› Trockenheit und Schädlingsbefall lassen weltweit Baumbestände schrumpfen. Es sind die spürbaren Folgen des Klimawandels, die ganze Wälder in karge Mondlandschaften verwandeln. Der Künstler Andreas Greiner (*1979) hat diese Orte besucht und dokumentiert. Mit tausenden Bildern, die er in einer digitalen Datenbank archiviert hat, füttert Greiner für sein Werk „Jungle Memory“ eine Künstliche Intelligenz. Diese errechnet daraus einen vermeintlich unberührten Wald, eine immerwährend grüne Lunge. Zu sehen sind die virtuellen Waldwelten ab April 2023 in der Mannheimer Kunsthalle im Rahmen der Ausstellung „1,5 GRAD. Verflechtungen von Leben, Kosmos, Technik“. Ebenfalls mit dabei sind die gehäkelten Korallenriffe der australischen Schwestern Margaret und Christine Wertheim. „Das Crochet Coral Reef“ ist das größte Kunst- und Wissenschaftsprojekt der Welt, das auf das Verschwinden lebender Riffe aufmerksam macht, zugleich aber auch die kreative Kraft kollektiven Handelns betont. Denn für das „Baden-Baden Satellite Reef“ haben Menschen von überallher nach Anleitung der Künstlerinnen gehäkelt und so ein Riff für die Kunsthalle Baden-Baden geformt, das in Mannheim in Auszügen zu sehen sein wird. Die düstere Zustandsbeschreibung der globalen Erderwärmung und das aktive hoffnungsvolle Tun sind für beide Kunstwerke symptomatisch, eine Polarität, die auch in vielen weiteren Arbeiten mitschwingt, die in der Kunsthalle für die Sonderschau in Kooperation mit der BUGA 23 versammelt sind.
Der Titel bezieht sich auf das Klimaziel der Vereinten Nationen, auf das sich 197 Staaten auf der UN-Klimakonferenz in Paris 2015 einigten und das vorsieht, den globalen Temperaturanstieg auf 1,5 Grad Celsius zu begrenzen. Ein Vorhaben, das, nach heutigem Stand, aber von keinem der großen Industrieländer erreicht wird und nach jüngsten Forschungserkenntnissen wohl gar nicht mehr zu halten sein wird. „Es ist diese politische Wirkungslosigkeit im Kampf gegen den Klimawandel, die natürlich auch viele Künstler*innen und ihr Schaffen beeinflusst“, erklärt Kunsthallen-Direktor Johan Holten, der die Schau zusammen mit Anja Heitzer, Sebastian Schneider und Pia Goebel kuratiert hat. „Die künstlerischen Positionen geben Impulse, um uns und unsere Stellung im Verbund mit Umwelt, Ressourcen und Politik neu zu betrachten.“ Dabei kommen viele zeitgenössische Werke, aber auch historische künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Themenfeld Natur etwa von Caspar David Friedrich oder Edvard Munch zum Tragen. „Ausgehend von einer kritischen Beschäftigung mit dem, was war und ist, möchte die Ausstellung dazu anregen, das, was kommt, ökologisch bewusster, innovativer und kreativer zu gestalten.“ Das partizipative Rahmenprogramm bietet für diese Anregung einen Rahmen. Im „Grünen Zimmer“ sind die Besucher*innen dazu eingeladen, über die sozialen, ökonomischen und kulturellen Zusammenhänge der Klimakrise nachzudenken und gemeinsam zu diskutieren. Das „Grüne Zimmer“ wird in einer Konferenz sowie in Werkstattgesprächen, Mitmachaktionen, Kreativ-Workshops, Musikproben, Spaziergängen und regionalen Frühstückstafeln die globalen und lokalen Zusammenhänge ökologischer Eigenverantwortung zur Sprache bringen und lokale Akteur*innen miteinander vernetzen.
Auch räumlich wird diese vielschichtige Sonderschau über sich hinauswachsen und die ganze Kunsthalle bespielen. Dabei erstrecken sich die Exponate über alle Ebenen des Neubaus, finden aber ebenso Eingang in die Ausstellungsräume des Jugendstilgebäudes. Dort eröffnet ab Mai auch eine Grafikausstellung zum Thema „Insekten“. Als Partner der BUGA 23 geht die „1,5 Grad“-Schau zudem über die Museumsgrenzen hinaus: Die Künstler Olaf Holzapfel und Fabian Knecht realisieren auf dem Spinelli-Gelände der Bundesgartenschau begehbare, ortsspezifische Installationen. Das Publikum ist auch hier zum Mitmachen eingeladen und soll dazu angeregt werden, kritisch zu überdenken, wie sich der Mensch zu der ihn umgebenden Natur ins Verhältnis setzt. Allemal wird die Ausstellung zum Gradmesser gegenwärtiger Stimmungen, Strömungen und Ideen, bei denen es um nichts Geringeres geht als um die Rettung unseres Planeten. ‹1,5 GRAD. Verflechtungen von Leben, Kosmos, Technik
Kunsthalle Mannheim, 07. April bis 08. Oktober 2023, www.kuma.art
Kunsthalle Mannheim, 07. April bis 08. Oktober 2023, www.kuma.art
Bildnachweis:
Fabian Knecht, Isolation (Rasenstück),2015, Courtesy Studio Fabian Knecht & alexander levy, Berlin © Fabian Knecht,VG Bild-Kunst, Bonn 2022; melanie bonajo, Night Soil – Nocturnal Gardening, 2016, Videostill, Courtesy melanie bonajo & AKINCI, AmsterdamKunsthalle Mannheim
Die Kunsthalle Mannheim zählt mit ihren Spitzenwerken von Edouard Manet bis Francis Bacon und ihrem Skulpturenschwerpunkt zu den renommiertesten Sammlungen von deutscher und internationaler Kunst der Moderne und der Gegenwart. Hochkarätige Sonderschauen internationaler zeitgenössischer Kunst vervollständigen das Ausstellungsprogramm. Gezeigt werden sie im Kerngebäude, dem imposanten, frisch sanierten Jugendstilbau von Hermann Billing aus dem Jahre 1907. Bis 2017 entsteht außerdem ein zukunftsweisender Neubau, der die Ausstellungsfläche um rund 1.300 Quadratmetern erweitert.
TerminFR 07. April bis SO 08. Oktober 2023
AdresseKunsthalle Mannheim // Friedrichplatz 4 // 68165 Mannheim // Tel. 0621 293 6413 // kunsthalle@mannheim.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 10–18 Uhr, Mittwoch 10–20 Uhr, 1. Mittwoch im Monat 18-22 Uhr (freier Eintritt)
Infoskuma.art