› Zu teuer, zu kitschig, zu elitär. Viel wurde über das Berliner Humboldt-Forum im zum Teil rekonstruierten historischen Stadtschloss gestritten, bevor es in diesem Sommer seine Tore öffnete. Eine besonders kontrovers geführte Diskussion war allerdings vorab über die Inhalte entbrannt, genauer die Ausstellung der ethnologischen Sammlung der Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Ein Herzstück sollten die sogenannten Benin-Bronzen sein. Mit diesem Begriff werden Objekte bezeichnet, die im Königspalast von Benin City, der heute drittgrößten Stadt Nigerias, aufbewahrt und präsentiert wurden. Im Jahre 1897 wurden Stadt und Palast bei einem der brutalsten Raubzüge der Kolonialgeschichte durch die Briten zerstört und geplündert. Die höfischen Kunstobjekte gelangten anschließend in zahlreiche Privatsammlungen und Museen in Europa, Amerika und anderen Gebieten. Nun fordert Nigeria diese unter großem Leid erbeuteten Objekte zurück.
Auch die Reiss-Engelhorn-Museen sind von dieser sogenannten Restitutions-Debatte betroffen. „Wir besitzen nach dem Stand der Forschung etwa 30 Objekte, die möglicherweise mit den damaligen Plünderungen in Zusammenhang stehen beziehungsweise aus dem königlichen Palast stammen können“, berichtet Sarah Nelly Friedland, Direktorin Archäologie und Weltkulturen an den Reiss-Engelhorn-Museen. Bei den fraglichen Objekten handelt es sich um fünfzehn Benin-Bronzen, darunter drei Skulpturenköpfe, drei Reliefplatten sowie Glocken, Gefäße und Waffen. Hinzu kommen Elfenbeinstoßzähne und Holzobjekte. „Die Objekte kamen schon weit vor dem Zweiten Weltkrieg zu uns ins Haus und wurden im Museum Weltkulturen ausgestellt“, erläutert Friedland. „Nun sind sie aber seit mehr als 20 Jahren nicht mehr zu sehen, denn unsere völkerkundliche Ausstellung war nicht mehr zeitgemäß.“ Als ersten Schritt der Aufarbeitung dieses Themas übermittelten die rem eine Übersicht über die Bestände an das Projekt „Digital Benin“. Zudem stehen die Reiss-Engelhorn-Museen in Kontakt mit Mitgliedern der Benin Dialogue Group, in der sich die Museen mit den größten Benin-Sammlungen organisieren.Doch auch über die Benin-Bronzen hinaus wird der Umgang mit dem kolonialen Erbe und mit zu Unrecht erworbenen oder unter unklaren Umständen in die eigenen Sammlungen gelangten Objekten in den Reiss-Engelhorn-Museen seit geraumer Zeit diskutiert. „Wie bei den Benin-Stücken ist es auch bei anderen Objekten das Wichtigste, Bestände und Quellen digital zu erfassen und zugänglich zu machen“, betont Friedland. Dank einer Förderung durch das Ministerium für Wissenschaft, Forschung und Kunst Baden-Württemberg ist es möglich, in den kommenden beiden Jahren Sammlungsobjekte aus Afrika zu digitalisieren und in einer Online-Datenbank zu veröffentlichen. Unterstützung erhalten die rem dabei von Aziz Sandja aus Togo. Der 25-jährige Germanist und Kulturwissenschaftler hat sich bereits während seines Studiums an der Universität von Lomé intensiv mit den Themen Kolonialismus und Archivwesen auseinandergesetzt. Im Fokus des Projekts stehen zwei Sammlungen, die beide einen direkten Bezug zu ehemaligen deutschen Kolonialgebieten haben: Die Sammlung „Bumiller“, die vorwiegend aus (Deutsch-)Ostafrika stammt, und die Sammlung „Thorbecke“, die im Wesentlichen in Kamerun erworben wurde. Sie wurden im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert zusammengetragen und bieten einen guten Ausgangspunkt für weitere Forschungen. Die Sammlungsobjekte sowie alle damit in Verbindung zu bringenden Archivalien und Dokumente werden nun digital erfasst und