Nibelungen-Festspiele

„Ich möchte ein Zeichen gegen den Verfall setzen“

> Herr Calis, Ihre Mutter ist jüdischer Abstammung, ihr Vater Armenier. Sie selbst sind in Bielefeld geboren und haben ihre Identität einmal als cocktailhaft bezeichnet. Was reizt Sie am deutschen Heldenepos?

Der Nibelungenstoff ist eine der größten Erzählungen in Deutschland. Ich habe schon sehr früh Theater gemacht, da war der Nibelungenstoff auch immer ein Thema und dann natürlich auch die Frage, wie das jemand erzählt, der von außen kommt. Es war eine Frage der Zeit, wann ich das machen würde. Was ich besonders mag, ist, dass ich das jetzt gerade an dem Ort umsetzen kann, an dem dieser Mythos gelebt wird.

Albert Ostermaiers „Gold. Der Film der Nibelungen“ handelt von einem Produzenten, der einen Film über die Nibelungen drehen will. Spielt die Sage dabei noch eine Rolle?

Das Fundament bleibt der Nibelungenstoff. In Ostermaiers „Gold“ treffen sich die Akteure zum Dreh des Königinnenstreits vor dem Dom. Dabei greifen die Konflikte der Nibelungen in die Lebenswirklichkeit der Akteure über, aus den Nibelungen-Urgründen wird ein Krieg erzeugt. Der Stoff wirkt wie ein Katalysator und setzt bei allen, die an diesem Abend vor Originalkulisse drehen wollen, etwas frei. Für einen Regisseur ist es interessant, die Leute so aufeinandertreffen zu lassen.

Verbinden Sie filmische und Theaterelemente in Ihrer Inszenierung?

Ich arbeite mit Livekamera und einer riesigen Erzähl-Leinwand. Ich möchte so aus den Schauspielern mehr Intensität, mehr Potenzial herausholen. Ich folge ihnen in den Dom und überall hin — sie kommen aus dieser Geschichte einfach nicht heraus! Durch das Arbeiten mit Video möchte ich alle Zuschauer — auch die auf den hinteren Plätzen — hineinziehen und den Schauspielern auf die Pelle rücken. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Geschehen auf der Bühne und auf der Leinwand ist — glaube ich — für die Zuschauer zumutbar. Durch Irritation wird man tiefer in die Geschichte hineingezogen.

Warum ist der Nibelungenstoff immer noch aktuell?

Wir leben in zutiefst unsicheren Zeiten und diese Entwicklungen beeinflussen uns schon heute. Wenn die Jugendzentren, Bibliotheken, Schwimmbäder oder die Schule geschlossen werden, dann muss sich die Gesellschaft nicht wundern, wenn die Jugendlichen sich radikalisieren. Ein Leben ohne Vision, ohne Utopie führt zum Terror. Ich möchte mit meiner Arbeit ein Zeichen gegen den Verfall setzen, indem ich die Gescheiterten in meine Arbeit einbinde. Damit meine ich nicht nur die allgegenwärtige Flüchtlingsproblematik, zu der wir sicher auch Stellung beziehen sollten. Allerdings müssen wir Künstler uns davor hüten, uns über die Flüchtlingsproblematik zu profilieren. So tun wir den Flüchtlingen und auch der Debatte keinen Gefallen. <


> Mehr zu den Nibelungen-Festspielen erfahren Sie in der Ausgabe 2/2016 des KULTURMAGAZINS, die Anfang Juni erscheint.

Nibelungen-Festspiele

Seit 2002 finden die Nibelungen-Festspiele jährlich im Sommer als Open-Air-Theaterereignis vor dem Dom statt. Die Festspiele erreichen jährlich ein großes Publikum und bescheren der Stadt am Rhein eine hohe Aufmerksamkeit. Aber nicht nur die Aufführungen vor der Domkulisse machen die Festspiele zu einem einmaligen Kulturereignis: Auch das hochwertige Rahmenprogramm sowie der Heylshofpark, der zu Deutschlands schönsten Theaterfoyers zählt, lockt jedes Mal zahlreiche Besucher.
TerminFR 15. bis SO 31. Juli 2016
AdresseNibelungen-Festspiele Worms // Von-Steuben-Straße 5 // 67549 Worms
SpielorteKaiserdom, Worms
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