› „Wir stellen fest, dass wir unsere Art zu leben, zu arbeiten, zu fühlen gemeinsam haben. Wir einigen uns auf eine praktische Arbeitsweise und lehnen es ab, uns in einer künstlichen, theoretischen Einheit zusammenzuschließen. Wir arbeiten zusammen und werden zusammenarbeiten.“ Diese zupackenden Sätze sind im Manifest der CoBrA-Gruppe „La cause était entendue“ festgeschrieben, unterzeichnet in Paris am 8. November 1948. Das Manifest stellte die künstlerische Ausrichtung vor und besiegelte die Geburt dieser neuen europäischen Avantgarde-Bewegung, die sich schon Jahre zuvor — seit Mitte der 1930er-Jahre in Dänemark — herauszukristallisieren begann. Dort setzten sich Künstler*innen wie Asger Jorn, Ejler Biller, Else Alfelt oder Henry Heerup bereits mit wesentlichen Themen der späteren CoBrA-Gruppe auseinander. „Während die Jahre von 1948 bis 1951, in denen CoBrA als fest umrissene Gruppe existierte, bereits vielfach thematisiert wurden, ist der Entstehungsprozess des Künstler*innenkollektivs bislang wenig beachtet“, erklärt Inge Herold. Gemeinsam mit Christina Bergemann kuratiert sie die Sonderschau in der Kunsthalle Mannheim, die genau diesen Formationsbewegungen nachspüren möchte. Spielerische HerangehensweiseIn ihren zum Teil während des Zweiten Weltkriegs entstandenen Gemälden, Plastiken und grafischen Arbeiten nehmen sich die dänischen Künstler*innen die Volkskunst und Mythologie Skandinaviens oder den Expressionismus zum Vorbild, experimentieren mit kollektiven Ansätzen der Kunstproduktion oder versuchen, das Spielerische und Spontane kindlicher Fantasie in die eigene Formensprache zu integrieren. In der unmittelbaren Nachkriegszeit knüpfen sie schnell Kontakt zu Künstler*innen wie Pierre Alechinsky aus Belgien, Karel Appel aus den Niederlanden oder Madeleine Kemény-Szemere und Zoltán Kemény aus Ungarn, die sich mit ganz ähnlichen Fragestellungen beschäftigen. Vor allem in Belgien, den Niederlanden und in Frankreich treffen sie dabei auf Gleichgesinnte, mit denen sie sich zur Gruppe CoBrA zusammenschließen, benannt nach den Anfangsbuchstaben der zentralen Wirkungsorte Kopenhagen (Copenhagen), Brüssel und Amsterdam. Gegen das Establishment„Es gab zwar landesspezifisch prägende Unterschiede, man war sich aber in wesentlichen Punkten einig über Ziele und Programmatik“, erklärt Herold. „Als zentral erwies sich die Erfahrung des Krieges und damit einhergehend das Fehlen einer sich frei entwickelnden Kunstszene. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass es den Künstler*innen um Freiheit, Revolution und Distanz zu künstlerischen wie gesellschaftlichen Konventionen ging.“ Der Name spielt also nicht nur zufällig auch auf die gefährliche Schlange an. Sie steht als Symbol für eine Kunstrichtung, die sich rigoros den erstarrten Kategorien der Kunstgeschichtsschreibung widersetzen will und rückt die Kunst in Richtung Tier und Natur, anstatt sie mit einem weiteren akademischen „-Ismus“ zu versehen.
