Kurpfälzisches Museum Heidelberg

Luxus für alle

› Schon Jahrzehnte bevor Ikea mit seinen flexiblen, selbst zusammenschraubbaren Möbeln die Einrichtungswelt revolutionierte, hatte Bruno Paul diese zündende Idee. Der gebürtige Sachse, der zum Münchner Jugendstilzirkel gehörte, entwarf 1901 einen siebenarmigen Leuchter aus Messing, der sich wie ein schwedisches Regal zusammen- und wieder auseinanderbauen sowie in verschiedenen Varianten aufstellen lässt. Drei Jahre später ging dieses elegante Deko-Stück in Serie, das jetzt in der Heidelberger Ausstellung zu sehen ist.

Jugendstil und Art déco

Mehr als 100 Messingobjekte aus der Zeit des Jugendstils und des Art déco präsentiert das Kurpfälzische Museum. Sie stammen aus der Sammlung des Deutschen Messingmuseums. „Beim Deutschen Messingmuseum handelt es sich um einen Verein, der eine Immobilie für eine dauerhafte Ausstellung sucht und bis dahin unterwegs ist“, erläutert die stellvertretende Direktorin des Kurpfälzischen Museums, Dr. Karin Tebbe.
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    „Gold der Bürger“ – Ob Teekanne mit Samowar, Stövchen oder Teeservice, …
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    … die Designer von Jugendstil und Art déco schätzten Messing, …
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    … da sich die Kupferlegierung gut verarbeiten ließ und in Pracht dem Silber und Gold des Adels nahekam. (Fotos: Knud Gattner)
Neben Pauls imposantem Leuchter zeigt das Museum Zeitungsständer, Vasen, Jardinieren, Rauchsets, Elektrokessel oder Teeservice. Ihre Entwürfe stammen von bekannten Künstlern wie dem Niederländer Jan Eisenloeffel oder dem Hamburger Peter Behrens. In den Künstlerkolonien jener Jahre gab es häufig eigene Metallwerkstätten, in denen Gebrauchskunst entstand, die nicht nur dekorativ, sondern auch funktional war. Überall in Europa bahnte sich eine neue Generation ihren Weg und liberalisierte den Kunstbegriff. Die Bezeichnung „Jugendstil“ verdankte die neue Richtung in Deutschland der Wochenzeitschrift „Jugend“.

Das „Gold des Bürgers“

In der Künstlerkolonie Dresden-Hellerau spezialisierte sich Georg Mendelssohn auf das Arbeiten mit Messing. Aus der golden schimmernden Kupferlegierung formte er schöne Dinge wie zum Beispiel eine künstlerisch anspruchsvolle Schale mit gehämmerten Verzierungen, die in Heidelberg gezeigt wird. „Neben der Serienware entstanden damals auch solche manuell gearbeiteten Objekte, die beinahe einen expressionistischen Charakter haben“, ist Kuratorin Tebbe beindruckt.

Glamouröse Messingschalen oder Bowlengefäße füllten Anfang des 20. Jahrhunderts die Wohnzimmerschränke. Das „Gold des Bürgers“ wurde das leicht zu verarbeitende Material genannt, das, hochpoliert, eindrucksvoll glänzt. „Die Aristokratie hatte alles in Gold und Silber“, erklärt Tebbe. „Mit Messing hat man versucht, ihnen nachzueifern. Wer nicht so viel Geld hatte, begnügte sich mit Massenware. Die Garnituren und Samoware waren dagegen für das Großbürgertum gedacht.“

Messing war für alle da

Wie Jugendstil und die nach dem Ersten Weltkrieg aufkommende Art-déco-Mode den gesellschaftlichen Wandel widerspiegelten, dokumentieren auch die ausgestellten Tischkehrsets mit Kehrblech und Handbesen. „Die privilegierten Haushalte“, betont Tebbe, „brauchten so etwas nicht, weil sie Personal hatten, das die Tischwäsche reinigte. Tischkehrsets waren eher für Individualhaushalte interessant, in denen man alles selbst erledigen musste.“ Was zeigt: Messing war für alle da. ‹


Schimmernde Schönheiten. Luxusgerät aus Messing — Jugendstil bis Art déco
07. März bis 04. Juli 2021
Kurpfälzisches Museum, Heidelberg
Dienstag bis Sonntag 10–18 Uhr
www.museum.heidelberg.de

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    Kuratorin Dr. Karin Tebbe (Foto: Steffen Diemer)
ART DÉCO ODER JUGENDSTIL?
Wie unterscheidet man die beiden Stilrichtungen? Drei Fragen an die Expertin Dr. Karin Tebbe.
Frau Dr. Tebbe, woher kommt der Begriff „Art déco“?
Art déco ist eine Abkürzung für Art décoratif, auf Deutsch dekorative Kunst. Man hat diese Stilrichtung im Rückblick auf die Pariser Weltausstellung von 1925 so genannt.
Was macht den Art déco aus?
Im Art déco wurde auf Gestaltungselemente zurückgegriffen, die damals futuristisch anmuteten. Auch technische Raffinessen und neue Materialien kamen zum Einsatz. Den Kunststoff Bakelit, der ab 1927 verwendet wurde, verbinden wir zum Beispiel mit dem Art déco. Viele Gebrauchsgegenstände bekamen Griffe oder Knöpfe aus Bakelit.
Gibt es im Art déco eine typische Formensprache?
Die starke florale Ornamentik, fließende Elemente und organische Formen, die im Jugendstil verbreitet sind, gibt es im Art déco weniger. Insgesamt ist eine strikte Trennung der Stile in der Praxis nicht immer möglich.Tatsächlich sind die Übergänge oft fließend.
Bildnachweis:
Passige Messingschale, KMH GM 790 (Leihgabe); © KMH, Foto: Renate J. Deckers-Matzko

Kurpfälzisches Museum

Kunst und Kultur in der Heidelberger Altstadt bietet das Kurpfälzische Museum. Mit seinen vielfältigen Beständen und deren Schwerpunkten Archäologie, Gemälde und Grafiik, Kunsthandwerk und Stadtgeschichte lädt es zu einer faszinierenden Entdeckungsreise ein, von den ersten Siedlungsspuren im Rhein-Neckar-Raum bis zu Werken der Klassischen Moderne von Beckmann, Slevogt und Corinth. Die kostbaren Bestände des Kunsthandwerks — Silber, Porzellan und Möbel — können im historischen Palais Morass bewundert werden, der „Windsheimer Zwölfbotenaltar“ von Tilman Riemenschneider in einer Sonderpräsentation.
AdresseKurpfälzisches Museum // Hauptstraße 97 // 69117 Heidelberg // Telefon: 06221 58–34020 // E-Mail: kurpfaelzischesmuseum@heidelberg.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 10–18 Uhr
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