Schlösser und Gärten Baden-Württemberg

Das Fernweh der Fürsten

› Glänzende Lackarbeiten, schimmerndes Perlmutt oder filigranes Porzellan — die kostbaren Importe müssen die Menschen im 17. und 18. Jahrhundert mit ihrer Pracht überwältigt haben. Mit ihrem geheimnisvollen Material und faszinierenden Bildern regten sie Fantasie, Fernweh und die Sehnsucht nach Unbekanntem an: Tempel und Drachen aus Japan und China, ungewöhnliche Tiere wie Affen, Elefanten und Papageien. Diese Motive prägten nicht nur die importierten Kleinodien, sie fanden ihren Niederschlag auch in der abendländischen Kunst — und inspirierten Künstler und Kunsthandwerker zu eigenen exotischen und fantasievollen Bilderwelten.

Fremde Tiere, schöne Menschen, üppige Obstbäume

Ein eindrucksvolles Beispiel hierfür gibt es in der Dauerausstellung von Schloss Mannheim zu bestaunen: Die vier großformatigen Wandbehänge der „Neu-Indien-Serie“ vermitteln ein Bild der Neuen Welt, wie man sie sich im Barock vorstellte: Die Tapisserien zeigen farbenprächtige Kompositionen mit fremden, aber auch mit einheimischen Tieren, mit schönen Menschen unter mächtigen Palmwedeln und mit Landschaften voller üppiger Obstbäume. Ein paradiesisches Idyll? Nur auf den ersten Blick! Die bunten Teppiche zeichnen vielmehr das Idealbild einer tropischen Gegenwelt im Urzustand. Sie spiegeln die Sehnsucht der Europäer nach dem Paradies wider, das man im 18. Jahrhundert längst nicht mehr in der Bibel suchte. An die Kehrseite der faszinierenden Medaille — Sklavenhandel und Kolonialismus — dachte man damals nicht.
  • mannheim schloss barock tapisserie gobelin wandteppich neu indien serie
    Frede Menschen, Tiere und Pflanzen – die großformatigen Tapisserien der Neu-Indien-Serie im Barockschloss Mannheim sind farbenprächtige Manifeste der barocken Sehnsucht nach Exotik …
  • mannheim schloss barock tapisserie gobelin wandteppich neu indien serie
    … und gleichzeitig Vorboten des zerstörerischen Kolonialismus, der in Afrika und Indien im 19. Jahrhundert seinen Höhepunkt erreichte.
    (Bilder: Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg, Fotos: Arnim Weischer)
Doch es waren nicht nur Artefakte und Darstellungen, die die Menschen im Barock faszinierten, sondern auch die Natur selbst. Denn durch die Entdeckungs- und Handelsfahrten kamen unbekannte Bäume und Blumen aus Asien, Afrika und Amerika nach Europa in die Gärten und Parks — von der Platane bis zur Tulpe. Diese exotischen Baum-, Stauden- und Blumenraritäten waren wegen ihrer Farbenpracht und ihrer außergewöhnlichen Formen beim europäischen Adel ausgesprochen begehrt  — und spielten bei der Gestaltung der herrschaftlichen Gärten und Parks eine wichtige Rolle. Sie waren nicht nur schön anzusehen, sondern unterstrichen auch die Macht, das Ansehen und das Stilbewusstsein eines Herrschers. Gleichzeitig legten die Exoten häufig den Grundstein für wertvolle botanische Sammlungen, wie das Arborium Theodoricum, den Baumlehrgarten in Schwetzingen. Denn wie andere Regenten seiner Zeit hatte auch Kurfürst Carl Theodor eine Vorliebe für das damals Fremde und Außergewöhnliche.

Chinesisches Zimmer und Gartenmoschee

Neben den botanischen Schätzen finden sich im Schlossgarten Schwetzingen auch andere Spuren der Sehnsucht nach Exotik. In seinem privaten Rückzugsort, dem Badhaus, ließ der Kurfürst ein Chinesisches Zimmer mit Seidentapeten und chinoisen Motiven ausstatten — und griff damit die Chinamode seiner Zeit auf. Noch pracht- und eindrucksvoller ist die Gartenmoschee, die sich als orientalische Fantasie präsentiert: Während Architektur und Innenräume orientalische Elemente aufgreifen, ist sie dennoch kein Ort des Gebets. Denn es fehlen so essenzielle Dinge wie eine Mihrab, die Gebetsnische, oder eine Minbar, die Predigtkanzel mit Treppe. Außerdem gibt es keine Einrichtungen für die rituelle Reinigung vor dem Gebet.

Die Gartenmoschee gestaltete Hofarchitekt Nicolas de Pigage vielmehr als einen Ort der inneren Einkehr. Die Inschriften am Gebäude verweisen vor allem auf allgemeine Tugenden wie Weisheit, aber auch Fleiß oder Verschwiegenheit. Sie greifen einen beliebten Gedanken der Zeit auf: die Weisheit als Brücke zwischen Ost und West. Heute ist die Schwetzinger Gartenmoschee eine absolute Rarität. Der eindrucksvolle Bau ist der weltweit letzte seiner Art — und ein faszinierendes Zeugnis der europäischen Orientbegeisterung. ‹


„Exotik — Faszination und Fantasie in den Schlössern, Gärten und Klöstern“
Unter dem Motto „Exotik. Faszination und Fantasie“ erkunden die Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg die Faszination von exotischen Handelswaren und die Sehnsucht der Barockfürsten nach fernen Ländern ebenso wie die Schattenseiten des europäischen Verlangens nach Exotik. Sie zeigen die Wege von duftenden Gewürzen, kostbar gearbeitetem Kunsthandwerk und außergewöhnlichen Pflanzen nach Europa — bis in die höfischen Sammlungen und Gärten der badischen und württembergischen Regenten.
Informationen und Angebote unter www.schloesser-und-gaerten.de
Bildnachweis:
Günther Bayerl

Staatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg

Die Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg öffnen, vermitteln, entwickeln und bewahren 59 der landeseigenen historischen Monumente im deutschen Südwesten. In der Metropolregion Rhein-Neckar ist die Verwaltung der Staatlichen Schlösser & Gärten für das Schloss Heidelberg, das Barockschloss Mannheim sowie Schloss und Schlossgarten Schwetzingen zuständig. Das Themenjahr 2018 steht unter dem Motto „Von Tisch und Tafel“ und lockt die Besucher mit vielen attraktiven Angeboten in die historischen Anlagen.
AdresseStaatliche Schlösser und Gärten Baden-Württemberg – Zentrale // Schlossraum 22 a // 76646 Bruchsal // Telefon: 07251 742701 /E-Mail: info@ssg.bwl.de
facebooktwitterg+Mail