Kunsthalle Mannheim

Leinwand und Fließband

› „Es bleibt bis zur letzten Minute spannend“, verkündet Ulrike Lorenz, Direktorin der Kunsthalle Mannheim. Erst wenn sich die Tore zur Ausstellung „Konstruktion der Welt. Kunst und Ökonomie“ am 11. Oktober öffnen, alle rund 250 Leihgaben sicher gelandet sind und an ihrem Platz positioniert wurden, ist Zeit zum Durchatmen. Mehr als zwei Jahre Vorbereitung für die erste Themenausstellung im Neubau, einem wahren Mammutprojekt, sind dann ins Land gegangen. Realisiert wird die Schau von einem Team um das Kuratoren-Trio Ulrike Lorenz und Sebastian Baden seitens der Kunsthalle sowie den Berliner Kunsthistoriker Eckhart Gillen. „So etwas gab es in dieser Größenordnung hier noch nicht: Wir bespielen über 2.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche“, berichtet Lorenz. Auf diesem großzügigen Raum geht die Schau der Wechselwirkung zwischen Kunst und Wirtschaft am Beispiel der Großmächte USA, Sowjetunion und Weimarer Republik in der Zeit von 1919 bis 1939 nach — und spannt gleichzeitig in einem zweiten Ausstellungsteil, der die Jahre 2008 bis 2018 behandelt, einen Bogen zu zeitgenössischen Positionen.

Veränderungen und Umbrüche
„Kunst und Ökonomie ist ein wichtiges Thema, das uns alle betrifft und zugleich charakteristisch ist für das, was wir uns programmatisch vorgenommen haben“, erklärt Lorenz. „Die Geschichte der Wirtschaft und Technik im 20. Jahrhundert, die produktionstechnischen Veränderungen und gesellschaftlichen Umbrüche sind gerade auch für Mannheim als Industriestadt prägende Momente. Das Thema ist prädestiniert für diese Stadt.“

Dabei blickt die Ausstellung weit über die Grenzen Mannheims hinaus. Im historischen Part werden allein 220 Werke von 130 Künstlern gezeigt. Viele davon sind wertvolle Leihgaben. Um die Ausstellung vorzubereiten, waren die Kuratoren in den USA und in Russland unterwegs. „Ausgangspunkt war die Beobachtung, dass sich trotz der diametralen politischen Entwicklungen in der Sowjetunion, den USA und auch der Weimarer Republik in der Zeit zwischen den Weltkriegen ähnliche Entwicklungen in der Kunst vollzogen haben“, erklärt die Museumsdirektorin.

Fundstücke aus dem Mittleren Westen
Um diesem Thema gerecht zu werden, bedeutete dies vor allem für die USA, auch in die ländlichsten Gegenden zu reisen. Neben dem technikzentrierten Präzisionismus, ebenfalls in der Schau abgebildet, gab es mit dem Regionalismus eine Gegenbewegung in der Kunst: „Wir waren allein im Mittleren Westen in 15 Städten. Vor allem für Werke des Regionalismus, in denen das Landleben das Sujet ist, mussten wir auch kleine abgelegene Museen besuchen“, berichtet Lorenz. Zahlreiche Rückschläge — viele Werke dürfen aufgrund ihres Zustandes nicht mehr reisen oder waren schlichtweg zu teuer –, aber auch große Hartnäckigkeit prägten diese Dienstreise: „Das Ölgemälde ‚Rich Man, Poor Man‘ des Künstlers Jack Levine aus dem Jahr 1938 haben wir zunächst vergebens gesucht. Es ist nicht sehr bekannt, aber in unserer Ausstellung schließt es eine Lücke und ist ein wichtiger Kommentar zu den enormen Klassenunterschieden“, erinnert sich die Kunsthistorikerin. „Dann sind wir durch Zufall durch einen New Yorker Sammler auf seine Spur gekommen und können es nun tatsächlich zeigen.“ Auf der russischen Seite gestaltete sich der Besuch einfacher: „Eckhart Gillen hatte wertvolle Kontakte geknüpft und fungierte als Türöffner. Die Tretjakow-Galerie in Moskau ist unser bedeutendster Partner, wir bekommen durch sie exquisite Leihgaben, ebenso aus der Berliner Nationalgalerie.“
  • Pathos und Technik. Alexander Deinekas „Beim Bau neuer Werkhallen“ greift bereits 1926 die Sujets des Sozialistischen Realismus auf.
  • George Grosz fängt in seinem Werk "Grauer Tag" das Großstadtleben der 20er Jahre zwischen Industrieboom und Kriegsversertheit ein.
  • Der Kölner Maler Franz Wilhelm Seiwert beschäftigt sich mit dem Mensch und sozialen Fragen unter dem Einfluss marxistischer Theorien, wie hier in seinem Werk "Diskussion" aus dem Jahr 1926.
  • In der Ausstellung werden auch zeitgenössische Positionen zum Thema "Kunst und Ökonomie" verhandelt. Antonio Vega Macotela setzt sich in seiner Installation „The Chisel and the Sinkhole“ mit dem Nachwirken kolonialer Strukturen bis in die Gegenwart auseinander.
Zu diesen Leihgaben zählt etwa George Grosz‘ berühmter „Grauer Tag“ aus dem Jahr 1921, ein typisches Werk der „Neuen Sachlichkeit“: Die rauchenden grauen Schlote der Fabriken beherrschen nicht nur den Alltag der Arbeiter, sondern schleichen sich auch in die Kunst. Ebenso verhält es sich in den USA und in der Sowjetunion: Man kehrt zurück zur Gegenständlichkeit und holt die Lebenswirklichkeit ins Bild. In drei Abschnitten zeigt die Ausstellung die Auswirkung der Fließbandarbeit und Massenindustrie auf die Kunst, beschreibt Tendenzen zur Rückkehr zu Themen wie Natur, Landwirtschaft, Familie und reicht hin bis zu den düsteren Vorboten des Zweiten Weltkrieges. Mit dabei sind Werke von Charles Sheeler, Alexander Deineka und Otto Dix.

