› Akrobatik, Clownerie, Tanz, Musik und szenisches Spiel: In der Welt des Zirkus verschmelzen zahlreiche Disziplinen zu einem Gesamtkunstwerk. Nichtsdestotrotz wurde die Zirkuskunst in Deutschland lange Zeit gering geschätzt und die Hochkultur grenzte sich seit Anfang des 20. Jahrhunderts scharf von ihr ab. Ganz anders als in unseren Nachbarländern Frankreich und Belgien, wo große Artist*innenschulen ganz selbstverständlich in die staatliche Kulturförderung miteinbezogen sind. Gerade das Straßentheater ist eng mit dem Zirkus verbunden. „In unserer schon mehr als zwanzig Jahre andauernden Festivalgeschichte gab es dementsprechend eine überschaubare Anzahl an deutschen Zirkusschulen und Compagnien, die wir buchten“, erklärt Monika Schill, Leiterin des Internationalen Straßentheaterfestivals Ludwigshafen. „Doch nun nimmt es Fahrt auf und in diesem Jahr sind vier Acts aus Deutschland mit dabei.“ Zuletzt sicher auch begünstigt durch die Entscheidung der UNESCO — im März 2023 wurde der Zirkus als eigenständige Form der darstellenden Kunst zum Immateriellen Kulturerbe in Deutschland ernannt. Wie vielfältig und hochwertig Straßentheater und Zirkuskunst sind, möchte das Straßentheaterfestival auch in diesem Jahr wieder unter Beweis stellen.
Sechs Locations laden mit unterschiedlichen Schwerpunkten an verschiedene Orte in der Ludwigshafener Innenstadt ein. Zum ersten Mal gibt es auch einen Spielort am Rheinufer. Die Besucher*innen können es sich bei den vermutlich hochsommerlichen Temperaturen direkt am Fluss auf den Treppenstufen vor der Rhein-Galerie bequem machen und die Vorführungen der Duos erleben, die hier auftreten. In der bespielten Installation „inzwischendrindraussen“ folgen die Zuschauer*innen Herrn und Frau Maier in ihre isolierte Welt. Es werden kleine Brötchen gebacken, Tonleitern geübt, Socken gestopft — aber auch das ganz große Drama findet statt! Die Berliner*innen Sabine Maier und Yogi Mohr alias „Die Meiers“ arbeiten als Luftakrobat*innen und Komiker*innen weltweit in Projekten des zeitgenössischen Zirkus und bringen ihren Mix aus Comedy, Zirkustheater und Live-Musik mit nach Ludwigshafen. Das Duo „L’Eolienne“ aus Frankreich erkundet mit „Lance-moi en l’Air“ die Verbindungen zwischen zwei Wesen, die Zerbrechlichkeit menschlicher Beziehungen, ihr Gleichgewicht, ihre Widersprüche und Energien. Bei „Les Dudes“ aus Kanada geht es in „Stories in the City“ ebenfalls um eine Liebesbeziehung. Verspielt und spitzbübisch, inspiriert von ihrem echten Paarsein thematisieren Francis Gadbois and Philippe Dreyfuss die Gleichstellung der Geschlechter und spielen mit Stereotypen.
Neben der Nähe zum Wasser, die das Festival durch den neuen Spielort gewinnt, geht der Blick dieses Mal auch vermehrt gen Himmel, denn gleich mehrere Gruppen zeigen Luftartistik, unter anderem auf dem Ludwigsplatz die Frauen-Kombos „Ino Kollektiv“ und „Wise Fools“. Zur Eröffnung am 28. Juli auf dem Platz der Deutschen Einheit gibt es mit der französischen Compagnie Chloé Moglia — Rhizome und ihrem Stück „La Spire“ wortwörtlich ein Highlight des Festivals. Die sechs Frauen der Gruppe zeigen ihre Akrobatik auf einer Stahldrahtspirale. Untermalt von einem Klangteppich zeichnen sie so poetische Bilder in den Ludwigshafener Himmel. Noch höher hinaus geht es mit Laypunov aus Belgien. „Wir planen hier einen spektakulären Hochseilakt zwischen dem Rathausturm und dem Sparkassenhochhaus“, berichtet Monika Schill. „Es soll auch symbolisch ein Abschied vom Rathauscenter sein, das das Stadtbild allein über seine Höhe, die dabei noch einmal in den Blick rückt, über Jahrzehnte geprägt hat.“

Wer zwischen all den Attraktionen eine kurze Verschnaufpause braucht, dem sei der Karl-Kornmann-Platz vor dem Kulturzentrum dasHaus empfohlen. Wie bereits im vergangenen Jahr gibt es auch 2023 hier ein Festivalzentrum, das einerseits als zusätzlicher Aufführungsort dient, anderseits als gemütlicher Treffpunkt: „Hier können die Artist*innen und die Besucher*innen zusammenkommen und sich zwischen den Vorstellungen stärken“, erklärt Schill. Auch in diesem Jahr wird auf ein nachhaltiges, regionales Gastronomiekonzept Wert gelegt. Und auch die zahlreichen weiblichen Darstellenden, die bei dieser Ausgabe sogar deutlich in der Überzahl sind, sind kein Zufall. „Wir verstehen uns als Festival, das ganz selbstverständlich feministisch, inklusiv und klimafreundlich ist und auf dem sich alle wohlfühlen sowie inspirierende Momente erleben können“, resümiert Schill. ‹

Internationales Straßentheaterfestival Ludwigshafen
28. bis 30. Juli 2023
Karl-Kornmann-Platz, Bismarckstraße, Ludwigsplatz, Platz der Deutschen Einheit, Rheinufer vor der Rheingalerie
ludwigshafen.de