Schwetzinger SWR Festspiele

Im Inneren der Gehörmaschine

› Er gilt als geniale Lichtgestalt. Seine Werke werden auf der ganzen Welt aufgeführt. Und nicht selten wurde und wird seine Musik als Träger politischer Botschaften unterschiedlicher Couleur instrumentalisiert. Ludwig van Beethoven, der kleine Mann aus Bonn, ist längst ein Mythos. Dass er aber auch ein Mensch wie jeder andere war, höchst emotional mit cholerischen Zügen, der seelisch schwer an den Folgen seiner Erkrankung litt, dem Alkohol zugeneigt war, der zweifelnd und selbstkritisch lange über musikalische Ideen grübelte, wird oft übersehen. Mit Ende 20 zeigten sich bei Beethoven die ersten Anzeichen einer beginnenden Schwerhörigkeit. Sie beeinträchtigten seine Arbeit, er hatte fortan mit starken Angstgefühlen zu kämpfen: Angst vor dem Verlust der Existenz und der Identität, Angst vor Vereinsamung.

„Ich bringe mein Leben elend zu“

In einem Brief an seinen Freund Franz Wegeler vom 29. Juni 1801 schreibt Beethoven: „Der neidische Dämon hat meiner Gesundheit einen schlimmen Streich gespielt, nämlich mein Gehör ist seit drei Jahren immer schwächer geworden … Ich bringe mein Leben elend zu. Seit zwei Jahren meide ich alle Gesellschaften, weils mir nicht möglich ist, den Leuten zu sagen, ich bin taub. Hätte ich irgendein anderes Fach so gings noch eher, aber in meinem Fach ist es ein schrecklicher Zustand … Die hohen Töne von Instrumenten und Singstimmen höre ich nicht, wenn ich etwas weit weg bin, auch die Bläser im Orchester nicht. Manchmal auch hör ich den Redner, der leise spricht, wohl, aber die Worte nicht, und doch, sobald jemand schreit, ist es mir unausstehlich.“ Eine lange Leidensgeschichte begann und dennoch — oder vielleicht gerade deshalb — entstanden großartige Kompositionen, die bis heute zum musikalischen Kanon gehören.
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    Auf der Suche nach dem echten Klang: Musikforscher Tom Beghin prösentiert sein Beethoven-Projekt bei den Schwetzinger SWR Festspielen.
Wie der Verlust des Gehörs Beethovens Komponieren beeinflusste und welche Möglichkeiten der akustischen Verstärkung Beethoven an seinem Instrument, dem Klavier, erprobte, untersucht ein spektakuläres Forschungsprojekt des Orpheus Institute in Gent. Federführend ist der belgisch-kanadische Pianist Tom Beghin. Spezialisiert auf die Klaviermusik Beethovens, hat er in den letzten sieben Jahren zwei Originalklaviere aus dem Besitz des Komponisten nachbauen lassen, den französischen Flügel der Marke Érard von 1803 und den englischen der Marke Broadwood von 1817. Beide Originale stehen heute in Museen — der Broadwood in Budapest, der Érard in Linz — und unterscheiden sich in der Bauweise nicht nur deutlich voneinander, sondern auch von den Wiener Klavieren, die Beethoven sonst zur Verfügung standen.

Gemeinsam mit einem Expertenteam aus Instrumentenbauern, Toningenieuren und Musikwissenschaftlern untersucht Beghin, wie diese Instrumente Beethovens Komponieren am Klavier und für das Klavier beeinflusst haben. So zeigt er am Beispiel der Waldsteinsonate, was es mit dem „son continue“, dem charakteristischen „durchgängigen Klang“ des französischen Instruments auf sich hat.

