Wilhelm-Hack-Museum

Strenge und Spiel

› Ein Bild mit weißen, roten und blauen Rechtecken? So etwas empört heute niemanden mehr. Vor hundert Jahren war das ganz anders. Damals begann der Weg in die moderne Abstraktion. Den beteiligten Künstlerinnen und Künstlern ging es nicht mehr darum, die Wirklichkeit — wie auch immer gefiltert — abzubilden. Sie befreiten vielmehr Farbe und Form vom Gegenständlichen und nutzten sie in ihren Kompositionen als freie Elemente.

Dieser Schritt hin zu neuen Gestaltungsweisen und Sehgewohnheiten war anfangs mit heftigen Aufregungen, Anfeindungen und Irritationen verbunden. Doch schon in den 1920er-Jahren hatten sich Rayonisten, Kubisten und Futuristen, Suprematisten und Konstruktivisten, das Bauhaus und der De Stijl formiert und etabliert. Die Frage lautete nicht mehr, ob man überhaupt abstrakt malen durfte, sondern auf welche Weise der Weg in die Abstraktion fortzusetzen sei. Wie sich dieses avantgardistische Experimentieren, Suchen und Variieren bis heute entwickelt und weiterentwickelt hat, zeichnet Kuratorin Nina Schallenberg mit der Präsentation von Werken aus der eigenen Sammlung nach.
  • kasimir malewitsch suprematistische komposition wilhelm-hack-museum ludwigshafen abstrakt
    Form und Farbe: Das Wilhelm-Hack-Museum zeigt eine Auswahl von Werken der abstrakten Malerei der letzten hundert Jahre, darunter die Suprematistische Komposition von Kasimir Malewitsch (um1915/16), …
  • verena loewensberg wilhelm-hack-museum ludwigshafen abstrakt
    … ein Gemälde gleichen Titels (um 1916) von Ljubow Sergejewna Popowa,
  • carsten nicolai hexa 6 wilhelm-hack-museum ludwigshafen abstrakt
    eine unbetiteltes Werk der Schwizer Künstlerin Verena Loewensberg sowie …
  • kasimir ljubow sergejewna popowa suprematistische komposition wilhelm-hack-museum ludwigshafen abstrakt
    … das Gemälde "unicolor hexa 6" von Carsten Nicolai, das im Jahr 2014 entstand.
Die Leitfrage der Schau lautet: Wie entwickeln Künstlerinnen und Künstler ihre Kompositionen, wenn sie nicht mehr versuchen, gegenständliche Motive möglichst realistisch nachzuahmen, wenn sie sogar so weit gehen, aus Farben und Formen eigenständige Wirklichkeiten zu konstruieren? Angesichts der zahlreichen abstrakten Ausprägungen moderner Kunst — von organisch-expressiv bis geometrisch-konstruktiv — ist diese Frage nicht ganz einfach zu beantworten. Nina Schallenberg hat sie dennoch in eine elegante Ausstellung gegossen. Die Entwicklung der Abstraktionen wird räumlich in sechs Themenfelder mit exemplarischen Bildern und Skulpturen aufgeteilt. „Jeder dieser Räume erzählt eine Geschichte der Abstraktion“, erläutert die Kuratorin. Berühmte Gemälde von Ljubow Popowa, Kasimir Malewitsch, Piet Mondrian und Jackson Pollock erhalten so einen Kontext, der die Denkweisen ihrer „Konstrukteure“ und deren historischer Entwicklung erhellt.

Panoramablick über hundert Jahre abstarkte Malerei

Die Ausstellung beginnt mit einem Panoramablick auf das Ganze: hier das älteste Werk der Schau, die expressive, 1912 entstandene „Astrale Komposition XIX“ von Wilhelm Morgner, dort die streng wirkende „Wandarbeit aus den Maßen einer Progression gegen Unendlichkeit mit 30°“ von Hartmut Böhm aus den 1980er-Jahren. Dazwischen die rot-gelb-blaue Skulptur aus Quadraten von Bob Bonie, die auf eine Komposition von Piet Mondrian anspielt.

Das Verhältnis der Abstrakten zur Figur hat eine große Spannbreite. Sie zerlegen Gegenständliches in Dreiecke, Rechtecke und Kreise. Oft so weit, bis sich das Figürliche auflöst und dessen Idee nur noch im Titel als „Berglandschaft“ oder „Autobahn“ aufscheint. Oder die verwendeten Elemente werden selbst zur Komposition und gliedern den Raum des Gemäldes. Etwas emotionaler verläuft die Entwicklung zum Informel: Die Künstler feiern gleichzeitig freie Formgebung und Formlosigkeit als Prinzip expressiver Gefühlsäußerung. Eine Geometrisierung der Wirklichkeit verfolgten etwa Ljubow Popowa und der lange nicht gezeigte Friedrich Wilhelm Seiwert. Wie die Abstrakten auch auf Altes zurückgreifen, zeigen die beiden Arbeiten von Carsten Nicolai, denen Goethes Farbenlehre hinterlegt ist.

Geometrie und Zufall

So viel Geometrie findet ein Gegengewicht im Kompositionsprinzip Zufall. Ganz offensichtlich gibt es unterschiedliche Auffassungen davon. Die einen generieren ihre Formen auf der Basis mathematisch-aleatorischer Prinzipien, während andere den Zufall eher auf eine energetisch-expressive Weise über die Eigendynamik des Materials ins Bild setzen. Die Werke von Otto Piene sind in letzterer Kategorie eine Premiere. „Wegen ihrer Lichtempfindlichkeit wurden seine grafischen Arbeiten bisher nicht gezeigt“, so Kuratorin Schallenberg. Genau wie die „Kabinettstücke“, die das Prinzip der Variation — sei es von geometrischen Formen oder von Farben als Schaffensprinzip — vor Augen führen. Die Mappen von Max Bill, Rudolf Jahns, Anton Stankowski und Attila Kovács hängen jeweils vier Monate aus.

Ein Beispiel aus dem Bereich kosmologischer Abstraktion ist František Kupkas „Erzählung von Fruchtknoten und Staubgefäßen“: Farben und Formen verbinden in einer flirrenden Komposition das Unendliche mit dem ganz Kleinen. So schafft es die Ausstellung, anhand von über 60 Werken einen weiten zeitlichen Bogen zu schlagen — angefangen in den 1910er-Jahren bis zu Carsten Nicolai und seinem „Unicolor hexa 6“ aus dem Jahr 2014, dem jüngsten Werk der Schau.

Abstraktionen. Werke aus der Sammlung von Popowa bis Nicolai

14. Mai 2016 bis 05. Juni 2017
Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen

Wilhelm-Hack-Museum

Wahrzeichen des Wilhelm-Hack-Museums ist seine Keramikfassade, die Joan Miró 1980 gestaltete. Heute gilt das Haus als das wichtigste Museum für die Kunst des 20. und 21.Jahrhunderts in Rheinland-Pfalz. Seine Schwerpunkte liegen auf der Klassischen Moderne, aber auch auf der konstruktiv-konkreten Kunst nach 1945. Profilierte Sonderausstellungen, Workshops und ein breit gefächertes Veranstaltungsprogramm machen das Museum zu einem kulturellen Zentrum von Ludwigshafen.
AdresseWilhelm-Hack-Museum // Berliner Straße 23 // 67059 Ludwigshafen // Telefon 0621 5043045 // E-Mail: hackmuseum@ludwigshafen.de
ÖffnungszeitenDienstag, Mittwoch & Freitag 11–18 Uhr // Donnerstag 11–20 Uhr // Samstag, Sonntag & Feiertage 10–18 Uhr
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