Kurpfälzisches Museum Heidelberg

Ein Chronist der Nachkriegszeit

› Eine junge Frau lächelt prinzessinnenhaft in eine Kamera. Ihr Sommerkleid flattert im Wind, die dunkle Baskenmütze sitzt fest auf dem Hinterkopf. Es könnte der Drehort für einen französischen Film aus den 1950er-Jahren sein, den ein Paparazzo von der Seite knipst. Doch nicht Paris oder Nizza bilden hier die Kulisse. Heidelberg-Kenner*innen werden im Hintergrund sofort die Silhouette der Altstadt erspähen. Auch der Mann hinter dem Sucher ist kein berühmter Foto-Flaneur aus Frankreich, sondern Fritz Hartschuh.

Chef der Anzeigenabteilung und Leiter der Technik

Wer ist dieser scheinbar unsichtbare Chronist? Auf einem privaten Foto sitzt er mit Krawatte und Hosenträgern am Frühstückstisch in einer ziemlich unaufgeräumten Küche und wirkt gut gelaunt. Gleich geht es vermutlich zur örtlichen Rhein-Neckar-Zeitung, denn im Hauptberuf war der Mann mit den leuchtend weißen Haaren Chef der Anzeigenabteilung und Leiter der Technik. „Er konnte auch streng sein und ein Tadel von Fritz Hartschuh war nichts, das mit Gleichgültigkeit hätte beantwortet werden können“, schrieb Verleger Winfried Knorr 1976 respektvoll in einem Nachruf. Hartschuh war mit 80 Jahren gestorben.
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    Heidelberg in den 1950ern – Fritz Harschuh porträtierte prominente Gäste, wie Lilo Pulver und O.W. Fischer …
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    … aber auch den Alltag in der Neckarmetropole, hier die Straßenbahnhaltestelle am Bismarckplatz, …
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    …oder die Haupstraße, die seinerzeit noch nicht Fußgängerzone war.
Mit seinem umfangreichen fotografischen Werk dokumentierte Fritz Hartschuh die Nachkriegszeit. Stets war er mit seiner Rolleiflex-Kamera unterwegs, die so viel gekostet hatte wie das Monatsgehalt eines Chefarztes. Hartschuhs Motive porträtieren ein Heidelberg, das es heute so gar nicht mehr gibt: Durch die Hauptstraße rattert die Straßenbahn, der Bahnhof befindet sich mitten in der Stadt. Männer mit Trenchcoat, Hut und zerbeulter Aktentasche sowie Frauen in eleganten knielangen Kostümen huschen durch die Szenerien.

In einer Schau über die 1950er-Jahre in Heidelberg präsentiert das Kurpfälzische Museum etwa hundert Aufnahmen des Bildjournalisten, die sonst im Stadtarchiv lagern. „Er hat das tägliche Leben auf der Straße fotografiert, aber auch besondere Ereignisse, die wichtig waren, wie die Eröffnung des neuen Hauptbahnhofs“, beschreibt die Kuratorin und stellvertretende Museumsdirektorin Karin Tebbe das Spektrum von Hartschuhs Kosmos.

Cocktailsessel und Nierentisch

Ziel der Ausstellung ist es auch, die Ambivalenz dieser Zeit und ihre Widersprüche darzustellen. Einerseits ist das Jahrzehnt als muffig in Erinnerung geblieben, andererseits war diese Phase viel lebendiger und innovativer als ihr Ruf. Neben dem wuchtigen Gelsenkirchener Barock setzte sich ein schickes Gebrauchsdesign durch, das sich an der Konkreten Kunst orientierte. Cocktailsessel und Nierentische mit schlanken Beinen und Messingbeschlägen gelten bis in die Gegenwart als Stilikonen.

