Kurpfälzisches Museum Heidelberg

Auf den Spuren des Krieges

› Tobias Schöneweis hatte gerade ein Meeting, als seine Kollegin hereinstürzte: „Die Kripo ist am Telefon.“ Eine solche Nachricht wäre für die meisten ein Schock, für den Archäologen am Kurpfälzischen Museum gehört sie jedoch fast zum Alltag. Denn Schöneweis deutet die Spuren im Boden, die Kriege und andere Auseinandersetzungen hinterlassen haben. In jenem Fall ging es um mysteriöse Knochen, auf die Bauarbeiter im Heidelberger Stadtteil Bergheim im Jahr 2019 gestoßen sind. „Die Forensiker der Gerichtsmedizin standen vor einem Rätsel“, erinnert sich Schöneweis. Analysen ergeben später, dass die Überreste aus dem 17. Jahrhundert stammen, vermutlich von Opfern eines kriegerischen Konfliktes.

Spielwürfel, Keramik und Werkzeuge

Ob diese Menschen tatsächlich im Jahr 1622 bei Tillys Sturm auf Heidelberg starben, lässt sich nicht genau sagen. Der Angriff der katholischen Liga während des Dreißigjährigen Kriegs jährt sich zum 400. Mal und ist Anlass für die Ausstellung „Krieg und Frieden“, die das Kurpfälzische Museum gemeinsam mit dem Landesamt für Denkmalpflege präsentiert. Ein wichtiges Exponat ist dort der sogenannte Tilly-Fund, den Archäologen oberhalb von Heidelberg geborgen haben. Zu verdanken ist der Schatz wohl einem Unwetter. Schlammmassen begruben Gegenstände aus dem feindlichen Heerlager unter sich und konservierten sie so über die Jahrhunderte hinweg.
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    Reise durch die (Kriegs-)Geschichte – der „Unlinger Reiter“, eine keltische Bronzefigur und gleichzeitig die früheste Reiterdarstellung nördlich der Alpen, ist im Kurpfälzischen Museum genauso zu sehen wie …
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    … ein französischer Helm aus dem Heidelberger Kriegsgeschehen, Ende 17. Jahrhundert, …
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    … ein keltischer Bronzehelm aus dem Rhein bei Mannheim aus dem 1. Jahrhundert v. Chr. oder …
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    … Gegenstände aus dem „Tillyfund“, der aus der Zeit der Eroberung Heidelbergs im Jahr 1622 stammt.
Die entdeckten Gegenstände — Degen, Dolche, aber auch Spielwürfel, Keramik und Werkzeuge — geben eine Vorstellung davon, wie Soldaten im 17. Jahrhundert gelebt haben. So zogen sie offenbar nicht alleine von Schlacht zu Schlacht, sondern hatten ihren Hausstand und ihre Familien dabei. Während die Soldaten kämpften, kochten die Frauen, machten die Wäsche und plünderten nach dem Kampf gemeinsam mit ihren Männern die Toten auf den Schlachtfeldern.

Die Spuren wurden meist schnell verwischt

Doch die Schau beschäftigt sich nicht nur mit dem Sturm auf die Heimatstadt des abgesetzten „Winterkönigs“ Friedrich V., sondern präsentiert die ganze Vielfalt der Konfliktarchäologie. Acht Stationen informieren über Gefechte und Streitigkeiten — von der Jungsteinzeit bis hin zur Moderne. So erfahren die Besucher*innen zum Beispiel mehr zu tödlichen Überfällen zu Beginn der Sesshaft-Werdung, aber auch zur Alltagskriminalität in der Römerzeit oder zu den Spuren, die die beiden Weltkriege hinterließen.

Ein Problem für die Wissenschaftler*innen ist dabei, dass Kriegsparteien zu allen Zeiten die Spuren einer Auseinandersetzung schnellstmöglich beseitigten. „Wir kennen alle die Bilder von russischen Schützenpanzern, die schon wenige Stunden später von Traktoren über den Acker geschleppt werden“, veranschaulicht Schöneweis die Herausforderung für künftige Archäolog*innen. Die Ausstellung wurde lange vor Ausbruch des Ukraine-Krieges geplant und hat nun natürlich eine zusätzliche Brisanz gewonnen, worauf das Rahmenprogramm auch Bezug nimmt.
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    Hinauf zum Schloss – diese Druckgrafik von Matthäus Merian zeigt die Belagerung und Eroberung Heidelbergs durch Tilly 1622.
Neben ausgewählten Darstellungen von Kriegsereignissen auf Gemälden und Dokumenten zeigt die Schau ein beeindruckendes Spektrum archäologisch bedeutender Funde. Dazu gehören Teile des wertvollen römischen Silberschatzes von Kaiseraugst, den römische Offiziere im antiken Augusta Raurica (Schweiz) vergruben, ein keltischer Helm aus dem Altrhein, römische Relikte, die auf ein kriminelles Umfeld hinweisen, und Waffenfunde verschiedener Epochen. Viele Exponate verdeutlichen auch das Leid, das von Krieg und Gewalt ausgeht, darunter auch eine Kopie der berühmten Handprothese von Götz von Berlichingen. Zudem präsentiert die Ausstellung berührende Funde aus dem elsässischen Carspach, wo Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg in einem Schutzstollen verschüttet wurden. Die Ausgrabung brachte die Dramatik dieses furchtbaren Moments zutage. Schließlich können sich die Besucher*innen an der HD Discovery Station in die Vergangenheit beamen. Ein virtueller Rundflug führt ins Heidelberg zwischen 1618 und 1622 — eine Residenzstadt in voller Blüte. Vor deren Toren bereits Tillys Heer lauert. ‹


