Kunsthalle Mannheim

Asche und Blei

› Neuneinhalb Meter hoch, mehr als fünf Meter breit und 2,75 Tonnen schwer dominiert das monumentale Werk „Sefiroth“ das Atrium der Kunsthalle Mannheim. Seit der Eröffnung des Neubaus ist es eines der zentralen und prägenden Werke des Hauses. Eine zerklüftete Landschaft — bestehend aus dick aufgetragenen Farbschichten, aus Erde, Blei und Steinen, die an Metalldrähten über der Fläche schweben — bildet einen dunklen Kontrast zu dem lichtdurchfluteten, weißen Raum. Der Mann hinter diesem kolossalen Meisterwerk ist Anselm Kiefer, einer der berühmtesten deutschen Künstler der Nachkriegszeit.
  • Kunsthalle Mannheim, Sefiroth, Anselm Kiefer
    Gewichtiges Aushängeschild – „Sefiroth“ heißt das 2,75 Tonnen schwere Werk, das die Besucher*innen im Atrium empfängt.© Anselm Kiefer (Foto: Kunsthalle Mannheim / Lukac Diehl)
  • Anselm Kiefer, Böhmen liegt am Meer, 1996, Sammlung Grothe in der Kunsthalle Mannheim,© Anselm Kiefer
  • Fast achteinhalb Meter breit: Anselm Kiefers „Große Fracht“ (1981/1996), bestehend aus Ölfarbe, Emulsion, Sonnenblumen und Blei. (Foto: Grothe)
  • Anselm Kiefer,Der fruchtbare Halbmond, 2010, Sammlung Grothe in der Kunsthalle Mannheim,© Anselm Kiefer
Dass Kiefer zu so großem Ruhm gelangen würde, war zu Beginn seiner Karriere keineswegs abzusehen. Er wird im März 1945, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs, in der südbadischen Provinz in Donaueschingen als Sohn des Kunstpädagogen und Wehrmachtsoffiziers Albert Kiefer in einem Luftschutzkeller geboren. Diese Herkunft prägt ihn — die tabulose Beschäftigung mit Weltkrieg und Holocaust zieht sich durch sein Werk. Und damit wird er zunächst grundlegend missverstanden: Als Kiefer nach seinem Kunststudium in Karlsruhe 1969 seine Abschlussarbeit „Besetzungen“ präsentierte, löste er einen Skandal aus: Die Fotografien zeigen den Künstler in der Uniform seines Vaters an bedeutungsgeladenen Stätten in Europa, wo er mit Hitlergruß posiert.

Beuys als Mentor

Was als persönliche kritische Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit gemeint ist, bringt ihm den Vorwurf des Neo-Faschismus ein. Verteidigt wird Kiefer unter anderem von Joseph Beuys, den er als Mentor sieht, mit dem er sich über seine Kunst austauscht und mit dem Kiefer die Leidenschaft für einfache und archaische Materialien teilt. In den 1980er-Jahren gelingt Kiefer der internationale Durchbruch, er stellt auf der Biennale di Venezia aus und bei einer Ausstellungsreihe in den USA. Im Jahr 2015 widmet das Centre Pompidou Anselm Kiefer eine der größten Retrospektiven in der Geschichte des Hauses. Der Künstler selbst lebt heute in Frankreich.
  • Der Künstler Anselm Kiefer in seinem Atelier.
Die Mannheimer Schau zeigt — inklusive „Sefiroth“ — 19 großformatige, mehrdimensionale Bilder und Skulpturen aus drei wichtigen Schaffensphasen Kiefers. Aus den frühen, den internationalen Erfolg prägenden Jahren im Odenwald zwischen 1971 bis 1993 ist das Monumentalwerk „Die große Fracht“ (1981/1996) zu sehen. Titelgebend dafür ist das gleichnamige Gedicht der Schriftstellerin Ingeborg Bachmann. Solche Einflüsse sind häufig im Werk Kiefers. In den ersten Jahren seiner Karriere arbeitet er in einem alten Schulhaus im Ort Hornbach im Odenwald. Der Dachboden dieses Hauses hält in viele Arbeiten Einzug und wird zum symbolischen Ort der Auseinandersetzung mit deutscher Kultur und ihren Geistesgrößen in all ihrer Zwiespältigkeit.

Die Kunsthalle zeigt einen Querschnitt durch das im wahrsten Sinne des Wortes schwergewichtige Werk des Künstlers — von seiner Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte über die Beschäftigung mit dem Judentum bis zu den Medien der Erinnerungskultur. Nicht nur durch ihre reine Größe, auch durch ihre Materialität — zu Kiefers Lieblingswerkstoffen gehören Asche und Blei — üben die Werke eine besondere Faszination aus.

Biblische Themen und monumentale Arbeiten

Ein besonderes Highlight bildet dabei das 14 Meter große Werk „Palmsonntag“, das zum ersten Mal in Deutschland zu sehen sein wird. Die großen, offenen Räume des Mannheimer Neubaus sind ideal für die monumentalen Arbeiten, die hier ihre volle Kraft entfalten können. Mit dem gigantischen Werk greift Kiefer, wie häufig in seiner Arbeit, biblische Themen auf und spannt den Bogen vom Alten zum Neuen Testament. Er rückt die kulturhistorische Macht jenes Moments, als Jesus in Jerusalem einreitet, in den Ausstellungsraum. Die Palme liegt als Ganzes quer im Raum und ist umgeben von einem Bilderfries aus getrockneten und mit Gips überarbeiteten Pflanzenteilen. Die Monumentalität der Installation des Baumes erinnert zugleich an das liegende Kreuz und damit an die Idee der Auferstehung.

Die im Rahmen der Ausstellung zu sehenden Werke stammen aus der Sammlung des im Mai 2019 verstorbenen Duisburger Bauunternehmers Hans Grothe, der eine der weltweit größten Sammlungen mit Werken von Anselm Kiefer zusammengetragen hat. Als Teil der Sonderausstellung, die ansonsten in den weitläufigen Galerien im Erdgeschoss zu sehen ist, wird im zweiten Stock der Kubus 6 neu inszeniert. Hier zeigt die Kunsthalle permanent Werke der Kiefer-Sammlung Grothe, die seit 2017 in der Kunsthalle Mannheim als Dauerleihgabe beheimatet sind: Ab November 2020 wird dann die raumgreifende Skulptur „Der Verlorene Buchstabe“ (2011–2017) im Zentrum des Raumes stehen. ‹

Anselm Kiefer
13. November 2020 bis 06. Juni 2021, Kunsthalle Mannheim
kuma.art

Kunsthalle Mannheim

Die Kunsthalle Mannheim zählt mit ihren Spitzenwerken von Edouard Manet bis Francis Bacon und ihrem Skulpturenschwerpunkt zu den renommiertesten Sammlungen von deutscher und internationaler Kunst der Moderne und der Gegenwart. Hochkarätige Sonderschauen internationaler zeitgenössischer Kunst vervollständigen das Ausstellungsprogramm. Gezeigt werden sie im Kerngebäude, dem imposanten, frisch sanierten Jugendstilbau von Hermann Billing aus dem Jahre 1907. Bis 2017 entsteht außerdem ein zukunftsweisender Neubau, der die Ausstellungsfläche um rund 1.300 Quadratmetern erweitert.
AdresseKunsthalle Mannheim // Friedrichplatz 4 // 68165 Mannheim // Tel. 0621 293 6413 // kunsthalle@mannheim.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 10–18 Uhr, Mittwoch 10–20 Uhr, 1. Mittwoch im Monat 18-22 Uhr (freier Eintritt)
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