Eine steile, steinerne Treppe windet sich in den ersten Stock. Sie führt in einen kleinen Raum mit knarzenden Holzdielen. Auf der rechten Seite die Sitzplätze auf zwei großen Stufen. Zehn in der ersten Reihe, neun in der zweiten und zwei in der kleinen Wandnische. Auf der linken die Spielfläche, sechs Quadratmeter groß. Sechs Quadratmeter, auf denen zum Beispiel ein Schiff zu einer Reise auf dem Amazonas ablegt, ein eiskalter Schneesturm tobt und ein Mädchen durch Berlin irrt. Auf denen gemordet und geliebt wird, gestritten und musiziert. Sechs Quadratmeter, auf denen das Leben spielt.

Das kleinste Theater in Deutschlands

Das „Theader“ in Freinsheim ist das wohl kleinste Theater in Deutschland. Noch dazu an einem äußerst ungewöhnlichen Ort: dem Casinoturm. Einem mittelalterlichen Wehrturm, Teil der Freinsheimer Stadtmauer. Dass hier seit 2007 Theater gespielt wird, liegt an einer Frau: Anja Kleinhans. Sie ist in Weisenheim geboren, nur wenige Kilometer von Freinsheim entfernt. Schon in der Grundschule spielte sie in der Theater-AG und auch später am Gymnasium in Frankenthal. „Das war für mich der Anker meiner Schulzeit“, erzählt sie. „Aber ich habe das nie als realistischen Beruf gesehen.“ Bis sie als Au-pair in die USA ging und sich dort parallel für einen Studiengang einschreiben musste. Sie wählte das Fach Schauspiel an der Harvard-Universität. Die Dozentin dort bestärkte sie darin, ihre Leidenschaft doch zum Beruf zu machen. Sie wagte den Schritt und machte eine Ausbildung zur Schauspielerin am Europäischen Theaterinstitut in Berlin. Danach spielte sie auf großen und kleinen Bühnen in ganz Deutschland.

Der Schlüssel für den Turm

Als sie auf Besuch in der Pfalz war, erfuhr sie, dass ein Turm der Freinsheimer Stadtmauer, der Diebesturm, neu vermietet wurde. Sie bewarb sich spontan, bekam die Zusage und zog in die Pfalz zurück. „Das war das Einzige, was mich damals aus Berlin weglocken konnte: Wohnen in einem mittelalterlichen Turm.“ Anja Kleinhans lacht. Ganze 37 Quadratmeter, verteilt auf drei Stockwerke. Und so bekam sie auch mit, dass der benachbarte Casinoturm kaum noch für Festivitäten gemietet wurde. „Da ein kleines, freies Theater rein — das wär’s!“, träumte sie. Sie schrieb ein Konzept, bewarb sich bei der Stadt — und hielt einige Monate später den Schlüssel für den Turm in der Hand.

Regisseurin, Beleuchterin, Bühnenbildnerin, Putzfrau

Heute ist Anja Kleinhans das „Theader“. Sie leitet es, stellt die Scheinwerfer ein, kümmert sich ums Bühnenbild, spielt, führt Regie, saugt und putzt. Unterstützung bekommt sie unter anderem von ihrer Mutter Siegrid, die. wann immer sie Zeit hat, hinter der kleinen Theke im Erdgeschoss steht. Einen Traum hat Anja Kleinhans noch: ihr „Theater der Liebe“. Ein größeres Theaterformat, das sie derzeit schon auf einer mobilen Bühne an verschiedenen Orten umsetzt, für das sie aber noch eine feste Heimat sucht. Genauso schön wie der Turm am liebsten, aber etwas größer und geräumiger. „Mit 21 Plätzen bietet der Turm eben doch nur begrenzte Möglichkeiten. Und für ältere Menschen können Treppe und Sitze eine Herausforderung sein“, erklärt sie. Außerdem würde sie gerne mehr im Team arbeiten und genießt auch deshalb die Kooperation mit anderen freien Theatern in der Region.

Doch selbst wenn das „Theater der Liebe“ irgendwann einmal eine feste Heimat bekommt: Den TheaderTurm würde Anja Kleinhans auf keinen Fall aufgeben. „Nachdem der Turm sich als solch feine und besondere Kulturstätte entpuppt hat, fühle ich mich ihm gegenüber sogar verpflichtet.“ Und dem intimem Schauspiel und der Nähe zum Publikum verbunden. Schließlich lässt sich nirgendwo sonst die vierte Wand so schön durchbrechen wie hier.

www.theader.de

Tipp! Ein ausführliches Porträt des Theaders finden Sie auf www.wosonst.eu, dem Reise- und Heimatmagazin Rhein-Neckar