Neben Hartschuhs Fotografien zeigt das Museum auch legendäre Alltagsgegenstände wie die „Lettera 22“, eine Olivetti-Schreibmaschine, oder die damals beliebten Sammeltassen. Noch heute sind sie bei Ebay begehrt. Darüber hinaus gibt es einen Überblick über die Kunstströmungen der Zeit anhand von Heidelberger Künstler*innen wie Will Sohl, Hanna Nagel, Marie Marcks, Willibald Kramm, Siegfried Czerny und Otto Hodapp.
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    Stadt im Wandel: Der alte Bahnhofsvorplatz …
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    … und der Vorplatz mit dem neuen Empfangsgebäude, das 1955 eingewiht wurde und seinerzeit „zu den schönsten Neubauten der Deutschen Bundesbahn gezählt wurde.
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    Historisches Heidelberg: der Kornmarkt in den 1950ern.
Eine Besonderheit Heidelbergs, so Tebbe, sei die Präsenz der Amerikaner in der Stadt gewesen. Sie trugen zur kulturellen Öffnung nach der NS-Zeit bei: In der Altstadt eröffnete 1954 der berühmte Jazz-Keller „Cave“. Hier traten Stars wie Louis Armstrong und Ella Fitzgerald nach Gastspielen in den örtlichen US-Kasernen auf. Auf allzu große Zuneigung stießen die neuen Mitbürger allerdings nicht. „Das Verhältnis war problematisch“, sagt Tebbe. Gegen die Beschlagnahmung von privatem Wohnraum durch die Besatzer regte sich Widerstand. Hartschuh dokumentierte, wie Heidelberger Frauen mit Protestplakaten an einer Kaserne vorbeizogen.

Alltag, Glanz und Glamour

Die Fotografien des Autodidakten sind handwerklich präzise und führen wie beiläufig an das Geschehen heran. „Das Schöne an den Fotos ist, dass sie immer belebt sind. Es sind nicht nur Architektur- und Landschaftsaufnahmen“, betont Tebbe. Die meisten Menschen, die er auf seinen Bildern festhielt, schienen ihn gar nicht zu bemerken, wie die drei jungen Männer, die von ihren Rädern stiegen, um über den Neckar hinüber zum Schloss zu blicken. Zugleich illustrierte Hartschuh, wie nach Kriegsende wieder ein wenig Glanz und Glamour zurückkehrte. Von Liselotte Pulver und O. W. Fischer machte er in den Drehpausen zur „Heidelberger Romanze“ entspannte Schnappschüsse. Insgesamt drei Jahrzehnte lang legte sich Hartschuh als Fotograf auf die Lauer — immer auf der Suche nach dem richtigen Moment. ‹


Heidelberg in den 50er-Jahren mit Fotos von Fritz Hartschuh
24. September 2023 bis 28. Januar 2024
Kurpfälzisches Museum Heidelberg
www.museum-heidelberg.de
Bildnachweis:
Fritz Hartschuh © Stadtarchiv Heidelberg

Kurpfälzisches Museum

Kunst und Kultur in der Heidelberger Altstadt bietet das Kurpfälzische Museum. Mit seinen vielfältigen Beständen und deren Schwerpunkten Archäologie, Gemälde und Grafiik, Kunsthandwerk und Stadtgeschichte lädt es zu einer faszinierenden Entdeckungsreise ein, von den ersten Siedlungsspuren im Rhein-Neckar-Raum bis zu Werken der Klassischen Moderne von Beckmann, Slevogt und Corinth. Die kostbaren Bestände des Kunsthandwerks — Silber, Porzellan und Möbel — können im historischen Palais Morass bewundert werden, der „Windsheimer Zwölfbotenaltar“ von Tilman Riemenschneider in einer Sonderpräsentation.
AdresseKurpfälzisches Museum // Hauptstraße 97 // 69117 Heidelberg // Telefon: 06221 58–34020 // E-Mail: kurpfaelzischesmuseum@heidelberg.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 10–18 Uhr
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    Ab die Post!– Im Zeitalter von WhatsApp, Insta und TikTok sind Postkarten rar geworden. Und dennoch freuen sich alle, wenn sie eine Karte aus dem Briefkasten „fischen“ können. Einige schöne ­Exemplare sind in der aktuellen Ausstellung „Heidelberg in der 50er Jahren“ des Kurpfälzischen Museums zu sehen und machen Lust, in der Museumswerkstatt MALSTUBE selbst Postkarten zu gestalten, zu bemalen, zu be­schreiben und vieles mehr. Der Workshop richtet sich an Kinder ab 6 Jahren – alleine oder mit erwachsener Begleitung. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich.
    Workshop „Ab die Post – Postkarten selbst­gemacht“, 19.11.2023, 16–18 Uhr, Museumswerkstatt MALSTUBE, Kurpfälzisches Museum, Heidelberg, www.museum-heidelberg.de
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