in die Deutsche Digitale Bibliothek eingepflegt. „Es handelt sich dabei um zwei Sammlungen, die stark in der Stadtgesellschaft verankert sind. Grundsätzlich soll dies aber erst der Anfang dieser Aufarbeitungsarbeit sein“, betont Friedland. Auch in Mannheim sei es langfristig ein Ziel, wieder eine ethnologische Schau zu zeigen. Allerdings mit neuen Konzepten, bei denen die Herkunftsgesellschaften viel stärker eingebunden werden und auch abgebildet wird, wie sich die modernen Gesellschaften verändert haben. „Generell hat sich in der europäischen Museumslandschaft der Blick auf völkerkundliche Schauen verändert. Nicht nur, dass Objekte häufig unter unklaren Umständen in die hiesigen Museen gelangten, auch wurden Gegenstände, die in den Herkunftsländern rituell aufgeladen sind, häufig sehr unsensibel ausgestellt“, sagt Friedland.Für die Zukunft wünscht sich die Direktorin, dass noch enger mit den Archiven in Afrika zusammengearbeitet wird. „Auch ich lerne in diesem Bereich täglich dazu“, bestätigt Friedland. Aber gerade das zeige die Kraft von völkerkundlichen Sammlungen: „Museen müssen Formate entwickeln, um die Exponate nicht als unserer Kultur fremde Kuriosa zu präsentieren“, resümiert Friedland. „Vielmehr sind sie Botschafter von Gesellschaften, mit denen wir uns auseinandersetzen sollten, da sie wertvolle Einblicke in die Kultur des menschlichen Geistes vermitteln.“ ‹Stichwort Restitution
Der Begriff „Restitution“ wurde erstmals in der Debatte um die Raubkunst aus der Zeit des Nationalsozialismus geprägt und beschrieb den Versuch, die Eigentumsverhältnisse an von den Nazis enteigneten oder geraubten Kunstwerken wiederherzustellen. Inzwischen hat er sich auch in der Diskussion um Kulturgüter und Artefakte durchgesetzt, die während der Kolonialherrschaft aus den betreffenden Ländern und Gebieten entwendet und nach Europa oder in die USA gebracht wurden, wo sie heute zum großen Teil Bestandteil von Museumssammlungen sind.
Der Begriff „Restitution“ wurde erstmals in der Debatte um die Raubkunst aus der Zeit des Nationalsozialismus geprägt und beschrieb den Versuch, die Eigentumsverhältnisse an von den Nazis enteigneten oder geraubten Kunstwerken wiederherzustellen. Inzwischen hat er sich auch in der Diskussion um Kulturgüter und Artefakte durchgesetzt, die während der Kolonialherrschaft aus den betreffenden Ländern und Gebieten entwendet und nach Europa oder in die USA gebracht wurden, wo sie heute zum großen Teil Bestandteil von Museumssammlungen sind.
Bildnachweis:
Theodor Bumiller in kolonialer Pose mit ungenannten Soldaten und Teilnehmern einer Militärexpedition in Deutsch-Ostafrika, zw. 1889-1893 / Elefantenstoßzahn als Geschenk des ostafrikanischen Sklaven- und Elfenbeinhändlers Tippu-Tip an Theodor Bumiller in der Weltkulturen-Sammlung der Reiss-Engelhonr-Museen; mit alter Ausstellungsmontage aus den 1920er/30er JahrenReiss-Engelhorn-Museen
Die Reiss-Engelhorn-Museen sind ein international agierender Museumsverbund mit vier Ausstellungshäusern im Herzen Mannheims. Ihr breites Sammlungsspektrum und ihre Sonderausstellungen vermitteln kulturgeschichtliche Vergangenheit und Gegenwart. Außerdem werden drei Forschungseinrichtungen betrieben. Mit all diesen Aktivitäten haben sich die Reiss-Engelhorn-Museen weit über die Region hinaus einen Namen gemacht.
AdresseReiss-Engelhorn-Museen // Museum Weltkulturen D5 // 68159 Mannheim // Telefon: 0621 2933150 // E-Mail: reiss-engelhorn-museen@mannheim.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag (auch an Feiertagen) 11–18 Uhr
Infoswww.rem-mannheim.de