› „The Fire Next Time“ hieß ein 1963 veröffentlichter Essayband von James Baldwin, der sich mit der Funktion von Rassismus und dem Zusammenhang von Rasse und Religion in den USA beschäftigte. Fire war ein Begriff, der den Aufruhr der Bürgerrechts- und Black-Panther-Bewegung dieser Jahre zu fassen schien. Ein Flächenbrand. Fire Music bedeutete für Archie Shepp eine Mischung aus avantgardistischer Kompromisslosigkeit, Free Jazz und Tradition. Sein unter diesem Titel veröffentlichtes Album aus dem Jahr 1965 war Programm. Das darauf enthaltene Stück „Malcolm, Malcolm — Semper Malcolm“ ist Malcolm X gewidmet, und in den tieferen Schichten dieser experimentellen Platte ist der Blues immer spürbar.Kontrapunkt zum weißen Mainstream
Den Begriff Jazz lehnte Shepp schon in den Sechzigerjahren ab. Lieber sprach er von African American Music. Von Black Music. Von Musik also, die von den Erfahrungen afroamerikanischer Geschichte handelt, von Ungerechtigkeit und deren Überwindung. Shepp, der lange Jahre als Professor an der Universität von Massachusetts Black Studies lehrte, transportiert mit seinem Saxofon, seinem Gesang, seiner Poesie nicht nur den Swing, Soul und Blues, die originären und identitätsstiftenden Formen schwarzer Kultur. Er ist auch ein „Original Thinker“ — die Narrative eines bourgeoisen, weißen Mainstreams hat er immer wieder durch andere Erzählungen konterkariert. Archie Shepp hat ein Bewusstsein für die Widersprüche, die in einer schwarz-weißen Welt bis heute aufrechterhalten werden. Seine Musik ist eine Form des Protests: In seinen wütenden, schmerzhaften, kreischenden, zärtlichen, grollenden Soli stecken Utopie und Schönheit. Shepp, der einst von John Coltrane gefördert wurde und mit ihm zusammenspielte, ist einer der letzten großen Musiker aus der turbulenten Ära der Sechzigerjahre, der nichts an Ausdruckskraft und politischer Haltung verloren hat. Seit vielen Jahren beehrt er das Enjoy Jazz Festival, und 2018 wird er es als Artist in Residence mitprägen. Man kann sich in der von politischen Backlashes und reaktionären Bewegungen bestimmten Weltlage derzeit kaum ein besseres Statement wünschen.Gegen die sozialen Schwelbrände
Zum Glück gibt es noch viele weitere Künstlerinnen und Künstler, die gegen die sozialen Schwelbrände der Gegenwart kämpfen: Zum Eröffnungskonzert des Festivals ist das feministische Kollektiv Les Amazones d’Afrique zu Gast, eine Initiative westafrikanischer Sängerinnen, die in Mali zusammengefunden hat. Sie greifen in ihren Stücken das an, was patriarchale Strukturen massenhaft verursachen: Gewalt gegen Frauen. Mashrou‘ Leila, die das Abschlusskonzert bestreiten, können ebenfalls ein Lied von Diskriminierung singen: Die libanesische Indie-Band ist vielen Anfeindungen von politischen und religiösen Eiferern ausgesetzt. Das hindert sie nicht daran, in ihren Texten gegen Nationalismus, Korruption und Gewalt gegen Homosexuelle zu polemisieren. Auch eine Sängerin wie Cécile McLorin Salvant, die mit großer Hingabe aus der Jazzgeschichte schöpft, teilt die politische Haltung mit dem Artist in Residence: Das Erbe schwarzer Musik wird bei ihr vergegenwärtigt, Billie Holiday und Sarah Vaughan schweben als gute Geister über ihren Auftritten. Wer sie einmal am Ende eines Konzerts ohne Mikrofon einen durchdringenden Blues von den Baumwollfeldern des Südens hat singen hören, der ahnt, welche Geschichten in dieser Musik bewahrt und immer wieder neu lebendig werden. Der Blues sei die Basis dessen, was man Jazz nennt, sagte Archie Shepp einmal. „Meine Aufgabe ist es, den Blues zu spielen.“ ‹
14. Oktober 2005
Mit seinem legendären Plastik-Saxofon, seinem genialen Freigeist und seiner beseelten Ehrlichkeit berührte Ornette Coleman 2005 mehr als tausend Zuhörer in Ludwigshafen. Den Ausnahmemusiker im BASF-Feierabendhaus live zu erleben, war ein einzigartiger Moment musikalischer Zeitgeschichte: Ein Jahr später wurde die unter dem Titel „Sound Grammar“ veröffentlichte Aufnahme des Konzertes mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet.
