Biennale für aktuelle Fotografie

Ich sehe was, was du nicht siehst

› „Forscher zeigen erstmals Foto von einem schwarzen Loch.“ So lauteten im April die Schlagzeilen der Nachrichten und die ganze Welt schaute gebannt auf das etwas unscharfe Bild eines schwarzen Kreises, umgeben von einem feurigen Glutring. Das Teleskopbild zeigt alles und nichts. Was man hier sieht, ist ein Bild, das durch die virtuelle Synchronisation mehrerer Radioteleskope überall auf der Welt zu einem einzigen, großen Beobachtungsinstrument mit einem Durchmesser von 8.000 Kilometern entstand. Es handelt sich genau genommen also nicht um ein einziges originäres Foto, sondern um die Kombination mehrerer Bilder zu einem. Aber ist dieses Bild dann nichts weiter als eine Interpretation auf Basis von Messungen und Daten wie schon alle zuvor existierenden Simulationen? Was sagt das über den Objektivitätscharakter der Fotografie aus? Und wann ist ein fotografisches Bild eigentlich wissenschaftlich?

Spannende Begegnungen

Diese Fragen sind Ausgangspunkt der interdisziplinären Dialogreihe „Fotografie & Wissenschaft“, die im Vorfeld und begleitend zur nächsten Biennale für aktuelle Fotografie vom 16. Januar bis 16. April 2020 in Kooperation mit dem Institut für Europäische Kunstgeschichte der Universität Heidelberg und dem Deutsch-Amerikanischen Institut in Heidelberg stattfindet. Ein Vertreter oder eine Vertreterin aus den Bereichen Fotografie und Wissenschaft treffen jeweils aufeinander und kommen über Felder wie Astronomie, Medizin, Kulturwissenschaft, Medienwissenschaft oder Wirtschaftswissenschaft ins Gespräch.

Mit dabei sind unter anderem der niederländische Fotograf und Filmregisseur Anton Corbijn und die Fotografin Herlinde Koelbl. Die fotografischen Arbeiten der Künstlerinnen und Künstler bilden dabei die Diskussionsgrundlage. Was sieht beispielsweise Prof. Dr. Joachim Wambsganß, Direktor des Zentrums für Astronomie der Universität Heidelberg, in den fotografischen Aufnahmen des an der Sonne vorbeiziehenden Planeten Venus in Simon Starlings filmisch-dokumentarischer Arbeit „Black Drop“? Bewertet er die Bilder anders, weil sie im Feld der Kunst angesiedelt sind? Und sind diese klar zu unterscheiden von Bildern, die im Kontext naturwissenschaftlicher Forschung entstehen?
  • Sonne und Venus – Simon Starling erzählt in der Arbeit „Black Drop“ anhand des seltenen Phänomens des Venustransits von den Wechselwirkungen zwischen Wissenschaft und Fotografie.
Aus der Unsichtbarkeit in die Sichtbarkeit

„Nein“, sagt Christoph Blaas, stellvertretender Geschäftsführer der Biennale für aktuelle Fotografie, denn Wissen werde nicht nur durch Natur- und Geisteswissenschaften, sondern auch durch Kunst und Fotografie produziert. In beiden Fällen gehe es darum, Erkenntnisse zu gewinnen und Phänomene aus der Unsichtbarkeit in die Sichtbarkeit zu rücken, sei es durch abstrakte Formeln, Daten oder eben Bilder. Sehr eindrucksvoll ist dies an Andrea Diefenbachs Aufnahmen zur hohen HIV-Rate in der ukrainischen Stadt Odessa zu sehen. Die unsichtbaren Symptome der Krankheit, insbesondere auch das trotz medizinischen Fortschritts immer noch existierende Leid und die Stigmatisierung der Erkrankten, werden hier auf sensible Weise verbildlicht.

Andererseits haben Fotografien, die zu wissenschaftlichen Zwecken entstehen, nicht selten eine ästhetisch-künstlerische Wirkung. Oft folgen diese Bilder auch Konventionen und ästhetischen Gesichtspunkten, wie sie in der Kunst gängig sind, um sie verständlich zu machen. „Nur wenn wir die Fotografie von verschiedenen Standpunkten aus betrachten und den interdisziplinären Austausch fördern, können wir deren Bedeutung als allgegenwärtiges Medium in unserer Zeit verstehen“, so Blaas.

War die letzte Biennale mit dem Titel „Farewell Photography“ bereits ein symbolischer Abschied von der Fotografie, wie sie bisher wahrgenommen wurde, so ist die Veranstaltungsreihe ein weiterer Versuch, die sich ständig wandelnden Formen des Mediums zu erkunden. Die Dialogreihe bildet den Auftakt für ein neues Format, das die Fotografie aus unterschiedlichen Perspektiven theoretisch denkt und die Ausstellungen der Biennale auch künftig begleiten wird. ‹

Reihe „Fotografie und Wissenschaft“
16. Januar bis 16. April 2020
jeweils donnerstags, 18–20 Uhr
Universität Heidelberg (Neue Aula, Psychologie), DAI
biennalefotografie.de
Bildnachweis:
Andrea Diefenbach: Natascha Aids in Odessa (Aufmacher), Simon Starling. Black Drop

Biennale für aktuelle Fotografie

Die Biennale für aktuelle Fotografie findet alle zwei Jahre in den wichtigsten Ausstellungshäusern der drei Städte Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg statt. Gezeigt werden Themenausstellungen von international renommierten GastkuratorInnen. Knapp 4000 Quadratmeter Ausstellungsfläche bietet Platz für eine vielfältige Betrachtung aktueller fotografischer Positionen und schafft den Rahmen, über ein Medium nachzudenken, das unsere Gesellschaft prägt wie kaum ein anderes.
TerminSA 29. Februar bis SO 26. April 2020
AdresseBiennale für aktuelle Fotografie e.V. // E 4,6 // 68159 Mannheim // E-Mail: info@biennalefotografie.de
SpielorteLudwigshafen: Wilhelm-Hack-Museum, Kunstverein // Mannheim: Forum Internationale Photographie (FIP) & ZEPHYR, Port25 – Raum für Gegenwartskunst, Kunsthalle // Heidelberg: Kunstverein
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