> Herr Schmidt, der Heidelberger Frühling entwickelte sich letztlich aus dem 800-jährigen Jubiläum der Stadt Heidelberg im Jahr 1996. Sie waren damals als Geschäftsführer des Philharmonischen Orchesters schon mit von der Partie. Wie haben Sie damals den Übergang vom Jubiläum zu einem neuen Festival erlebt?Thorsten Schmidt: Das Jubiläum hatte mit dem Musikfestival, das folgen sollte, eigentlich nichts zu tun und ich habe es nur am Rande miterlebt. Mein erster Auftrag in Heidelberg war es, das Brahmsfest 1997 als ersten Heidelberger Frühling mitzukonzipieren und zu finanzieren. Ich hatte die Möglichkeit, eine Idee dazu zu entwickeln, welche Perspektiven ein solches Festival haben könnte. Interessanterweise war die Keimzelle des Festivals eine Idee des Marketing-Leiters von Heidelberg Cement aus den Siebzigern. Was die Türöffner-Funktion für das Sponsoring betrifft, bot das eine wichtige Starthilfe. Der ehemalige Generalmusikdirektor Thomas Kalb war in der Gründungsphase ebenfalls eine wesentliche Kraft.Und dann ging es gleich mit vollem Elan los?Schmidt: Ja, sicher, das war ein bisschen der Mut der Naiven, und die Stadt hat uns gewähren lassen. Allerdings gab es in den ersten drei Jahren kein eigentliches Budget. Alles, was notwendig war, haben wir Cent für Cent akquiriert. Die finanzielle Unterstützung der Stadt hat sich bis 2006 in engen Grenzen gehalten.Herr Levit, Sie sind seit 2011 in Heidelberg mit an Bord. Wie kam es dazu?Igor Levit: Zum ersten Mal haben Thorsten Schmidt und ich uns bei meinem Konzertexamen 2010 in Hannover gesehen, wo wir über ein Programm zum Liszt-Jubiläum 2011 sprachen. Das war der Beginn eines Kontaktes, der sich in kürzester Zeit in einer Art Super-Accelerando so intensiviert hat, wie ich es bis heute kaum erlebt habe. Ohne die vielen gemeinsamen Gespräche und Erfahrungen wäre für mich auch vieles, was ich außerhalb von Heidelberg mache, so nicht vorstellbar. Ich habe mich selbst dadurch auch in vielerlei Hinsicht besser kennengelernt.Heidelberg als Sprungbrett?Levit: Sprungbrett vielleicht nicht, aber sicher eine essenzielle Station …Schmidt: Igor Levit brauchte, als wir uns kennengelernt haben, schon längst kein Sprungbrett mehr. Es gibt ja diese Momente, in denen alle Beteiligten — inklusive Publikum — merken, dass „etwas passiert“, in denen im Austausch alles stimmt. Mit Igor war das so. Ich habe das sehr selten erlebt, am ehesten noch mit Thomas Hampson, Jörg Widmann und Matthias Pintscher. Doch die Intensität der Kommunikation mit Igor hat eine ganz eigene Qualität, weil seine Karriere am Anfang war, als wir uns kennenlernten.
Stichwort Kommunikation. Ist das für Sie eine Kategorie?Schmidt: Unbedingt. Kommunikation ist eine zentrale Kategorie für ein Festival. Es geht um Menschen, die man begeistern und binden möchte. Viele unserer Besucher kommen schon seit 20 Jahren zum „Frühling“. Wenn man bei null anfängt, ist es wichtig, authentisch zu sein und sowohl zu den Künstlern als auch zum Publikum eine ganz eigene Beziehung aufzubauen. Erst dann kann eine unverwechselbare und das Festival prägende Atmosphäre entstehen.Sie haben als Jubiläums-Leitgedanken „essential gifts“ gewählt. Was verstehen Sie darunter?Levit: Wenn ich es ein bisschen pathetisch ausdrücken darf: Das Festival selbst, die Menschen, die Empathie sind für jeden Künstler ein „essential gift“ — also ein „Geschenk fürs Leben“.Schmidt: Wir fragen uns als Verantwortliche im zwanzigsten Jahr, was uns bei dem, was wir tun, besonders wichtig ist. Als Festival wollen wir etwas beim Publikum in Bewegung setzen. Neue Perspektiven eröffnen, dazu einladen, anders zu hören und zu erleben. Lassen Sie mich einige Beispiele nennen: unser Festival-im-Festival „Neuland.Lied“, das Kammermusikwochenende „Standpunkte“ oder zum Beispiel unser Schumann-Projekt „Szenen der Frühe“ gemeinsam mit dem Podium Festvial Esslingen sind Programmideen, aus denen sich sehr klar herauslesen lässt, was für uns wichtig ist.
