› Schon von außen sieht das Theater am Lehniner Platz markant aus. Der hufeisenförmige Bau mit dem hochragenden Lüftungsschlot wurde 1928 als Kinopalast im Stil der Neuen Sachlichkeit erbaut. 1981 zog dann die Berliner Schaubühne in die Räume ein. Ein Gewinn für das Haus, denn seit fast 60 Jahren gehört dieses Ensemble zu den wichtigsten Protagonisten des politisch engagierten und experimentellen Sprechtheaters in Deutschland. Große Namen von Peter Stein bis Robert Wilson sind mit dieser Adresse verbunden. Bei den Ludwigshafener Festspielen präsentiert die Schaubühne in einer Werkschau einen Ausschnitt aus ihrem Repertoire.Ein Filmteam auf der TheaterbühneGastieren wird unter anderem August Strindbergs Drama „Fräulein Julie“ in der Fassung von Katie Mitchell. Die britische Regisseurin hat in den vergangenen Jahren viele Inszenierungen an deutschen Schauspiel- und Opernhäusern verantwortet und sucht dabei immer die Reibung zwischen Live-Ereignis und Film. Oft befindet sich ein Filmteam mit den Darsteller*innen auf der Bühne, szenische Illusionen werden aufgebaut und durch die Offenlegung der Mittel zerstört. Bei „Fräulein Julie“ arbeitet sie mit dem Videodesigner Leo Warner zusammen und wechselt die Perspektive innerhalb der Figuren: Zur Hauptfigur wird die Köchin Kristin, die aus der Küche das Liebesdrama zwischen der Adeligen Julie und dem Diener Jean beobachtet.Provokantes Theater aus RusslandMit Spannung erwartet wird das Gastspiel von „Outside“, einem schillernden Exkurs über die Freiheit des Individuums. Sein Regisseur ist der bekannte russische Theater- und Filmemacher Kirill Serebrennikov. Wegen seiner provokativen Kunst steht er in seiner Heimat unter Beschuss und verbrachte mehrere Jahre unter Hausarrest. In seiner Moskauer Wohnung arbeitete er jedoch äußerst produktiv weiter: Er inszenierte mithilfe von Video-Schaltungen die Oper „Nabucco“ in Hamburg und verfasste „Outside“. Die Uraufführung des Stücks fand 2019 beim Festival von Avignon statt — ohne seinen Autor. Dieser durfte nicht nach Südfrankreich reisen.
„Outside“ stellt westlichen Hedonismus der Unfreiheit in Ländern wie China oder Russland gegenüber und ist eine Hommage an den chinesischen Fotografen Ren Hang. Er und Serebrennikov hatten eine Koproduktion geplant, die jedoch nie zustande kam, weil sich Hang kurz davor im Alter von nur 29 Jahren das Leben nahm. „Die Deutschlandpremiere dieser faszinierenden, bilderreichen Aufführung ist ein Höhepunkt des Festspielprogramms“, freut sich Tilman Gersch, Intendant des Theaters im Pfalzbau, darauf, die Theaterperformance in Ludwigshafen zu zeigen. „Wir müssen weiter ‚auf Sicht‘ fahren“Ob alle eingeladenen Ensembles, wie vorgesehen, in Ludwigshafen auftreten können, hängt davon ab, wie sich die Corona-Pandemie weiterhin entwickelt. „Das veröffentlichte Programm ist der beste Fall. Aber wir müssen weiter ‚auf Sicht‘ fahren“, sagt Gersch. Auch wenn die Besucherzahlen voraussichtlich eingeschränkt sein werden, gibt sich der Intendant und Festival-Leiter zuversichtlich. „Mit der Schaubühne Berlin sind wir in konstruktivem Austausch, wie wir Teile der Werkschau präsentieren können. Zurzeit sind wir optimistisch.“ Und das Ballets de Monte Carlo, das den Festspiel-Auftakt bestreitet, unterwirft sich selbst strengen Hygieneregeln. Unterstützt vom monegassischen Staat, werden die Compagnie-Mitglieder jede Woche auf das Virus getestet und kommen mit einem eigenen Flugzeug. ‹
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Herr Gersch, mit William Shakespeares „Der Sturm“ und Gerhart Hauptmanns „Die Ratten“ führen Sie bei den Festspielen erstmals zwei eigene Arbeiten auf. Wie kam es dazu?
„Ratten Ludwigshafen“ ist ein Projekt mit unserer Bürgerbühne, dessen Premiere wir durch Corona verschieben mussten. Menschen aller Altersstufen aus verschiedenen Städten der Metropolregion erzählen in einer Variante von Hauptmanns „Ratten“ über ihre Hoffnungen, Sehnsüchte und schwierige Momente in ihrem Leben. Ein ganz anderer, berührender und durchaus festspielwürdiger Beitrag. Um die Festspiele wie geplant am 3. Oktober feierlich zu eröffnen, benötigten wir Ersatz für coronabedingte Ausfälle. So habe ich mich entschlossen, die für Mai 2021 geplante Premiere von „Der Sturm — die bezauberte Insel“ von William Shakespeare vorzuziehen. Mit drei hervorragenden Schauspieler*innen und drei Musiker*innen erarbeiten wir eine Version, die wir auf jeden Fall vier Mal bei den Festspielen zeigen können.Auf was fokussieren Sie sich bei „Der Sturm“?