Krieg und Frieden — Konfliktarchäologie an Rhein und Neckar
18. September 2022 bis 29. Januar 2023
Kurpfälzisches Museum Heidelberg
www.museum.heidelberg.de



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Ausstellung: Madame Palatine

Vielleicht wäre Liselotte von der Pfalz heute ein Star auf Instagram. In ihrer Zeit musste sich die Schwägerin des Sonnenkönigs Louis XIV. jedoch mit dem Briefeschreiben begnügen, um die 6.000 Episteln sollen es gewesen sein. Darin schilderte die Enkelin des „Winterkönigs“ Friedrich V. mit spitzer Feder das dekadente Leben am französischen Hof. Vor 300 Jahren ist die temperamentvolle Elisabeth Charlotte, die ihre Kindheit in Heidelberg und in Hannover verbrachte, in St. Cloud bei Paris gestorben. Zu diesem Jahrestag zeigt das Kurpfälzische Museum in Kooperation mit dem Historischen Seminar der Universität Heidelberg die Ausstellung „Madame Palatine“ mit berühmten Gemälden und Grafiken. Zu sehen sind bedeutende Leihgaben aus Versailles, Speyer und der Sammlung Heinstein sowie Preziosen aus der Heidelberger Sammlung.

Madame Palatine
Kurpfälzisches Museum Heidelberg
06. November 2022 bis 22. Januar 2023
07. bis 10. November — Tagung über Elisabeth Charlotte auf dem Heidelberg Schloss
www.museum.heidelberg.de
Bildnachweis:
Feodor Dietz, „Die Zerstörung Heidelbergs durch Melac 1689“, 1868, Leihgabe und Foto: Museum der Stadt Weinheim;„Unlinger Reiter“, Leihgabe des Landesamts für Denkmalpflege Baden-Württemberg, Foto: Ginger Neumann; 8. Französischer Helm aus dem Heidelberger Kriegsgeschehen, Ende 17. Jahrhundert, 1975 gefunden am Heidelberger Schloss, Kurpfälzisches Museum, Foto: K. Gattner; 4. Keltischer Bronzehelm aus dem Rhein bei Mannheim, 1. Jh. v. Chr., Leihgabe des Badischen Landesmuseums Karlsruhe, Foto: Peter Gaul; 7. Als „Tillyfund“ bezeichnete archäologische Funde aus der Zeit der Eroberung Heidelbergs im Jahr 1622, Kurpfälzisches Museum, Foto: E. Kemmet; 6. Matthäus Merian, Belagerung und Eroberung Heidelbergs durch Tilly 1622, Druckgraphik (Detail), Original und Digitalisat: Kurpfälzisches Museum; „Elisabeth Charlotte“, Historisches Museum der Pfalz, Foto Julia Paul

Kurpfälzisches Museum

Kunst und Kultur in der Heidelberger Altstadt bietet das Kurpfälzische Museum. Mit seinen vielfältigen Beständen und deren Schwerpunkten Archäologie, Gemälde und Grafiik, Kunsthandwerk und Stadtgeschichte lädt es zu einer faszinierenden Entdeckungsreise ein, von den ersten Siedlungsspuren im Rhein-Neckar-Raum bis zu Werken der Klassischen Moderne von Beckmann, Slevogt und Corinth. Die kostbaren Bestände des Kunsthandwerks — Silber, Porzellan und Möbel — können im historischen Palais Morass bewundert werden, der „Windsheimer Zwölfbotenaltar“ von Tilman Riemenschneider in einer Sonderpräsentation.
AdresseKurpfälzisches Museum // Hauptstraße 97 // 69117 Heidelberg // Telefon: 06221 58–34020 // E-Mail: kurpfaelzischesmuseum@heidelberg.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 10–18 Uhr
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