› Sterben ist ein Tabuthema. Gehört Mut dazu, sich dem in einem Festival zu stellen?
Daria Holme: Tod ist doch ein extrem spannendes Thema. Wir sind einerseits neugierig und anderseits wollen wir nichts davon wissen. Es vereint uns alle und hat mit allem in unserem Leben zu tun.
Charlotte Arens: Genau das ist unser Anliegen. Es soll kein Tabu sein, weil es uns alle angeht.
Ist der Tod ein Thema, mit dem sich im Augenblick besonders viele Performer und Choreografen befassen?
Jan-Philipp Possmann: Es ist eigentlich ein Klassiker. Im Expressionismus war es ein großes Thema. Der moderne Tanz hat sich in den 1920er-Jahren sehr stark mit dem Tod und dem Sterben auseinandergesetzt. Was jetzt hinzukommt, sind Pflege und Medizintechnik, die viel verändern. Der Pflegenotstand hat dazu geführt, dass wir die Pflege ins Ausland verlagern, sie automatisieren wollen und rationalisieren. Der Tod könnte durch unsere Möglichkeiten aussterben, in dem Sinne, dass wir technisch in der Lage sind, die Leute am Tropf zu halten. Davor haben viele Angst. Ein Künstler erzählte mir, dass seine Eltern ständig im Auto unterwegs sind, um zu verhindern, zu Hause im Bett einen Schlaganfall zu erleiden und dann an eine Maschine angeschlossen zu werden.In welcher Form sprechen Sie solche Probleme an?
Eva-Maria Steinel: Wir bewegen uns nicht nur auf einer diskursiven, philosophischen Ebene, sondern binden auch verschiedene Kooperationspartner aus der Stadt mit ein, zum Beispiel den Kinderhospizdienst.
Possmann: An den zehn Festivaltagen gibt es neben klassischen Aufführungsformaten auch immer ein Vermittlungsprogramm. Dabei geht es darum, wie zum Beispiel ein Bestattungsunternehmen oder das Mannheimer Friedhofsamt arbeiten, oder um die Frage, wie Muslime und Juden bestattet werden.
Arens: Dabei kooperieren wir mit dem Kollektiv „ongoing project“, das bekannt für seine recherchebasierten, gesellschaftskritischen Formate ist. Die Gruppe entwickelt für uns eine Art Gesprächsformat, das inszeniert wird.
Hat sich Ihr eigener Blick auf das Thema verändert durch die Recherche in Institutionen, die sich professionell mit dem Sterben befassen?
Steinel: Für mich waren die Gespräche hilfreich und bereichernd. Im Friedhofsamt habe ich zum Beispiel erfahren, dass durch die zunehmenden Baumbestattungen die Friedhöfe, so wie wir sie heute kennen, aussterben könnten. Darüber hatte ich noch nie nachgedacht.
Arens: Ich hatte ähnliche Erlebnisse. In einem Gespräch ging es darum, was es eigentlich heißt, verbrannt zu werden. Es wird ja nicht alles zu Asche. Was passiert mit der künstlichen Hüfte? Das sind ganz praktische Fragen. In Gesprächen im Kinder- und Jugendhospiz ging es viel um den Umgang mit Betroffenen — Kranken wie Angehörigen. Ein großes Problem ist die Sprachlosigkeit, die Menschen dazu bringt, sich abzuwenden. Man kann aber lernen, mit diesen Unsicherheiten umzugehen. Das merken wir selbst durch die intensive Auseinandersetzung. Da entwickelt sich eine große Neugierde.Wie wird dazu das künstlerische Programm abgestimmt?
Arens: Neben der Produktion „ZeitGeist“ des La_Trottier Dance Collective, in der es unter anderem um das Sterben geht, haben wir die Koreanerin Geumhyung Jeong mit ihrer Produktion CPR Practice eingeladen. Sie handelt von einer liebevollen Annäherung an eine Gummipuppe, ein medizinischer Dummy, der eigentlich zu Wiederbelebungsübungen verwendet wird. Ein weiterer Gast ist Oliver Roth, ein junger Performance-Künstler aus der Schweiz, der die sehr persönliche Performance „While You Were Dead“ entwickelt hat. Darin inszeniert er eine Trauerfeier für seine Mutter, die vor zehn Jahren gestorben ist.