25. Oktober 2008
Das Enjoy Jazz Festival ermöglicht immer wieder neue musikalische Konstellationen. 2008 waren zwei Legenden des zeitgenössischen Jazz als Duo zu hören: Brad Mehldau und Joshua Redman. Das Duo-Konzert in der Christuskirche Mannheim war damit nicht nur ein Wiedersehen der beiden Musiker, sondern auch ein atemberaubendes Zusammenspiel zweier kreativer Seelen.
18. November 2011
Mit Sonny Rollins konnten die Besucher beim Abschlusskonzert 2011 im Pfalzbau Ludwigshafen eine Legende am Saxofon erleben. Ob man das Werk eines der wichtigsten lebenden Tenorsaxofonisten bereits kannte oder nicht, aus dem Häuschen waren am Ende alle.
10. November 2012
Einen Höhepunkt der ganz besonderen Art bot das Abschlusskonzert 2012 im Ludwigshafener BASF-Feierabendhaus. Zwei Jazzgrößen zogen das Publikum gemeinsam in ihren Bann: Der 1920 geborene Yusef Lateef und sein Freund und Schüler Archie Shepp präsentierten persönliche Lebens- und Leidensgeschichten, Emotionen aus der Zeit rigoroser Entrechtung sowie aus Spiritualität und Glauben. Yusef Lateef verstarb ein Jahr nach dem Konzert im Alter von 93 Jahren.
02. November 2015
Als Treffen der Generationen kann man dieses bemerkenswerte Konzertereignis auch betiteln. Der damals 80-jährige Gary Peacock, der auf jahrzehntelange Zusammenarbeit mit den größten Jazzmusikern zurückblicken kann, stand mit dem 37-jährigen Michael Wollny als Klavier-Bass-Duo auf der Bühne.
Den Begriff Jazz lehnte Shepp schon in den Sechzigerjahren ab. Lieber sprach er von African American Music. Von Black Music. Von Musik also, die von den Erfahrungen afroamerikanischer Geschichte handelt, von Ungerechtigkeit und deren Überwindung. Shepp, der lange Jahre als Professor an der Universität von Massachusetts Black Studies lehrte, transportiert mit seinem Saxofon, seinem Gesang, seiner Poesie nicht nur den Swing, Soul und Blues, die originären und identitätsstiftenden Formen schwarzer Kultur. Er ist auch ein „Original Thinker“ — die Narrative eines bourgeoisen, weißen Mainstreams hat er immer wieder durch andere Erzählungen konterkariert. Archie Shepp hat ein Bewusstsein für die Widersprüche, die in einer schwarz-weißen Welt bis heute aufrechterhalten werden. Seine Musik ist eine Form des Protests: In seinen wütenden, schmerzhaften, kreischenden, zärtlichen, grollenden Soli stecken Utopie und Schönheit. Shepp, der einst von John Coltrane gefördert wurde und mit ihm zusammenspielte, ist einer der letzten großen Musiker aus der turbulenten Ära der Sechzigerjahre, der nichts an Ausdruckskraft und politischer Haltung verloren hat. Seit vielen Jahren beehrt er das Enjoy Jazz Festival, und 2018 wird er es als Artist in Residence mitprägen. Man kann sich in der von politischen Backlashes und reaktionären Bewegungen bestimmten Weltlage derzeit kaum ein besseres Statement wünschen.Gegen die sozialen Schwelbrände
Zum Glück gibt es noch viele weitere Künstlerinnen und Künstler, die gegen die sozialen Schwelbrände der Gegenwart kämpfen: Zum Eröffnungskonzert des Festivals ist das feministische Kollektiv Les Amazones d’Afrique zu Gast, eine Initiative westafrikanischer Sängerinnen, die in Mali zusammengefunden hat. Sie greifen in ihren Stücken das an, was patriarchale Strukturen massenhaft verursachen: Gewalt gegen Frauen. Mashrou‘ Leila, die das Abschlusskonzert bestreiten, können ebenfalls ein Lied von Diskriminierung singen: Die libanesische Indie-Band ist vielen Anfeindungen von politischen und religiösen Eiferern ausgesetzt. Das hindert sie nicht daran, in ihren Texten