› Pandemien sind bekanntlich keine Erfindung unserer Zeit. 1775 wurde die Kurpfalz von einer schweren Grippewelle heimgesucht, etliche Menschen starben. Als auch Kurfürst Carl Theodor erkrankte, wuchs die Furcht vor einem Krieg um das Erbe des kinderlosen Monarchen. Nun, der Landesherr erholte sich zum Glück, und aus diesem Anlass wurde im Schlosspark, auf der neu errichteten Naturtheaterbühne vor dem Apollotempel, eine Freiluftoper aufgeführt. Die Musik stammte vom langjährigen württembergischen Hofkapellmeister Niccolò Jommelli, und ihr Titel war Programm: „L’Arcadia conservata“ (Das wiederhergestellte Arkadien). Ausschnitte aus diesem Werk erklingen bei den diesjährigen Festspielen, dazu weitere Stücke aus dem „Goldenen Zeitalter“ der Kurpfalz.Schwetzingen als utopischer GegenentwurfZugegeben, mit der idealen Hirtenwelt Arkadiens hat selbst die schönste Schlossanlage des Feudalzeitalters wenig gemein. Und doch ist das Ganze mehr als nur ein Propagandatrick. Carl Theodor sah sich als aufgeklärter Herrscher, als ein Regent, der seinem Volk auf Augenhöhe begegnete. Im täglichen Leben war diese Idee kaum umsetzbar, aber vielleicht an einem besonderen, dem Alltag enthobenen Ort. Genau als solcher sind Schloss und Park Schwetzingen konzipiert: eine Spielfläche der Fantasie, auf der weniger die Standeszugehörigkeit zählt als das Interesse an dem, was den Menschen ausmacht, seiner Kultur. Und diese Kultur mit all ihren Ausprägungen wird hier sinnlich erfahrbar — in Gebäuden, Skulpturen, in gestalteter Natur, aber auch in Konzerten, Tanz- und Schauspielaufführungen. Schwetzingen als eine Art Gesamtkunstwerk, als ein utopischer Gegenentwurf zum unvollkommenen Alltag. Und für diese Utopie steht der Traum von Arkadien.Es lohnt sich, für Träume zu kämpfenDas kann man natürlich belächeln, aber auch darauf verweisen, dass einige Träume Wirklichkeit geworden sind: Gleichberechtigung, ein friedliches Miteinander, selbstbestimmtes Leben. An ihnen weiterzuarbeiten, sie allen Menschen zu ermöglichen, könnte unser „arkadisches“ Ziel sein. Wenn die Schwetzinger SWR Festspiele Opern aus der Epoche Carl Theodors ausgraben, ist das mehr als nur eine Rückkehr zu den Wurzeln. Es ist eine Erinnerung daran, dass es sich lohnt, für Träume zu kämpfen.Dies spiegelt sich auch in den beiden Bühnenwerken, die im Zentrum der Festspiele 2022 stehen. Da ist einmal Giuseppe Gazzanigas Oper „L’Isola d’Alcina“ von 1772, eine deftige Parodie auf alte Mythen und Aberglauben, die es abzuschneiden gilt wie den Zopf der Zauberin Alcina im Stück. Und als Pendant eine Uraufführung: „Kapitän Nemos Bibliothek“ von Johannes Kalitzke nach dem Roman von Per Olov Enquist. Hier stehen sich Realität und Fantasie schroff gegenüber, bietet allein die Poesie einen Schutzraum für geschundene Seelen.Barocke Pastorale und romantische SonatenDass Utopien und Sehnsüchte kein Privileg einer Epoche allein sind, zieht sich wie ein roter Faden durch das Programm der Schwetzinger SWR Festspiele. „Arcadiana“ betitelte der britische Komponist Thomas Adès sein Streichquartett op. 12 von 1994. Daneben stehen barocke Pastoralen, romantische Sonaten sowie Kompositionen von Mitgliedern der römischen Accademia dell’Arcadia — alles Werke, die das utopische Potenzial von Musik erkunden. Und natürlich kommen die Elitemusiker der Mannheimer Schule zu Gehör, die Kurfürst Carl Theodor an seinen Hof berief, um sich seinen Traum vom Arkadien der Musik zu verwirklichen. Unter diesen Sängern, Instrumentalisten und Komponisten herrschte sowohl Konkurrenz als auch Kollegialität: Man lernte voneinander, spornte sich zu Höchstleistungen an, kümmerte sich um Talente. Und so konnten Stamitz, Cannabich, Cramer zu einem europäischen Exportschlager werden.Bei Schwetzingen als Arkadien geht es aber nicht nur um Musik. Dass Carl Theodor das Ganze im Blick hatte, erschließt sich auch heute beim Rundgang durch den Schlosspark. Einige Programmpunkte finden daher open air statt, vom Gartenkonzert über den Stadtrundgang mit Musik bis zur Klanginstallation im Moscheegarten. Abgerundet wird dieser Aspekt durch einen Vortrag des Historikers Hans von Trotha zur Geschichte der Gartenkunst. Eine Kunst, deren Ziel es war, alle Sinne anzusprechen, indem sie Text, Musik, Bild, Bewegung, Natur vereinte und aufeinander einwirken ließ. Wie eben in Schwetzingen. ‹70 Jahre Schwetzinger SWR Festspiele — „Arkadien“
29. April bis 28. Mai 2022
Schloss und Schlossgarten Schwetzingen
www.schwetzinger-swr-festspiele.de
SWR2 MUSIKSTUNDE mit Katharina Eickhoff
Einmal Arkadien, bitte! Von der Sehnsucht nach Idylle. Eine ganze Woche lang geht es um das Leitmotiv der diesjährigen Schwetzinger SWR Festspiele.