Holme: Im EinTanzHaus wird es darüber hinaus ein Gastspiel von Backsteinhaus Produktion aus Stuttgart geben. Das Stück wird gerade entwickelt und setzt sich in einer etwas absurden Art mit dem Freitod auseinander.EinTanzHaus und zeitraumexit kooperieren bei „Endlich“ zum ersten Mal. Wie profitieren Sie voneinander?
Possmann: Wir ergänzen uns sehr gut. Das EinTanzHaus hat mit der ehemaligen Trinitatiskirche einen sehr großen Raum, den man nicht teilen kann, wir haben kleine Räume, die man nicht vergrößern kann. Das EinTanzHaus hat als Profil den Tanz, wir haben ihn auch, aber nicht schwerpunktmäßig, weil wir nicht die Räume dafür haben.
Holme: Von der Infrastruktur ergänzen wir uns. Für uns als neue Einrichtung es ist toll, mit zeitraumexit zusammenzuarbeiten und von deren Erfahrungen zu lernen. Uns gibt es seit einem halben Jahr. Daher ist es für uns sehr schön herauszufinden, wie Kooperationen mit anderen Institutionen funktionieren können. ‹
Endlich — Über das Sterben in der Gegenwart
18. bis 28. Oktober 2018
zeitraumexit, EinTanzHaus,
Mannheim
www.zeitraumexit.de
www.eintanzhaus.de
Daria Holme: Tod ist doch ein extrem spannendes Thema. Wir sind einerseits neugierig und anderseits wollen wir nichts davon wissen. Es vereint uns alle und hat mit allem in unserem Leben zu tun.
Charlotte Arens: Genau das ist unser Anliegen. Es soll kein Tabu sein, weil es uns alle angeht.
Ist der Tod ein Thema, mit dem sich im Augenblick besonders viele Performer und Choreografen befassen?
Jan-Philipp Possmann: Es ist eigentlich ein Klassiker. Im Expressionismus war es ein großes Thema. Der moderne Tanz hat sich in den 1920er-Jahren sehr stark mit dem Tod und dem Sterben auseinandergesetzt. Was jetzt hinzukommt, sind Pflege und Medizintechnik, die viel verändern. Der Pflegenotstand hat dazu geführt, dass wir die Pflege ins Ausland verlagern, sie automatisieren wollen und rationalisieren. Der Tod könnte durch unsere Möglichkeiten aussterben, in dem Sinne, dass wir technisch in der Lage sind, die Leute am Tropf zu halten. Davor haben viele Angst. Ein Künstler erzählte mir, dass seine Eltern ständig im Auto unterwegs sind, um zu verhindern, zu Hause im Bett einen Schlaganfall zu erleiden und dann an eine Maschine angeschlossen zu werden.In welcher Form sprechen Sie solche Probleme an?
Eva-Maria Steinel: Wir bewegen uns nicht nur auf einer diskursiven, philosophischen Ebene, sondern binden auch verschiedene Kooperationspartner aus der Stadt mit ein, zum Beispiel den Kinderhospizdienst.
Possmann: An den zehn Festivaltagen gibt es neben klassischen Aufführungsformaten auch immer ein Vermittlungsprogramm. Dabei geht es darum, wie zum Beispiel ein Bestattungsunternehmen oder das Mannheimer Friedhofsamt arbeiten, oder um die Frage, wie Muslime und Juden bestattet werden.
Arens: Dabei kooperieren wir mit dem Kollektiv „ongoing project“, das bekannt für seine recherchebasierten, gesellschaftskritischen Formate ist. Die Gruppe entwickelt für uns eine Art Gesprächsformat, das inszeniert wird.
Steinel: Für mich waren die Gespräche hilfreich und bereichernd. Im Friedhofsamt habe ich zum Beispiel erfahren, dass durch die zunehmenden Baumbestattungen die Friedhöfe, so wie wir sie heute kennen, aussterben könnten. Darüber hatte ich noch nie nachgedacht.
