahrradmuseum Bad Brückenau

Kurpfälzisches Museum

Kunst und Kultur in der Heidelberger Altstadt bietet das Kurpfälzische Museum. Mit seinen vielfältigen Beständen und deren Schwerpunkten Archäologie, Gemälde und Grafiik, Kunsthandwerk und Stadtgeschichte lädt es zu einer faszinierenden Entdeckungsreise ein, von den ersten Siedlungsspuren im Rhein-Neckar-Raum bis zu Werken der Klassischen Moderne von Beckmann, Slevogt und Corinth. Die kostbaren Bestände des Kunsthandwerks — Silber, Porzellan und Möbel — können im historischen Palais Morass bewundert werden, der „Windsheimer Zwölfbotenaltar“ von Tilman Riemenschneider in einer Sonderpräsentation.
AdresseKurpfälzisches Museum // Hauptstraße 97 // 69117 Heidelberg // Telefon: 06221 58–34020 // E-Mail: kurpfaelzischesmuseum@heidelberg.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 10–18 Uhr
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