Ein wichtiger Baustein fehlte: die Gehörmaschine

Den Broadwood bekam Beethoven, als seine Krankheit schon weit fortgeschritten war. Tom Beghin bemerkte während seiner Arbeit an den drei letzten Klaviersonaten, dass ihm ein wichtiger Baustein fehlte: „Das authentische Klavier zu haben, war eine Sache, aber ich war neugierig auf die Gehörmaschine, von der man weiß, dass Beethoven sie besaß,“ sagt er. „Ich wollte, dass auch sie rekonstruiert wird, weil sie entscheidend für das Verständnis der drei letzten Klaviersonaten ist, vor allem von Opus 110, jener Sonate, die Beethoven unmittelbar nach der Installation der Gehörmaschine durch den Klavierbauer André Stein schrieb.“ Im Zusammenhang mit der Gehörmaschine fragte Stein Beethoven: „Sie hören doch besser, wenn Sie den Kopf unter diese Maschine geben?“

Bei den Schwetzinger SWR Festspielen wird Tom Beghin in zwei Gesprächskonzerten anhand der Replikate von Beethovens Klavieren die Erfahrungen und die Ergebnisse seiner Arbeit erläutern. Mit dabei hat er selbstverständlich auch die spektakuläre Gehörmaschine, die dem Verständnis der späten Klaviersonaten Beethovens erhellende neue Aspekte hinzufügt. ‹

Gesprächskonzert – Beethovens Klaviere
30. & 31. Mai 2020, jeweils 15 Uhr, Schloss Schwetzingen


Hölderlin im Blickpunkt

Neun Monate vor Beethoven, am 20. März 1770, wurde der Dichter Friedrich Hölderlin geboren. Seine literarische Welt wirkt im Werk verschiedener Komponisten nach. Zum Jubiläum stellen die Festspiele eine Auswahl an Hölderlin-Kompositionen vor, wie Luigi Nonos „Fragmente — Stille“, Brahms’ „Schicksalslied“ oder György Ligetis „Drei Phantasien nach Hölderlin“. Ein Liederabend mit dem Bariton Holger Falk und dem Pianisten Hilko Dumno widmet sich einer wichtigen Figur im Leben Hölderlins: dem Arzt und Schriftsteller Justinus Kerner. Außerdem liest Rüdiger Safranski aus seiner brandneuen Hölderlin-Biografie, während „Auf schwankem Grund“ — ein zweiteiliges Konzertprojekt gemeinsam mit dem Heidelberger Frühling veranstaltet — sich anhand von Hölderlin-Texten mit dem Thema Identitätssuche auseinandersetzt.

Termine: 03. Mai 2020, 11 Uhr, Quatuor Diotima // 05. Mai 2020, 18 Uhr, Rüdiger Safranski liest // 05. Mai 2020, 21 Uhr, Die Bücher der Zeiten // 06. Mai, 19.30 Uhr, Liederabend Holger Falk // 22. Mai, 19.30 Uhr, SWR Vokalensemble // 26. Mai, 19.30 Uhr, Auf schwankem Grund // 28. Mai, 19.30 Uhr, Schola Heidelberg, ensemble aisthesis, SWR Experimentalstudio
Bildnachweis:
Pieter Peeters

Schwetzinger SWR Festspiele

Die Schwetzinger SWR Festspiele sind seit 1952 ein internationales Festival der klassischen Musik. Jährlich präsentieren sie im Frühjahr in den historischen Räumlichkeiten des Schwetzinger Schlosses über 50 Konzerte. Ihre Veranstaltungen werden vom Rundfunk begleitet und weltweit gesendet. Neben zahlreichen Konzerten umfasst das Programm auch Oper und Musiktheater, Klanginstallationen und viele SWR Kultur Sendungen vor Ort. Im Auftrag der Festspiele entsteht jedes Jahr eine Musiktheaterproduktion, mit deren Uraufführung die Saison festlich eröffnet wird.
TerminFR 01. bis SO 31. Mai 2020
AdresseSchwetzinger SWR Festspiele gGmbH // Hans-Bredow-Straße // 76530 Baden-Baden //Kartentelefon: 07221 300200
SpielorteSchwetzinger Schloss, Dom zu Speyer und Dreifaltigkeitskirche, Speyer
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