› Das achte Jahrhundert vor Christus. Postkarten, Telefone oder gar Social Media gibt es noch nicht. Und so fehlt von Odysseus, dessen Heimreise vom Trojanischen Krieg zu einer Irrfahrt wird, jahrelang jedes Lebenszeichen, bevor er schließlich doch nach Ithaka zu seiner Frau Penelope zurückkehrt. Genau diesen Moment — die Heimkehr des Superhelden mit all dem Beziehungsballast, der sich während der Irrfahrt angesammelt hat — rückt der Komponist Reinhard Keiser in seiner Oper „Ulysses“ in den Mittelpunkt. Geniale EinfälleDas Werk wurde 1722 in Kopenhagen uraufgeführt und sollte zunächst für Keiser und seine Kunst beim dänischen Königshaus werben. „Der mythologische Stoff diente als Huldigungsoper für das dänische Königspaar, um deren Treue, aber auch die Treue des Volkes zu feiern“, erklärt Thomas Böckstiegel, der zusammen mit Ulrike Schumann das Leitungsteam der Heidelberger Oper bildet. „Das Werk ist aber weit mehr als eine gelungene Werbemaßnahme, denn es strotzt vor genialen musikalischen Einfällen und verdichtet die Handlung zu einer mitreißenden Geschichte.“Barockmusikalische JuwelenDie Oper reiht sich nahtlos in die Reihe der barockmusikalischen Juwelen ein, die beim Winter in Schwetzingen wiederentdeckt und aufgeführt werden und für die die ehemalige Sommerresidenz der Kurfürsten die perfekte Kulisse bietet. Bei ihrer Recherche konzentrieren sich Schumann und Böckstiegel auf den deutschen Barock und entdecken immer wieder Kleinode wie vor drei Jahren „Die getreue Alceste“ von Georg Caspar Schürmann. „Werke von Reinhard Keiser aufzuführen, haben wir uns von Anfang an vorgenommen“, verrät Ulrike Schumann. „Neben Georg Philipp Telemann war er stilprägend für den norddeutschen Barock und gilt in Fachkreisen mitunter als das größte musikalische Talent seiner Zeit.“
Generell beobachten Schumann und Böckstiegel, dass die deutsche Barockmusik gerade eine starke Renaissance erlebt. „Wir freuen uns, diese besondere Musik in Schwetzingen präsentieren zu können, die bereits große Begeisterung bei unserem Publikum ausgelöst hat. Deutsche Barockmusik muss sich nicht hinter den brillanten italienischen Werken der Zeit verstecken!“Adaption an die GegenwartAuch Clemens Flick, Spezialist für Alte Musik und regelmäßiger Gast in Schwetzingen, war von der diesjährigen Wahl sofort begeistert. Der Dirigent ist für seinen mutigen und spielerischen Zugriff auf Barockwerke bekannt. Im vergangenen Jahr hat er bei der Musiktheaterproduktion „Was frag ich nach der Welt“ einen Bogen bis hin zu jazzigen Anklängen gespannt. Regie führt Nicola Raab, die schon an vielen anderen internationalen Theatern und bei den Bregenzer Festspielen gearbeitet hat. Bei ihrer Inszenierung ist mit einer Adaption an die Gegenwart zu rechnen. Schurken und Zauberinnen„Bereits in der damaligen Zeit haben die Künstler*innen die mythologischen Stoffe auf ihr Leben übertragen und so wird es auch bei uns eine Übertragung geben, die den Mythos für die heutige Zeit begreifbar macht“, erläutert Böckstiegel den Regieansatz. Die Themen Reise und Zurückkommen seien zudem auch heute hochaktuell: „Diese Oper verhandelt Themen wie Familie und Beziehung, die uns heute genauso bewegen wie im 18. Jahrhundert, aber auch das Empfinden von Einsamkeit oder die Angst vor Verlust sind Substrat der Handlung“, sagt Böckstiegel. „Aber wie es sich für eine gute Barockoper gehört, wird dies in einem Rahmen zwischen Schurken, Zauberinnen und faszinierenden Gestalten verhandelt und in farbenreiche Musik gesetzt, die zu begeistern weiß.“Über den Komponisten Keiser, Sohn einer alleinerziehenden Mutter, ist wenig bekannt. Er wurde 65 Jahre alt und hatte lange Zeit den Ruf, ein ausschweifendes Leben geführt zu haben. Spätere Forschungen haben dies jedoch widerlegt. Vermutlich handelt es sich um Gerüchte, die Konkurrenten im Gerangel um Posten gestreut haben. Geschadet haben sie ihm nicht. Seine Musik lebt bis heute weiter — in diesem Winter in Schwetzingen. ‹Winter in Schwetzingen
03. Dezember 2022 bis 02. Februar 2023
Schloss Schwetzingen, Peterskirche und Theater Heidelberg
www.theaterheidelberg.de
03. Dezember 2022 bis 02. Februar 2023
Schloss Schwetzingen, Peterskirche und Theater Heidelberg
www.theaterheidelberg.de
Bildnachweis:
Florian Merdes (Collage); Susanne Reichardt (Böckstiegel/Schumann/Schultze); Jörg Singer (Kuba); Lucian_Hunziker (Schachtner); Ida Zenna (Lautten Compagney; ROGER/PAULET (Aux Pieds du Roy)Winter in Schwetzingen
Seit mehr als 15 Jahren bietet das Barock-Fest im Rokokotheater des Schwetzinger Schlosses Begegnungen mit Opernraritäten des Barocks. Inzwischen hat das Festival einen festen Platz in der deutschen Kulturlandschaft, immer wieder werden Aufführungen durch die Fachpresse als »Wiederentdeckung des Jahres« gewürdigt. Neben dem zentralen Werk, das in einer Neuinszenierung das Zentrum einer jeden Ausgabe bildet, bieten hochkarätige Konzerte in der kurfürstlichen Sommerresidenz den Rahmen. Mit der künstlerischen Leitung des Direktionsteams Ulrike Schumann und Thomas Böckstiegel widmet sich der Winter in Schwetzingen seit 2019 der Wiederentdeckung der Werke deutscher Barockkomponisten.
TerminSA 03. Dezember 2022 bis DO 02. Februar 2023
AdresseTheater und Orchester Heidelberg // Theaterstraße 10 // 69117 Heidelberg
SpielorteSchloss Schwetzingen