Auf die möglichst vielstimmige, theatralische Umsetzung dieses poetischen, weisen Stückes. Mit drei Schauspieler*innen einen zauberhaften Kosmos von Theaterfiguren zu schaffen, ist eine große Freude. Die permanenten Wechsel der Charaktere erzeugen einen zusätzlichen Reiz. Dabei vereint das Spätwerk Shakespeares Themen, die uns heute sehr umtreiben.Das Stück handelt von Rache und Versöhnung. Kann es ein Trost in unserer Zeit sein, in der man sich gegenseitig manchmal mit extremem Hass bekämpft?
Ihre Frage zielt ganz sicher auf die Intention der Aufführung und trifft den Kern unseres Anliegens. Es tut weh und erschöpft, wie Menschen mit Meinungen, Forderungen, Behauptungen aufeinander losgehen, wie wenig konstruktiv mitunter gesprochen wird. Ehe man sich versieht, reißt schon wieder der nächste Graben auf, steht man jemandem plötzlich geradezu feindlich gegenüber. Shakespeare verzeiht in diesem Stück, das ist sehr wohltuend. Er zeigt seinen Helden Prospero als verletzte Figur, die dennoch andere sehr verletzt. Er bietet keine platte Lösung, er weiß um Rassismus, Schlechtigkeit und Egoismus und schenkt uns dennoch etwas Trost. Mich interessieren heute wieder Worte wie Romanze, Zauber, Reinheit oder Anmut. ‹
Festspiele Ludwigshafen
03. Oktober bis 12. Dezember 2020
Theater im Pfalzbau Ludwigshafen
www.theater-im-pfalzbau.de
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„Romanze, Zauber, Anmut“
Intendant Tilman Gersch zeigt bei den Festspielen zwei eigene Regie-Projekte.„Ratten Ludwigshafen“ ist ein Projekt mit unserer Bürgerbühne, dessen Premiere wir durch Corona verschieben mussten. Menschen aller Altersstufen aus verschiedenen Städten der Metropolregion erzählen in einer Variante von Hauptmanns „Ratten“ über ihre Hoffnungen, Sehnsüchte und schwierige Momente in ihrem Leben. Ein ganz anderer, berührender und durchaus festspielwürdiger Beitrag. Um die Festspiele wie geplant am 3. Oktober feierlich zu eröffnen, benötigten wir Ersatz für coronabedingte Ausfälle. So habe ich mich entschlossen, die für Mai 2021 geplante Premiere von „Der Sturm — die bezauberte Insel“ von William Shakespeare vorzuziehen. Mit drei hervorragenden Schauspieler*innen und drei Musiker*innen erarbeiten wir eine Version, die wir auf jeden Fall vier Mal bei den Festspielen zeigen können.Auf was fokussieren Sie sich bei „Der Sturm“?
Auf die möglichst vielstimmige, theatralische Umsetzung dieses poetischen, weisen Stückes. Mit drei Schauspieler*innen einen zauberhaften Kosmos von Theaterfiguren zu schaffen, ist eine große Freude. Die permanenten Wechsel der Charaktere erzeugen einen zusätzlichen Reiz. Dabei vereint das Spätwerk Shakespeares Themen, die uns heute sehr umtreiben.Das Stück handelt von Rache und Versöhnung. Kann es ein Trost in unserer Zeit sein, in der man sich gegenseitig manchmal mit extremem Hass bekämpft?
Ihre Frage zielt ganz sicher auf die Intention der Aufführung und trifft den Kern unseres Anliegens. Es tut weh und erschöpft, wie Menschen mit Meinungen, Forderungen, Behauptungen aufeinander losgehen, wie wenig konstruktiv mitunter gesprochen wird. Ehe man sich versieht, reißt schon wieder der nächste Graben auf, steht man jemandem plötzlich geradezu feindlich gegenüber. Shakespeare verzeiht in diesem Stück, das ist sehr wohltuend. Er zeigt seinen Helden Prospero als verletzte Figur, die dennoch andere sehr verletzt. Er bietet keine platte Lösung, er weiß um Rassismus, Schlechtigkeit und Egoismus und schenkt uns dennoch etwas Trost. Mich interessieren heute wieder Worte wie Romanze, Zauber, Reinheit oder Anmut. ‹
Festspiele Ludwigshafen
03. Oktober bis 12. Dezember 2020
Theater im Pfalzbau Ludwigshafen
www.theater-im-pfalzbau.de
Bildnachweis:
Ira Polyarnaya (Outside); Stephen Cummiskey (Fräulein Julie)Festspiele Ludwigshafen
Die Festspiele Ludwigshafen sind eine feste Größe im Programm des Theaters im Pfalzbau. Jedes Jahr im Herbst präsentieren sie Schauspiel- und Tanzaufführungen auf höchstem Niveau. Neben einem hochkarätigen Tanzprogramm, das von einem externen Kurator oder einer Kuratorin ausgewählt wird, steht bei den Festspielen auch alljährlich eine renommierte deutschsprachige Bühne im Fokus, die sich mit mehreren Gastspielen in Ludwigshafen präsentiert. So waren in den vergangenen Jahren unter anderem das Wiener Burgtheater, die Münchener Kammerspiele oder das Deutsche Schauspielhaus Hamburg mit ihren Inszenierungen zu Gast.
TerminSA 03. Oktober bis SA 12. Dezember 2020
AdressePfalzbau Bühnen // Berliner Straße 30 // 67059 Ludwigshafen // Kartentelefon: 0621 5042558 // E-Mail: pfalzbau.theaterkasse@ludwigshafen.de
SpielortePfalzbau Bühnen