Der Begriff des Meisterwerks wird in der Kammermusik Akademie in diesem Jahr eine zentrale Rolle spielen. Herr Levit, was verstehen Sie darunter?Levit: Das ist ein weites Feld. Auf jeden Fall ist das Meisterwerk ein Meilenstein, eine absolut herausragende menschliche Errungenschaft, menschlich möchte ich unterstreichen — nicht von irgendeinem außerirdischen energetischen Raum. Wir gehen der Frage nach, wie wir eine plastische Atmosphäre schaffen können, um zu zeigen, dass ein Meisterwerk zu uns spricht, dass es etwas mit uns zu tun hat.Herr Levit, wie viele Programme spielen Sie bei diesem Fest? Schütteln Sie das aus dem Ärmel oder nehmen Sie sich im Vorfeld des Festivals frei für die konkrete Vorbereitung?Levit: Ich habe mir weder vor noch nach Heidelberg freigenommen (lacht). Mir ist in erster Linie wichtig, wo, was, mit wem und vor allem warum ich etwas spiele. Meine Saisons sind immer durchzogen von vielen Programmen, an verschiedenen Orten, oft auch in kürzester Zeit. Ich kann das nicht so durchplanen. Es gibt allerdings Freunde, die mir sagen „du bist verrückt“, und an manchen Tagen muss ich ihnen recht geben. Was war in 20 Jahren Heidelberger Frühling die größte Panne, was die höchste Euphorie?Schmidt: Die größte Freude ist natürlich, dass es funktioniert hat, aus einer Idee hier an diesem Ort ein Festival zu machen, das national und international Aufmerksamkeit erregt. Von großen Pannen sind wir verschont geblieben. Als herausfordernd bleibt der Abbruch eines Liederabends haften, bei dem dem Einspringer ebenfalls die Stimme versagte.Levit: Ich kann eigentlich nur von Höhepunkten reden. Besonders unvergesslich ist mir die Akademie 2015, weil da etwas Ganzheitliches seinen Anfang nahm. Der Komponist Frederic Rzewski war hier. Er ist aufgeblüht, wir alle sind aufgeblüht. Die Synergie war ein einziges Glückserlebnis — menschlich und musikalisch.
Und wie geht es weiter?Schmidt: Wie werden den eingeschlagenen Weg weitergehen. Uns wird in den kommenden Jahren die Auseinandersetzung mit dem Lied und die Entwicklung von neuen Konzertformaten noch stärker beschäftigen. Die Akademie wird ebenfalls weiterentwickelt und wir werden daran arbeiten, den Heidelberger Frühling als zentralen Treffpunkt für Künstler und Musikliebhaber auszubauen.
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Heidelberger Frühling
Der Heidelberger Frühling gilt laut Deutschlandradio als „eines der innovativsten Musikfestivals in Deutschland“ und zieht in über 100 Veranstaltungen mehr als 47.000 Besucher an. Neben hochkarätig besetzten Konzerten, innovativen Produktionen und Formaten gilt ein besonderes Augenmerk des Festivals der mit Heidelberg eng verbundenen Gattung des Liedes.
TerminSA 02. bis SA 30. April 2016
AdresseInternationales Musikfestival Heidelberger Frühling gGmbH // Friedrich- Ebert-Anlage 50 // 69117 Heidelberg
SpielorteStadthalle Heidelberg und zahlreiche weitere Spielorte in Heidelberg