Kurpfälzisches Museum

Wir sind dann mal weg ...

> Das Gehen auf dem Zahnfleisch ist anscheinend pure Meditation“, schreibt Hape Kerkeling süffisant in seinem Buch „Ich bin dann mal weg“. Der Entertainer ist wie Abertausende jedes Jahr auf dem berühmten Jakobsweg nach Santiago de Compostela gewandert, und in seinem jetzt auch schon verfilmten Erlebnisepos schildert er, wie er sich unterwegs nicht nur die Schuhsohlen abgelaufen hat. Es war das meist verkaufte Sachbuch der deutschen Nachkriegszeit. Ein Beleg dafür, welche Faszination das Pilgern bis heute ausübt.

Die Urahnen von Hape Kerkeling

Die aktuelle Ausstellung im Kurpfälzischen Museum in Heidelberg widmet den Pilgern eine eigene Sektion. Schon im Mittelalter begaben sich Menschen zu heiligen Orten, meist um Rat oder Ausweg aus einer Krise zu finden, aber manchmal auch aus reiner Abenteuerlust. „Es war damals die gängige Form des Reisens“, erklärt Dr. Karin Tebbe, Kuratorin und Leiterin der Abteilung Kunsthandwerk im Kurpfälzischen Museum. Präsentiert werden in Heidelberg historische Requisiten wie Pilgermuscheln und aus Metall gegossene Abzeichen, die die Wallfahrer erwerben konnten, wenn sie ihr Ziel erreicht hatten. An den Mantel geheftet schützten sie ihren Besitzer, denn somit war klar, dass es sich um keinen der Räuber handelte, die damals in großer Zahl Angst und Schrecken verbreiteten.
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    Nicht ohne ihren Necessairekoffer reiste die Dame von Welt Anfang des 20. Jahrhunderts.
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    Als Kurzentrum Ruhm zu erlangen, davon träumten die Heidelberger Anfang des 20. Jahrhunderts. Doch in den 1950er Jahren versiegte die Radium-Solquelle.
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    Bereits im 19. Jahrhundert brachte man gerne Souvenirs von den Reisen mit wie dieses Andenkenglas.
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    Mit solchen Pilgerzeichen wurden die christlichen Wanderer am Ziel belohnt.
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    Beschwerliche Routen über Berg und Tal: Auch der spanische Pilger auf der Radierung von Johann Adam Klein (1835) scheute keine Mühen.
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    Das herzförmige Wallfahrtsandenken an Altötting stammt aus dem 18. Jahrhundert.
Kaiserin Sissi, Mark Twain und Richard Wagner

Mit rund 170 Exponaten veranschaulicht das Kurpfälzische Museum facettenreich die Geschichte der Mobilität und des Reisens. Fortschritt und Veränderungen werden mit Gemälden und Grafiken dargestellt, aber auch anhand von verschiedensten Reiseutensilien, Souvenirs aus Porzellan, Ansichtskarten, Reiseführern und Werbeplakaten. Immer wieder rückt dabei das viel besuchte Heidelberg in den Mittelpunkt. Vor der Reformation gewährten seine Klöster wandernden Pilgern Unterschlupf. Außerdem war die Universitätsstadt eine Etappe auf der Grand Tour. Seit der Renaissance schickten der Adel und später auch das gehobene Bürgertum die eigenen Sprösslinge zu Bildungszwecken auf eine solche Cavalliersreise. Im 19. Jahrhundert dann blühte Heidelberg als mondäne Destination auf. Ob Kaiserin Sissi, Mark Twain oder Richard Wagner — alles, was Rang und Namen hatte, stieg in den Luxushotels der Stadt ab.

Zum „Must-have“ der Dame von Welt gehörte damals der Necessairekoffer. Die bunten Aufkleber darauf waren prestigeträchtig, kündeten sie doch davon, in welchen Hotels die Besitzerin bereits übernachtet hatte. Ein besonders schönes Exemplar, das um das Jahr 1920 gefertigt wurde, ist im Eingangsbereich der Ausstellung zu sehen. Mit edlem roten Leder ausgeschlagen, befinden sich darin Toilettenutensilien wie Dosen und Flaschen für Zahnpflege, Seife, Parfum oder Puder und Bürsten für Haar und Kleider. Die Aufkleber auf der Außenseite dokumentieren die Reiseziele: Nobelherbergen in Bozen, Triest, Meran, Lugano, Dubrovnik und vielen anderen Orten.