Bitcoins, Roboter und Kolonialismus
Der zeitgenössische Ausstellungsteil startet mit der Finanzkrise und ihren Ursprüngen rund ums Millennium. „Wir haben gezielt Positionen gesucht, die kritisch Stellung beziehen“, erklärt Kurator Sebastian Baden. Dies reicht von der Auseinandersetzung mit dem Nachwirken kolonialer Strukturen in die Gegenwart, wie sie etwa der Mexikaner Antonio Vega Macotela betreibt, bis zur Beschäftigung mit Bitcoins beim Neuseeländer Simon Denny oder mit Robotern zur Grenzüberwachung in dem Projekt EPKOT. „Im Gegensatz zum ersten Ausstellungsteil können wir uns nicht auf drei Nationen beschränken. Das ist symptomatisch für unsere globalisierte Zeit“, erläutert Baden. Außerdem erwarten die Besucher einige Überraschungen, wie etwa die ehemalige Zahnklinik vom Konversionsgelände „Franklin“, die vor der Kunsthalle installiert ist. „Sie wird von der temporären Arbeitsgemeinschaft Volume V performativ bespielt, zudem wird Abraham Cruzvillegas im Februar mit verschiedenen Aktionen in der Kunsthalle und auch im Stadtraum unterwegs sein.“

Der Aufbau dieser und anderer Werke ist die große Herausforderung für den zeitgenössischen Teil. Indes reisen für den historischen Ausstellungsteil nun nach und nach die kostbaren Leihgaben in Begleitung ihrer Leihgeber in hochmodernen Klimakisten an. Viel zu tun bis zum Startschuss der Ausstellung. Und wie es Kunsthallen-Chefin Ulrike Lorenz ausdrückt: Es bleibt spannend. ‹

Konstruktion der Welt: Kunst und Ökonomie — 1919–1939 und 2008–2018
12. Oktober 2018 bis 03. Februar 2019,
Eröffnung: 11. Oktober 2018, 19 Uhr
Kunsthalle Mannheim, Neubau
Dienstag bis Sonntag & Feiertag 10–18 Uhr, Mittwoch 10–20 Uhr, freier Eintritt jeweils am ersten Mittwoch im Monat 18–22 Uhr
www.kuma.art
Bildnachweis:
Aufmacher: Carl Grossberg, Entwurf für Industrielandschaft, 1934. Harvard Art Museums/Busch-Reisinger Museum, Foto: Galerie Michael Hasenclever, München; Inhalt: Franz ­Wilhelm Seiwert, „Diskussion“, 1926, Kunstmuseum Bonn, Foto: Reni Hansen; George Grosz, „Grauer Tag“, 1921, Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin © Estate of George Grosz, Princeton, N.J./ VG Bild-Kunst, Bonn 2018, bpk/ Nationalgalerie, Staatliche Museen zu Berlin/Jörg P. Anders; Lester T. Beall, „Light. Rural Electrification Administration“, 1937, Plakat, support Collection Merrill C. Berman © VG Bild-Kunst, Bonn 2018; José Antonio Vega Macotela: The Chisel and the Sinkhole (Der Meißel und der Stollen), 2016-2017, Collection Pérez Art Museum Miami

Kunsthalle Mannheim

Die Kunsthalle Mannheim zählt mit ihren Spitzenwerken von Edouard Manet bis Francis Bacon und ihrem Skulpturenschwerpunkt zu den renommiertesten Sammlungen von deutscher und internationaler Kunst der Moderne und der Gegenwart. Hochkarätige Sonderschauen internationaler zeitgenössischer Kunst vervollständigen das Ausstellungsprogramm. Gezeigt werden sie im Kerngebäude, dem imposanten, frisch sanierten Jugendstilbau von Hermann Billing aus dem Jahre 1907. Bis 2017 entsteht außerdem ein zukunftsweisender Neubau, der die Ausstellungsfläche um rund 1.300 Quadratmetern erweitert.
AdresseKunsthalle Mannheim // Friedrichplatz 4 // 68165 Mannheim // Tel. 0621 293 6413 // kunsthalle@mannheim.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 10–18 Uhr, Mittwoch 10–20 Uhr, 1. Mittwoch im Monat 18-22 Uhr (freier Eintritt)
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