Sendedaten 25. bis 29. April 2022, jeweils 9.05–10.00 Uhr
im Kulturradio SWR2Kapitän Nemos Bibliothek
Neue Oper von Johannes Kalitzke nach dem gleichnamigen Roman von Per Olov Enquist. Mit dem Ensemble Modern, Johannes Kalitzke (Dirigent), Sängern und Puppenspielern. Regie: Christoph Werner
29. April, 19 Uhr / 01. Mai, 18 Uhr / 02. Mai 2022, 19 Uhr,
RokokotheaterL’Isola d’Alcina
Komische Oper von Giuseppe Gazzaniga — mit L’arte del mondo, Werner Ehrhardt (Dirigent), Francesca Lombardi Mazulli (Alcina) und vielen mehr. Regie: Christoph von Bernuth
12. & 14. Mai, jeweils 19 Uhr / 15. Mai 2022, 18 Uhr, RokokotheaterMedea
Melodram von Georg Anton Benda — mit La Stagione Frankfurt, Marina Galic (Medea), Michael Rotschopf (Jason) und vielen mehr
20. Mai 2022, 19 Uhr, RokokotheaterMozarts Freiheit
mit Klaus Maria Brandauer und dem GrauSchumacher PianoDuo
28. Mai 2022, 19.30 Uhr, RokokotheaterTipp! Alle Konzerte und Opern werden vom Kulturradio SWR2 begleitet und nach ihrer Ausstrahlung im Internet auf SWR2.de zum Nachhören bereitgestellt.
29. April bis 28. Mai 2022
Schloss und Schlossgarten Schwetzingen
www.schwetzinger-swr-festspiele.de
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SWR2 MUSIKSTUNDE mit Katharina Eickhoff
Einmal Arkadien, bitte! Von der Sehnsucht nach Idylle. Eine ganze Woche lang geht es um das Leitmotiv der diesjährigen Schwetzinger SWR Festspiele.
Sendedaten 25. bis 29. April 2022, jeweils 9.05–10.00 Uhr
im Kulturradio SWR2Kapitän Nemos Bibliothek
Neue Oper von Johannes Kalitzke nach dem gleichnamigen Roman von Per Olov Enquist. Mit dem Ensemble Modern, Johannes Kalitzke (Dirigent), Sängern und Puppenspielern. Regie: Christoph Werner
29. April, 19 Uhr / 01. Mai, 18 Uhr / 02. Mai 2022, 19 Uhr,
RokokotheaterL’Isola d’Alcina
Komische Oper von Giuseppe Gazzaniga — mit L’arte del mondo, Werner Ehrhardt (Dirigent), Francesca Lombardi Mazulli (Alcina) und vielen mehr. Regie: Christoph von Bernuth
12. & 14. Mai, jeweils 19 Uhr / 15. Mai 2022, 18 Uhr, RokokotheaterMedea
Melodram von Georg Anton Benda — mit La Stagione Frankfurt, Marina Galic (Medea), Michael Rotschopf (Jason) und vielen mehr
20. Mai 2022, 19 Uhr, RokokotheaterMozarts Freiheit
mit Klaus Maria Brandauer und dem GrauSchumacher PianoDuo
28. Mai 2022, 19.30 Uhr, RokokotheaterTipp! Alle Konzerte und Opern werden vom Kulturradio SWR2 begleitet und nach ihrer Ausstrahlung im Internet auf SWR2.de zum Nachhören bereitgestellt.
Bildnachweis:
Foto: Axel-Matthies © Staatliche Schlösser und Gärten Baden-WürttembergSchwetzinger SWR Festspiele
Die Schwetzinger SWR Festspiele sind seit 1952 ein internationales Festival der klassischen Musik. Jährlich präsentieren sie im Frühjahr in den historischen Räumlichkeiten des Schwetzinger Schlosses über 50 Konzerte. Ihre Veranstaltungen werden vom Rundfunk begleitet und weltweit gesendet. Neben zahlreichen Konzerten umfasst das Programm auch Oper und Musiktheater, Klanginstallationen und viele SWR Kultur Sendungen vor Ort. Im Auftrag der Festspiele entsteht jedes Jahr eine Musiktheaterproduktion, mit deren Uraufführung die Saison festlich eröffnet wird.
TerminFR 29. April bis SA 28. Mai 2022
AdresseSchwetzinger SWR Festspiele gGmbH // Hans-Bredow-Straße // 76530 Baden-Baden //Kartentelefon: 07221 300200
SpielorteSchwetzinger Schloss, Dom zu Speyer und Dreifaltigkeitskirche, Speyer
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