Nibelungen-Festspiele

„Brünhild hat die größte tragische Fallhöhe“

› Erinnern Sie sich an Ihre allererste Begegnung mit dem Nibelungenstoff?
Ich glaube, das war an verregneten Sonntagnachmittagen im Fernsehen. Wahnsinnig aufwendige Kostümschinken. In dieses Märchen-Mittelalter konnte ich mich als Kind gut reinversetzen. Dann natürlich in der Schule mit eher mäßigem Interesse meinerseits. Ich hab mich früh schon für Gegenwartsliteratur interessiert und weniger fürs alte Fach. Ich kann mich aber erinnern, dass meine Freundin sich im Studium eingehender mit dem Nibelungenlied beschäftigt hat und wir damals extra in St. Gallen Halt gemacht haben, um in die Bibliothek zu gehen. Leider war an dem Tag bei den Handschriften aber der Parzival aufgeschlagen.

Was war das Besondere, als Sie sich jetzt wieder mit dem Nibelungenlied befasst haben?
Ich fand es spannend, mich im Zuge meiner Recherchen dem Nibelungenlied nochmal ganz anders zu nähern, erstmal die Originaltexte zu lesen und zu merken, dass es nur peripher mit der Geschichte zu tun hat, die ich kannte. Szenen, die den Kern der modernen Rezeption ausmachen, wie die Tötung des Drachen, sind da eher Randnotizen, während die von den Germanist*innen so gehassten Schneiderstrophen weit mehr Raum einnehmen. Dieser Fokus auf das Stoffliche, auf die Oberfläche, das Ornament hat mich interessiert.

In Ihrem Stück rücken weder Siegfried noch Hagen in den Mittelpunkt, sondern Kriemhild und Brünhild. Was gefällt Ihnen an den beiden mittelalterlichen Frauenfiguren?
Dazu muss man sagen, dass auch im Original die wahren Protagonistinnen die Frauen sind. Wenn es im Vergleich zu anderen Epen dieser Zeit ein Alleinstellungsmerkmal des Nibelungenliedes gibt, dann dass die Frauen handlungsentscheidend sind. Eigentlich müsste man von einem Heldinnenepos sprechen. Das hat mich interessiert an diesem Stoff und darin sah ich das meiste Entwicklungspotenzial für eine heutige Lesart. Gerade Brünhild, als jemand, die nur gedemütigt wird, weil sie eine starke selbstbestimmte Frau ist, hat wohl die größte tragische Fallhöhe.

Andererseits wird ihr Streit mit Kriemhild oft als Zickenkrieg bezeichnet. Lassen Sie die Auseinandersetzung ebenfalls eskalieren?
Mich hat die Frage interessiert: Was wäre, wenn sich die beiden Königinnen vor dem Wormser Dom nicht in einem lächerlichen Eifersuchtsstreit in die Haare gekriegt hätten? Sondern sich selbstbewusst gegen die Männerbünde am Hof gestellt hätten. Natürlich ist der Konflikt der beiden eine logische Konsequenz der feudalen Herrschaftsstrukturen der höfischen Gesellschaft, in der sie leben. Es sind aber auch gerade diese gesellschaftlichen Normen, die sie immer wieder um ihre Macht bringen.

Ihre Dramen gelten als skurril und bitterböse. Geht Ihr Nibelungenstück auch in diese Richtung?
Ich versuche, in meinen Texten fürs Theater immer wieder bittere Erkenntnis in Humor zu verpacken, weil ich glaube, dass Humor eines der besten Werkzeuge ist, etwas zu verstehen. Gerade dort, wo wir auch über unsere eigenen Fehler lachen können, wo wir über unsere existenziellen Sorgen lachen, wird es für mich interessant. Nicht umsonst funktioniert nahe am Abgrund der Witz am besten. Und es ist auch eine gute Strategie, um das Publikum reinzuholen. Wie bei meinem ersten Stück „am beispiel der butter“, das sich im Kern um diesen gelben Patzen Fett dreht, den wir alle in unserem Kühlschrank haben. An diesem Lebensmittel lassen sich aber auch alle Fragen unserer postmodernen Entfremdung verhandeln. ‹

Nibelungen-Festspiele — hildensaga. ein königinnendrama
15. bis 31. Juli 2022
Bühne am Wormser Dom
www.nibelungenfestspiele.de
Bildnachweis:
Theresa Bitzan

Nibelungen-Festspiele

Seit 2002 finden die Nibelungen-Festspiele jährlich im Sommer als Open-Air-Theaterereignis vor dem Dom statt. Die Festspiele erreichen jährlich ein großes Publikum und bescheren der Stadt am Rhein eine hohe Aufmerksamkeit. Aber nicht nur die Aufführungen vor der Domkulisse machen die Festspiele zu einem einmaligen Kulturereignis: Auch das hochwertige Rahmenprogramm sowie der Heylshofpark, der zu Deutschlands schönsten Theaterfoyers zählt, lockt jedes Mal zahlreiche Besucher.
TerminFR 15. bis SO 31. Juli 2022
AdresseNibelungen-Festspiele Worms // Von-Steuben-Straße 5 // 67549 Worms
SpielorteKaiserdom, Worms
facebooktwitterg+Mail