Im Rahmen der Ausstellung geben rund 150 jeweils vor 1949 entstandene Gemälde, Skulpturen, Grafiken, Fotografien, Textilarbeiten und Keramiken späterer Mitglieder des transeuropäischen Kollektivs Einblicke in den kreativen Kosmos von CoBrA vor der Gründung. Sie zeigen, wie sich bereits im Zweiten Weltkrieg und der unmittelbaren Nachkriegszeit eine neue Avantgarde bildet, die für Frieden, Völkerverständigung und eine Neudefinition künstlerischer Produktionsweisen steht. Übereinstimmung fand man im Bestreben, die Gesellschaft verändern zu wollen, in der sozialen Verantwortung und künstlerisch in der Wertschätzung von Spontaneität und Naturhaftigkeit, von Kinderzeichnungen, nordischen Mythen und den Arbeiten von Menschen mit psychischen Erkrankungen. „Im Kern bestand bei aller Individualität die Botschaft der Gruppe in der Betonung des existenziellen Verlangens eines jeden, sich kreativ zu äußern“, sagt Herold. „Was die Künstler*innen formal verband, waren eine expressive spontane Malweise und die Freude an reinen Farben.“ Fantastische Mischwesen aus Mensch, Tier und Pflanze fungierten als Ausdruck für die Sehnsucht nach naturhaften Ursprüngen, nach dem Unverfälschten und Unverbildeten. Solch bewusst naiv gestalteten und stilisierten Tiermotive, aber auch Mutter- und- Kind-Darstellungen gehörten zum charakteristischen Motivkreis der CoBrA-Künstler*innen. Im Protest gegen die zeitgenössische Gesellschaft und ihre herrschenden Mächte diente das Kind als Verkörperung des unschuldigen und unabhängigen Außenseiters.Blick in die VorgeschichteWas in der hiesigen Wahrnehmung bisher weitgehend ausgeklammert blieb, versucht die Ausstellung „Becoming CoBrA –Anfänge einer europäischen Kunstbewegung“ in breit angelegter Form zu untersuchen. „Wir wollen einen repräsentativen Querschnitt der Bewegung abbilden, der sowohl eine möglichst hohe Anzahl an Künstler*innen als auch eine möglichst hohe Dichte an für die Bewegung charakteristischen Ausdrucksformen und Themenkreisen umfasst“, verrät Christina Bergemann. „Da die Gründung von CoBrA erst im November 1948 erfolgte, bildet dieses Jahr hinsichtlich der Objektauswahl den chronologischen Abschluss der Schau.“ Dabei entfalten sich gerade in dieser Zeit viele der thematischen, stilistischen wie auch motivischen Merkmale der später ungleich fester umrissenen Gruppe, die auch die Kunstproduktion ihrer einzelnen Mitglieder ab 1948 und weit darüber hinaus wesentlich bestimmen werden. Nach der Gründung bestand die Gruppe nur drei Jahre, in zwei großen Ausstellungen — 1949 im Stedelijk Museum in Amsterdam und 1951 im Palais des Beaux-Arts in Lüttich — präsentierte sie ihr Schaffen. Außerdem erschienen zehn Ausgaben der internationalen Zeitschrift CoBrA. Als Zusammenschluss erfüllte sich der Anspruch der CoBrA-Künstler*innen insofern, dass sie ähnlich ihrem gefürchteten Wappentier, vom Publikum teils vehement abgelehnt wurden. 1949 bei der Enthüllung eines Wandgemäldes in der Kantine des Amsterdamer Stadthauses kam es zu so starken Protesten, dass das Kunstwerk erst zehn Jahre später der Öffentlichkeit wieder zugänglich gemacht wurde. ‹Becoming CoBrA — Anfänge einer europäischen Kunstbewegung
Kunsthalle Mannheim
19. November 2022 bis 05. März 2023
kuma.art
Kunsthalle Mannheim
19. November 2022 bis 05. März 2023
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Bildnachweis:
Else Alfelt, Wasserfall, 1947, Öl auf Leinwand, Carl-Henning Pedersen & Else Alfelt Museum, HerningKunsthalle Mannheim
Die Kunsthalle Mannheim zählt mit ihren Spitzenwerken von Edouard Manet bis Francis Bacon und ihrem Skulpturenschwerpunkt zu den renommiertesten Sammlungen von deutscher und internationaler Kunst der Moderne und der Gegenwart. Hochkarätige Sonderschauen internationaler zeitgenössischer Kunst vervollständigen das Ausstellungsprogramm. Gezeigt werden sie im Kerngebäude, dem imposanten, frisch sanierten Jugendstilbau von Hermann Billing aus dem Jahre 1907. Bis 2017 entsteht außerdem ein zukunftsweisender Neubau, der die Ausstellungsfläche um rund 1.300 Quadratmetern erweitert.
AdresseKunsthalle Mannheim // Friedrichplatz 4 // 68165 Mannheim // Tel. 0621 293 6413 // kunsthalle@mannheim.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 10–18 Uhr, Mittwoch 10–20 Uhr, 1. Mittwoch im Monat 18-22 Uhr (freier Eintritt)
Infoskuma.art