gegen Nationalismus, Korruption und Gewalt gegen Homosexuelle zu polemisieren. Auch eine Sängerin wie Cécile McLorin Salvant, die mit großer Hingabe aus der Jazzgeschichte schöpft, teilt die politische Haltung mit dem Artist in Residence: Das Erbe schwarzer Musik wird bei ihr vergegenwärtigt, Billie Holiday und Sarah Vaughan schweben als gute Geister über ihren Auftritten. Wer sie einmal am Ende eines Konzerts ohne Mikrofon einen durchdringenden Blues von den Baumwollfeldern des Südens hat singen hören, der ahnt, welche Geschichten in dieser Musik bewahrt und immer wieder neu lebendig werden. Der Blues sei die Basis dessen, was man Jazz nennt, sagte Archie Shepp einmal. „Meine Aufgabe ist es, den Blues zu spielen.“ ‹
Höhepunkte und Begegnungen — 20 Jahre Enjoy Jazz
Mit seinem legendären Plastik-Saxofon, seinem genialen Freigeist und seiner beseelten Ehrlichkeit berührte Ornette Coleman 2005 mehr als tausend Zuhörer in Ludwigshafen. Den Ausnahmemusiker im BASF-Feierabendhaus live zu erleben, war ein einzigartiger Moment musikalischer Zeitgeschichte: Ein Jahr später wurde die unter dem Titel „Sound Grammar“ veröffentlichte Aufnahme des Konzertes mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnet.
Das Enjoy Jazz Festival ermöglicht immer wieder neue musikalische Konstellationen. 2008 waren zwei Legenden des zeitgenössischen Jazz als Duo zu hören: Brad Mehldau und Joshua Redman. Das Duo-Konzert in der Christuskirche Mannheim war damit nicht nur ein Wiedersehen der beiden Musiker, sondern auch ein atemberaubendes Zusammenspiel zweier kreativer Seelen.
Mit Sonny Rollins konnten die Besucher beim Abschlusskonzert 2011 im Pfalzbau Ludwigshafen eine Legende am Saxofon erleben. Ob man das Werk eines der wichtigsten lebenden Tenorsaxofonisten bereits kannte oder nicht, aus dem Häuschen waren am Ende alle.
Einen Höhepunkt der ganz besonderen Art bot das Abschlusskonzert 2012 im Ludwigshafener BASF-Feierabendhaus. Zwei Jazzgrößen zogen das Publikum gemeinsam in ihren Bann: Der 1920 geborene Yusef Lateef und sein Freund und Schüler Archie Shepp präsentierten persönliche Lebens- und Leidensgeschichten, Emotionen aus der Zeit rigoroser Entrechtung sowie aus Spiritualität und Glauben. Yusef Lateef verstarb ein Jahr nach dem Konzert im Alter von 93 Jahren.
Als Treffen der Generationen kann man dieses bemerkenswerte Konzertereignis auch betiteln. Der damals 80-jährige Gary Peacock, der auf jahrzehntelange Zusammenarbeit mit den größten Jazzmusikern zurückblicken kann, stand mit dem 37-jährigen Michael Wollny als Klavier-Bass-Duo auf der Bühne.
Bildnachweis:
Karen Paulina Biswell (Les Amazones); Jan Kricke (Archie Shepp); Michael Weintraub (Redman & Mehldau); Manfred Rinderspacher (Coleman/Peacock/Wollny/Lateef /Rollins)Enjoy Jazz Festival
Seit seiner Premiere 1999 hat sich Enjoy Jazz zu einem international renommierten Festival und zum größten Jazzfestival Deutschlands entwickelt. Neben Legenden wie Ornette Coleman oder Wayne Shorter präsentiert das „Internationale Festival für Jazz und anderes“ immer auch die Größen der jüngeren Jazzgeneration und spannt den Bogen zu angrenzenden Genres wie Weltmusik, Elektronik, Hip-Hop und Klassik. Komplettiert werden die rund 70 Konzerte durch Workshops, Matineen, Partys und Vorträge.
TerminDI 02. Oktober bis FR 16. November 2018
AdresseEnjoy Jazz GmbH // Bergheimer Straße 153 // 69115 Heidelberg // Tel: 06221 5835850 // E-Mail: info@enjoyjazz.de
SpielorteVerschiedene Orte in und rund um Heidelberg, Mannheim und Ludwigshafen
Infoswww.enjoyjazz.de