› „Vor vielen Jahren, als im Spessart die Wege noch schlecht und nicht so häufig als jetzt befahren waren, zogen zwei junge Burschen durch diesen Wald. Der eine schritt wacker vorwärts. Aber Felix, der Goldarbeiter, sah sich oft ängstlich um.“ So beginnt Wilhelm Hauffs Erzählung vom Wirtshaus im Spessart. Die Vorahnungen des jungen Goldschmieds erweisen sich als nur zu berechtigt. Die beiden Gesellen finden sich in einer Schenke wieder, die einer Räuberbande als Hauptquartier dient. Und sie müssen waghalsige Abenteuer bestehen — nicht bloß um ihr eigenes Leben zu retten, sondern auch das der geheimnisvollen Gräfin, die von den Räubern entführt worden ist. Und sie schrecken dabei vor nichts zurück — auch nicht davor, sich als Frauen zu verkleiden."Lang lebe die deutsche Romantik!"Der Brite George Isherwood hat diese Erzählung fürs Theater bearbeitet. Erstmals kam seine Fassung vom „Wirtshaus im Spessart“ 1994 als Freilichttheaterstück heraus. Sie verbindet die Rahmenerzählung Hauffs mit den Märchen, die darin erzählt werden: „Saids Schicksale“ und „Die Höhle von Steenfoll“. Inzwischen ist der Autor, der in London Theater studierte, dann als Clown arbeitete und 1976 die Straßentheatergruppe „Sheer Madness“ gründete, 70 Jahre alt. Seine Theaterstücke und Adaptionen inszenierte er an vielen deutschsprachigen Bühnen, unter anderem in Bochum, Saarbrücken und Wien. Die Heidelberger Inszenierung liegt ihm aber besonders am Herzen: „Ich freue mich schon darauf, die Inszenierung in diesem wunderbaren alten Schloss zu erleben. Lang lebe die deutsche Romantik! Hals- und Beinbruch!“Eine großartige UtopieHinter dessen zerklüfteten Fassaden werden im Sommer fahrende Gesellen und feine Damen von einer Räuberbande belagert. Sie müssen um ihr Leben fürchten und verfallen dabei auf die Idee, einander Geschichten zu erzählen. Beim bloßen Erzählen bleibt es nicht, sie spielen sich die Geschichten gegenseitig vor. Erzählen und Theaterspielen als lebensrettende Maßnahmen, das ist die großartige Utopie von Wilhelm Hauff und gleichzeitig eine Therapie, die man in unruhigen Zeiten allen empfehlen kann. „Das Tolle am Wirtshaus im Spessart ist, dass in der scheinbar kleinen Geschichte die ganze Welt drinsteckt, zumindest der Nahe Osten, die schottischen Höhlen, die Welt der Träume und die Welt der Realität“, findet Bühnenbildner Martin Fischer. Regie führt Thomas Goritzki, der in Heidelberg bereits Yasmina Rezas Erfolgskomödie „Kunst“ erfolgreich auf die Bühne gebracht hat. „An Wilhelm Hauff begeistert mich die abenteuerliche Art, wie der Autor überbordend erzählt“, berichtet Goritzki. „Erzählstränge schießen auf die Bühne wie Lava aus dem aktiven Vulkan. Vergangenes mischt sich mit Gegenwärtigem, Bruchstücke fügen sich wundersam zu großen Bildern, ebenso wie die Bruchstücke des Heidelberger Schlosses sich in den Augen des Besuchers zu einem imposanten Schloss zusammenfügen.“ Die Ruine des Schlosses erzähle, so Goritzki weiter, seine bewegte Geschichte genauso, wie „Wilhelm Hauff seine Geschichte des Wirtshauses im Spessart erzählt“. Die Märchen und das GeldWie heißt es bei Wilhelm Hauff? „Lustig oder ernsthaft, wahr oder erdacht, ich für meinen Teil will, wenn einer eine schöne Geschichte erzählt oder singt, die ganze Nacht wach bleiben.“ Als der Schriftsteller 1827 starb, war er noch keine 25 Jahre alt. Diese knappe Lebenszeit nutzte er aber unglaublich effizient: Sein literarisches Werk füllt in der ersten Gesamtausgabe 36 Bände. Die populärsten seiner Werke sind bis heute die drei Märchen-Almanache geblieben. Im dritten Zyklus, dem „Wirtshaus im Spessart“, stellt er sich — im Unterschied zu den beiden anderen Almanachen, die häufig an exotischen Schauplätzen spielen — unverhüllt seinem eigenen Kulturkreis und setzt sich mit zeitgenössischen Themen wie der beginnenden Industrialisierung oder dem rasanten wirtschaftlichen Wandel auseinander. Selbst bei hartnäckiger Suche wird man wohl kaum eine Märchensammlung finden, die so ausgiebig vom Geld spricht wie „Das Wirtshaus im Spessart“. Nicht zuletzt das macht den Stoff auch heute aktuell und vermittelt ihm eine gewisse Zeitlosigkeit.„Im finstern Wald, da steht ein Haus …“Die Songtexte von George Isherwood vertont Nina Wurman für die Heidelberger Inszenierung neu. Die gebürtige Amerikanerin arbeitet für zahlreiche deutschsprachige Theater als Komponistin und musikalische Leiterin. Außerdem unterrichtet sie szenischen Gesang an der staatlichen Schauspielschule in Stuttgart. Seit 2012 gastiert sie regelmäßig am Theater und Orchester Heidelberg. Eine Kostprobe aus dem „Wirtshaus im Spessart“ gefällig? „Im finstern Wald, da steht ein Haus, wo unheilvoll, oh welch ein Graus, die Räuber gehen ein und aus, in dem Haus im Spessart. Es ist dunkel und kalt, und jeder weiß, hier ist Diebesgut, die Ware ist heiß, Geld oder Leben, das ist der Preis, in dem Haus im Spessart.“In dieser düsteren Kulisse versuchen die Protagonisten mit dem Theaterspielen, die Angst zu vertreiben. „Für mich ein gefundenes Fressen“, resümiert Kostümbildnerin Erika Landertinger. „Man kann verschiedene Ebenen bedienen, die Märchenwelt und die realistische.“ Lassen Sie sich verzaubern! ‹
Das Wirtshaus im Spessart
Premiere: 29. Juni 2017
Schlosshof, Heidelberger Schloss
Das Wirtshaus im Spessart
Premiere: 29. Juni 2017
Schlosshof, Heidelberger Schloss
Heidelberger Schlossfestspiele
Die weltbekannte und einzigartige Heidelberger Schlossruine bildet auch in dieser Sommersaison die Kulisse für die Schlossfestspiele. Im Schlosshof, im Dicken Turm und im Englischen Bau erwartet die Besucher ein abwechslungsreiches Programm bestehend aus Musical, Schauspiel, Konzert und Jungem Theater.
TerminFR 16. Juni bis FR 04. August 2017
AdresseTheater & Orchester der Stadt Heidelberg // Theaterstraße 10 // 69117 Heidelberg // Kartentelefon: 06221 58-20000 // E-Mail: tickets@theater.heidelberg.de
SpielorteSchloss Heidelberg