Die Deutschen im Reisefieber

Nach dem Zweiten Weltkrieg brach bei den Deutschen ein regelrechtes Reisefieber aus. Auch dieses wachsende Fernweh in den 50er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts thematisiert Ausstellungsmacherin Tebbe und hat dafür eine echte Isetta im Museum geparkt. Mit diesem Zwitter, halb Auto, halb Motorrad, und ähnlichen Gefährten kroch eine ganze Generation über den Brenner ins Sehnsuchtsland Italien. „Die Isetta ist ein Sinnbild für die aufkommende individuelle Mobilität jener Zeit“, betont die Kuratorin.
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    Spaß und Spiel gehören zu einem entspannten Urlaub – das war schon immer so. Das Ansichtskartenspiel entstand um 1900.
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    Welcome to Heidelberg: Schon 1920 warb Heidelberg mit seiner romantischen Schlosskulisse, um Besucher aus Großbritannien anzulocken.
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    Das Faltdiorama erzählt von der ersten deutschen Eisenbahn. Sie verkehrte 1835 zwischen Nürnberg und Fürth.
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    Der Schwarzwald als Holzklötzchenbausatz: Mit Bergen und Walmdach-Gemütlichkeit gilt der Südwesten seit jeher als beliebtes Wanderziel.
Immer wieder kehrt die Schau zu jenen zurück, die sich von Abenteuerlust und den eigenen Beinen tragen ließen. Aus der Romantik erwuchs eine leidenschaftliche Naturbegeisterung, die mit einer neuen Wanderlust einherging: Mit wenig Geld in der Tasche, aber winterfester Kleidung, Stock und Schirm erkundeten etwa die Maler die Welt. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts dann entstand die Wandervogel-Bewegung. Ähnlich wie beim „Work and Travel“ heutzutage bot sich damit für Schüler und Studenten die Chance, günstig durch die Lande zu ziehen.

Eine überlebensgroße Kuckucksuhr des zeitgenössischen Künstlers Stefan Strumbel bildet den Abschluss der Schau. „Sie steht für die süddeutsche Heimat des Künstlers und ist sowohl Reise- als auch Heimatandenken“, erläutert Tebbe. Gerade als Letzteres steht die Uhr für ein wesentliches Element des Reisens, das häufig übersehen wird: Zu einer Reise gehört auch, dass die Reisenden am Ende wieder zu ihrem Ausgangspunkt zurückkehren. Ansonsten sind sie nicht auf Reisen, sondern auf der Flucht. <

Reiselust. Vom Pilger zum Pauschaltourist
06. März bis 12. Juni 2016
Kurpfälzisches Museum, Heidelberg

Kurpfälzisches Museum

Kunst und Kultur in der Heidelberger Altstadt bietet das Kurpfälzische Museum. Mit seinen vielfältigen Beständen und deren Schwerpunkten Archäologie, Gemälde und Grafiik, Kunsthandwerk und Stadtgeschichte lädt es zu einer faszinierenden Entdeckungsreise ein, von den ersten Siedlungsspuren im Rhein-Neckar-Raum bis zu Werken der Klassischen Moderne von Beckmann, Slevogt und Corinth. Die kostbaren Bestände des Kunsthandwerks — Silber, Porzellan und Möbel — können im historischen Palais Morass bewundert werden, der „Windsheimer Zwölfbotenaltar“ von Tilman Riemenschneider in einer Sonderpräsentation.
AdresseKurpfälzisches Museum // Hauptstraße 97 // 69117 Heidelberg // Telefon: 06221 58–34020 // E-Mail: kurpfaelzischesmuseum@heidelberg.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 10–18 Uhr
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