Arens: Ich hatte ähnliche Erlebnisse. In einem Gespräch ging es darum, was es eigentlich heißt, verbrannt zu werden. Es wird ja nicht alles zu Asche. Was passiert mit der künstlichen Hüfte? Das sind ganz praktische Fragen. In Gesprächen im Kinder- und Jugendhospiz ging es viel um den Umgang mit Betroffenen — Kranken wie Angehörigen. Ein großes Problem ist die Sprachlosigkeit, die Menschen dazu bringt, sich abzuwenden. Man kann aber lernen, mit diesen Unsicherheiten umzugehen. Das merken wir selbst durch die intensive Auseinandersetzung. Da entwickelt sich eine große Neugierde.Wie wird dazu das künstlerische Programm abgestimmt?
Arens: Neben der Produktion „ZeitGeist“ des La_Trottier Dance Collective, in der es unter anderem um das Sterben geht, haben wir die Koreanerin Geumhyung Jeong mit ihrer Produktion CPR Practice eingeladen. Sie handelt von einer liebevollen Annäherung an eine Gummipuppe, ein medizinischer Dummy, der eigentlich zu Wiederbelebungsübungen verwendet wird. Ein weiterer Gast ist Oliver Roth, ein junger Performance-Künstler aus der Schweiz, der die sehr persönliche Performance „While You Were Dead“ entwickelt hat. Darin inszeniert er eine Trauerfeier für seine Mutter, die vor zehn Jahren gestorben ist.
Holme: Im EinTanzHaus wird es darüber hinaus ein Gastspiel von Backsteinhaus Produktion aus Stuttgart geben. Das Stück wird gerade entwickelt und setzt sich in einer etwas absurden Art mit dem Freitod auseinander.EinTanzHaus und zeitraumexit kooperieren bei „Endlich“ zum ersten Mal. Wie profitieren Sie voneinander?
Possmann: Wir ergänzen uns sehr gut. Das EinTanzHaus hat mit der ehemaligen Trinitatiskirche einen sehr großen Raum, den man nicht teilen kann, wir haben kleine Räume, die man nicht vergrößern kann. Das EinTanzHaus hat als Profil den Tanz, wir haben ihn auch, aber nicht schwerpunktmäßig, weil wir nicht die Räume dafür haben.
Holme: Von der Infrastruktur ergänzen wir uns. Für uns als neue Einrichtung es ist toll, mit zeitraumexit zusammenzuarbeiten und von deren Erfahrungen zu lernen. Uns gibt es seit einem halben Jahr. Daher ist es für uns sehr schön herauszufinden, wie Kooperationen mit anderen Institutionen funktionieren können. ‹
Endlich — Über das Sterben in der Gegenwart
18. bis 28. Oktober 2018
zeitraumexit, EinTanzHaus,
Mannheim
www.zeitraumexit.de
www.eintanzhaus.de
Bildnachweis:
SangHoon Ok (Jeong); Anne Laure Lechat (Roth)zeitraumexit
zeitraumexit ist ein Ort der Öffnung und gibt der Neugier und dem interessierten Hinterfragen Raum. Im Fokus stehen das aktuelle Geschehen, aktuelle Tendenzen und Strömungen in der Gesellschaft und wie Künstler mit dieser komplexen Welt umgehen. Dabei geht es sicher nicht um Antworten oder Wahrheiten, sondern vielmehr die Suche und das gemeinsame Befragen. Dabei lässt sich zeitraumexit nicht auf eine bestimmte Kunstform festlegen.Vielmehr stehen die Möglichkeiten im Mittelpunkt, die aktuelle Künste jenseits des Mainstreams anbieten, um Prozesse und Phänomene unserer Gesellschaft zu erforschen. Genau diese Freiheit ermöglicht es, ein Programm zu zeigen, das eine Auseinandersetzung von Kunst und Gesellschaft, deren Wechselwirkungen, Abhängigkeiten und Möglichkeiten wagt.
TerminDO 18. bis SO 28. Oktober 2018
AdresseHafenstraße 68–72 // 68159 Mannheim/Jungbusch
Infoswww.zeitraumexit.de