Kurpfälzisches Museum

Mythos Montmartre

› Paris, im 19. Jahrhundert: Überall kleben dekorative Plakate — an Litfaßsäulen, Häuserwänden und Bauzäunen der sich schnell verändernden Metropole. Sie werben für die Tänzerinnen, Diseusen, Clowns und Chansonniers vom Montmartre. Bald avancieren die sogenannten Trottoir-Fresken zum wichtigsten Reklamemittel der Zeit. Einer, der diese Kunst revolutioniert, ist der Südfranzose Henri de Toulouse-Lautrec. Der kleinwüchsige und kränkelnde Spross eines Adelsgeschlechts fühlt sich zeitlebens als Außenseiter, aber mitten unter den Freigeistern, den trinkfreudigen Kollegen, Tänzerinnen des Cabarets und den Animierdamen vom Montmartre findet er ein neues Zuhause. Die Unterhaltungskünstler*innen und Prostituierten werden zum Hauptmotiv seiner Kunst und seiner Plakate.

Über Nacht berühmt

Die Ausstellung „La Bohème — Toulouse-Lautrec und die Meister vom Montmartre“ im Kurpfälzischen Museum lässt den berühmten Mythos des Pariser Stadtviertels wieder aufleben. Im Mittelpunkt stehen die Lithografien, mit denen Toulouse-Lautrec für die Veranstaltungen des Nachtlebens wirbt und die ihn zu einem der Vorreiter der Reklameindustrie machen. „Es ist interessant, wie innovativ er war und wie deutlich er sich von seinen Zeitgenossen unterschied“, sagt Dr. Karin Tebbe, stellvertretende Direktorin des Kurpfälzischen Museums.

Mit den Anschlägen des großformatigen Plakates „La Goulue“ wird der 27 Jahre alte Toulouse-Lautrec 1891 über Nacht berühmt. Darauf abgebildet ist der von gelben Lampen erleuchtete Saal des Moulin Rouge mit der Tänzerin La Goulue. Diese schleudert ihre Beine beim Cancan in die Luft, dazu flattern ihre bauschigen Röcke. Das Motiv plant Toulouse-Lautrec akribisch: Er entwirft Aquarelle und tüftelt an mehreren pastellierten Skizzen, bevor das endgültige Plakat entsteht.
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    Voilà! Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die Lithografien von Henri de Toulouse-Lautrec, mit denen er die Protgaonist*innen des Pariser Nachtlebens wie den Sänger, Komödianten, Schriftsteller und Nachtclubbbesitzer Aristide Bruant porträtierte …
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    … oder Werbung für eine Revue im Moulin Rouge oder …
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    … für den Roman "La reine de joie" von Victor Joze gestaltete.
Die Werbung erregt sofort Aufsehen und begründet einen ganz neuen Plakatstil. Durch die flächige Reduktion und die wenigen Farbakzente entfacht das Motiv von „La Goulue“ seine Wirkung auch von der Ferne. Die roten und schwarzen Buchstaben variieren in Größe und Stärke und bilden eine Einheit mit dem Bild. Seiner Mutter schreibt der Künstler stolz: „Mein Plakat ist heute auf die Mauern von Paris geklebt worden, und ich werde bald ein neues machen.“

Zu diesem Zeitpunkt hat er noch keine Ahnung, welchen Weltruf er eines Tages erlangen wird. Heute zieren Toulouse-Lautrecs emblematische Motive nicht nur Poster, sondern auch Geschirr, Anstecknadeln, Wandspiegel oder Schals. Dabei wird aus einem riesigen Schatz geschöpft: Denn in seiner kurzen Schaffensperiode bis zu seinem Tod 1901 gestaltet der Künstler zahlreiche Reklameplakate. Stars des Cabarets wie Aristide Bruant oder Jane Avril macht er mit seinen Farblithografien unsterblich. Das ist den Künstler*innen schon zu Lebzeiten klar. „Unzweifelhaft verdanke ich ihm meinen Ruhm“, sagt etwa Avril auf Toulouse-Lautrec angesprochen. Zwei Jahre vor seinem Tod porträtiert er die Tänzerin noch einmal in seinem wohl letzten Werk: mit einer Schlange, die sich spiralförmig um ihren Körper windet. Immer wieder dokumentiert Toulouse-Lautrec das vitale Treiben im Viertel der Bohème — die schönen Frauen im Lichterglanz und die berauschten Freier. Dabei spart er nicht mit Humor und Ironie. „Elitäre Leute, die sich in dieser Gegenwelt amüsieren wollten, hat er karikierend dargestellt“, sagt Tebbe.

Blick in eine vergangene Glitzerwelt

Die Heidelberger Schau mit Leihgaben aus dem Musée d’Ixelles in Brüssel teilt sich in sechs Abschnitte. Neben der Welt des Chansons und Cancans präsentiert sie auch das Theater und seine in Schwarz-Weiß-Lithografien dargestellten Stars, Illustrationen für Buchcover und Zeitschriften und Plakate, mit denen Gebrauchsgegenstände wie Glühbirnen, Schokolade oder Champagner angepriesen werden. Die Arbeiten von Toulouse-Lautrec lassen sich zudem mit denen von Zeitgenossen vergleichen, etwa mit denen der tschechischen Jugendstil-Größe Alfons Mucha oder dem schweizerisch-französischen Bildhauer, Maler und Illustrator Eugène Grasset. Flankiert werden die Kunstwerke von Mode und Möbeln aus der Jugendstil-Zeit. Die Bandbreite reicht von eleganten Damenpumps und Federboas bis hin zu einer bronzenen Tänzerin von Ferdinand Lepcke. Auf diese vergangene Glitzerwelt lässt sich in Heidelberg mit dem respektvollen Blick von Toulouse-Lautrec schauen. Er machte seine Modelle nicht zu Objekten, sondern zeigte, was sie für ihn waren — liebenswerte Menschen und Freund*innen. ‹

La Bohème — Toulouse-Lautrec und die Meister vom Montmartre
05. März bis 11. Juni 2023
Kurpfälzisches Museum Heidelberg
www.museum.heidelberg.de
Bildnachweis:
Henri de Toulouse-Lautrec, Jane Avril, 1899 (Aufmacher); alle Abbildungen: photo © Musée d'Ixelles-Bruxelles / Courtesy of Institut für Kulturaustausch, Tübingen

Kurpfälzisches Museum

Kunst und Kultur in der Heidelberger Altstadt bietet das Kurpfälzische Museum. Mit seinen vielfältigen Beständen und deren Schwerpunkten Archäologie, Gemälde und Grafiik, Kunsthandwerk und Stadtgeschichte lädt es zu einer faszinierenden Entdeckungsreise ein, von den ersten Siedlungsspuren im Rhein-Neckar-Raum bis zu Werken der Klassischen Moderne von Beckmann, Slevogt und Corinth. Die kostbaren Bestände des Kunsthandwerks — Silber, Porzellan und Möbel — können im historischen Palais Morass bewundert werden, der „Windsheimer Zwölfbotenaltar“ von Tilman Riemenschneider in einer Sonderpräsentation.
AdresseKurpfälzisches Museum // Hauptstraße 97 // 69117 Heidelberg // Telefon: 06221 58–34020 // E-Mail: kurpfaelzischesmuseum@heidelberg.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 10–18 Uhr
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