› Der hagere Don Quijote mit dem Ziegenbärtchen und der selbstgebastelten Rüstung hat unsere Vorstellung von Ritterlichkeit und Mut wohl stärker geprägt als alle Haudegen zuvor. Vor mehr als 500 Jahren schuf Cervantes eines der bedeutendsten Werke der Weltliteratur. Nur die Bibel wurde häufiger übersetzt als die Geschichte vom Landadeligen, der süchtig nach Romanen von Rittern ist und sich entschließt, selbst einer zu werden, nachdem seine besorgte Familie die toxische Lektüre vor ihm weggesperrt hat. Raffinierte WendungViele Jahrhunderte später, Mitte der 1960er-Jahre, machte der amerikanische Drehbuchautor und Dramatiker Dale Wasserman aus diesem sensationellen Roman, dessen Strukturen Autor*innen bis in die Postmoderne inspirieren, ein Musical. Er nannte es „Der Mann von La Mancha“ und baute eine weitere raffinierte Wendung ein. Denn Cervantes ist in diesem Stück selbst Protagonist. Der Schriftsteller wird während der spanischen Inquisition eingekerkert und muss sich gegen die Mitgefangenen verteidigen. Er überzeugt die wilde Schar, die über ihn herfällt, mit dem Manuskript von „Don Quijote“. Gemeinsam mit den Häftlingen führt er sein Werk im Gefängnis auf. Die Musik dazu hat Mitch Leigh komponiert — eine Mischung aus flamencohaften Klängen, die in die kargen Steppen Spaniens führen, und Musical-Ohrwürmern wie „Dich träumen, unmöglicher Traum, Dich fordern, unschlagbarer Feind“. Der Clou ist, dass die Musical-Story auf wahren biografischen Gegebenheiten basiert. Als Cervantes 1616 starb, endete ein Leben voller Abenteuer. Der Nationaldichter, der aus einer verarmten Adelsfamilie stammte, kämpfte unter anderem in der Schlacht von Lepanto gegen die Mauren. Später verschleppten ihn algerische Korsaren als Sklaven nach Algier und seinen Roman über den Ritter von der traurigen Gestalt schrieb er tatsächlich hinter Gittern.
Im Sommer lässt sich das Erfolgsmusical, das fünf Tony-Awards erhielt, bei den Schlossfestspielen wiederentdecken. Für den Heidelberger Operndirektor Thomas Böckstiegel ist die bröckelnde Ruine die perfekte Kulisse für diese Illusion vom untergegangenen Rittertum. „Als wir das Stück noch einmal gelesen haben, haben wir gesagt, es gehört einfach aufs Heidelberger Schloss“, sagt er. Ebenfalls ein Glücksfall ist für ihn, dass er Cusch Jung von diesem Projekt überzeugen konnte. Der Chefregisseur der Musikalischen Komödie Leipzig gehört zu den wichtigsten Musical-Experten in Deutschland und übernimmt nicht nur die Regie, sondern schlüpft auch in die Dreifachrolle von Cervantes, dem verrückten Landjunker Alonso Quijano und dessen imaginierter Ritterfigur Don Quijote. „Lebe das Leben, wie es gelebt werden sollte“Der gebürtige Kaiserlauterer unternimmt damit eine Reise in die eigene Vergangenheit. „Als Kind war ich mit meinen Eltern oft auf dem Heidelberger Schloss“, erinnert sich der heute 65-Jährige. „Jetzt bin ich wahnsinnig stolz, dass ich dieses historische Stück mit diesem historischen Gemäuer als Kulisse spielen darf.“ An Don Quijote schätzt er besonders, dass dieser trotz oder vielleicht wegen seines Ritterwahns so wertvolle Wahrheiten ausspricht wie: „Lebe das Leben, wie es gelebt werden sollte, und nicht, wie es ist.“ Weniger Feindseligkeiten und Konflikte gäbe es, findet Jung, „wenn wir uns ein Stück weit daran halten würden“. Die Art und Weise, wie sich die anrührende Figur des Cervantes in der feindseligen Atmosphäre eines Gefängnisses wegträume, lasse sich, so der Regisseur, mit dem modernen Achtsamkeitsappell „Denke positiv“ vergleichen. Jung bezieht solche Gedanken auch in seine Arbeit mit dem Ensemble ein. „Wir probieren zunächst alles gemeinsam aus. Jeder kann seinen Charakter selbst entwickeln“, beschreibt er die Vorgehensweise. Schließlich hätten alle Schauspieler*innen eine eigene Historie, auf der alles aufbaue. Jung und Böckstiegel haben dafür ein buntes Ensemble zusammengestellt. Neben drei Mitgliedern des Heidelberger Opernensembles wirken acht Musical-Darsteller*innen mit. Darunter sind sogar ein Gitarrenspieler und ein Akrobat. So wie Don Quijote die Magie einer vergangenen Ritterwelt mit Verzauberungen, Turnieren, Liebesschwüren und Amouren entfacht hat, verspricht die Open-Air-Inszenierung einen wunderbaren Theaterzauber. ‹
Heidelberger Schlossfestspiele
11. Juni bis 30. Juli 2023
Heidelberger Schloss
www.theaterheidelberg.de
Heidelberger Schlossfestspiele
11. Juni bis 30. Juli 2023
Heidelberger Schloss
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Bildnachweis:
Susanne ReichardtHeidelberger Schlossfestspiele
Die weltbekannte und einzigartige Heidelberger Schlossruine bildet auch in dieser Sommersaison die Kulisse für die Schlossfestspiele. Im Schlosshof, im Dicken Turm und im Englischen Bau erwartet die Besucher ein abwechslungsreiches Programm bestehend aus Musical, Schauspiel, Konzert und Jungem Theater.
TerminSO 11. Juni bis SO 30. Juli 2023
AdresseTheater & Orchester der Stadt Heidelberg // Theaterstraße 10 // 69117 Heidelberg // Kartentelefon: 06221 58-20000 // E-Mail: tickets@theater.heidelberg.de
SpielorteSchloss Heidelberg