› Doris Noell-Rumpeltes kennt die Sammlung Prinzhorn ganz genau. Schon seit vier Jahrzehnten begeistert sich die Kunsthistorikerin dafür und arbeitet seit 2003 im Museum, in dem Werke von Psychiatriepatienten eine Heimat gefunden haben. Heute leitet sie das Hans-Prinzhorn-Archiv und kümmert sich dort um alle Dokumente, die das Leben und Werk des Psychiaters und Gründers der Sammlung betreffen. Für die Ausstellung hat sie unter anderem Arbeiten von Hans Wühr (siehe Titelbild) ausgewählt. „Er ist ein Seismograf der Kunst von den 1950er- bis in die 1970er-Jahre“, erklärt Noell-Rumpeltes. Sarkastisch und fantasievoll sind die Werke und erinnern teils an die märchenhafte Kunst des Orients,seinerzeit ein beliebtes Reiseziel der Hippies.Reisen, Drogen, PsychiatrieHans Wühr, der 1942 geboren wurde und sich 1981 das Leben nahm, gehörte dieser Generation an. Nach der Waldorfschule begann er Kunst zu studieren und versuchte dann, nach einem Jahr an der Wiener Akademie, in Paris als freier Künstler Fuß zu fassen. Es folgten Reisen nach Marokko, Drogenkonsum und Aufenthalte in der Psychiatrie. Die Prinzhorn-Archivarin haben anfangs besonders das Selbstporträt und die Fotografien berührt. „Er ist ein typischer Twen der 1960er-Jahre, ein junger Mann mit Jeans und Lederjacke, der offen in die Welt geblickt hat.“ Wührs Werke gehören zum neuen Teil der Sammlung. Denn das Konvolut besteht nicht nur aus dem historischen Vermächtnis des Kunsthistorikers und Psychiaters, sondern wächst Jahr für Jahr. Allein 2016 wurden 117 Neuzugänge verzeichnet.
Zu den jüngeren Jahrgängen zählt auch M. St., dessen Zeichnungen (siehe Abbildungen) der Museumsassistent Torsten Kappenberg ausgesucht hat: „Ich habe ihn anonymisiert, weil ich nicht weiß, ob er mit dieser Ausstellung seiner Werke einverstanden ist.“ Die comicartige Kunst stammt aus dem Fundus eines Hamburger Psychiaters, der Drogenabhängige therapierte. M. St., so viel ist bekannt, hat in der libertären Zeit der 60er- und 70er-Jahre ebenfalls mit Drogen experimentiert. Von rauschhaften Erlebnissen erzählen seine Motive: fliegende Untertassen, Raumschiffe und das hinduistische Milchmeer. 1977 entwickelte er zwei Titel des noch heute erscheinenden Magazins für Phantastik „Exodus“ und sorgte mit einer Finanzspritze dafür, dass es überleben konnte. Danach verliert sich die Spur des Zeichners. Ein Prophet der modernen Luftfahrt?Auch Heinrich Schäfer, der zweite Künstler, den Kappenberg präsentiert, bewegt sich zwischen Fantasie und Realität. Von 1919 bis 1920 saß der Erdarbeiter wegen versuchter Brandstiftung in der Anstalt Eickelborn ein. „Die Anstaltsakte klassifiziert ihn als ‚unzulänglich veranlagt‘“, erläutert Kappenberg. Er verlegte den Eiffelturm an die deutsche Grenze und hatte auch sonst krude Vorstellungen von Geografie. Andererseits fantasierte er sich in einer seiner Zeichnungen als König der Lüfte in ein Passagierflugzeug hinein. Ein regulärer Passagierflug startete erst in den 1920er-Jahren, sodass Schäfer fast als ein Prophet der modernen Luftfahrt erscheint. Insgesamt 160 Werke, vielfältig, eigensinnig, visionär und mit besonderen Geschichten, sind in der Ausstellung versammelt — ein sehr persönlicher Blick auf 100 Jahre Outsider Art. ‹Das Team als Kurator — Neues und Unbekanntes aus der Sammlung Prinzhorn
bis 15. April 2018
Dienstag bis Sonntag 11–17 Uhr, Mittwoch 11–20 Uhr
Sammlung Prinzhorn, Heidelberg
www.sammlung-prinzhorn.de
Fotonachweise
Preview/Slider: Hans Wühr, ohne Titel, 1920, Sammlung Prinzhorn; Aufmacher: M. St., „The Hill of Meru“, 1976, Sammlung Prinzhorn
bis 15. April 2018
Dienstag bis Sonntag 11–17 Uhr, Mittwoch 11–20 Uhr
Sammlung Prinzhorn, Heidelberg
www.sammlung-prinzhorn.de
Fotonachweise
Preview/Slider: Hans Wühr, ohne Titel, 1920, Sammlung Prinzhorn; Aufmacher: M. St., „The Hill of Meru“, 1976, Sammlung Prinzhorn
Sammlung Prinzhorn
Die Sammlung Prinzhorn ist ein Museum für Kunst von Menschen mit psychischen Ausnahme-Erfahrungen. Ihr bekannter historischer Bestand umfasst rund 6.000 Zeichnungen, Aquarelle, Gemälde, Skulpturen, Textilien und Texte, die Insassen psychiatrischer Anstalten zwischen 1840 und 1945 geschaffen haben. Dieser weltweit einzigartige Fundus wurde zum größten Teil von dem Kunsthistoriker und Psychiater Hans Prinzhorn (1886–1933) während seiner Zeit als Assistenzarzt an der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg zusammengetragen. Seit 1980 wächst die Sammlung weiter (der neuere Bestand umfasst ca. 16.000 Werke). Das Museum zeigt jährlich drei bis vier thematische Ausstellungen und möchte damit zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankung beitragen. Als Teil des Universitätsklinikums Heidelberg ist das Haus auch eine wissenschaftliche Einrichtung, die das Schicksal der Künstler und Künstlerinnen, ihre Werke und übergeordnete Fragestellungen erforscht. Zu den bekanntesten KünstlerInnen der Sammlung zählen Harald Bender, Else Blankenhorn, Franz Karl Bühler, Paul Goesch, Emma Hauck, August Natterer und Adolf Wölfli.
AdresseSammlung Prinzhorn
// Klinik für Allgemeine Psychiatrie // Universitätsklinik Heidelberg
// Voßstraße 2
// 69115 Heidelberg
// Besucherinformation: 06221 / 56-47 39 // E-Mail: prinzhorn@uni-heidelberg.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 11–17 Uhr, Mittwoch 11–20 Uhr, an geöffneten Feiertagen bis 17 Uhr
In den Umbauzeiten zwischen den Ausstellungen ist das Museum geschlossen!