Ortstermin in der Uni Landau. Tijan Sila, frischgebackener Martha-Saalfeld-Preisträger, spricht im Rahmen seiner Poetikdozentur über sein Schreiben — und räumt gleich mit einem Mythos auf. „Der leidende Künstler“, sagt er, „das ist eine Vermarktungsnummer.“ Er selbst, der neben seiner Autorentätigkeit an einer berufsbildenden Schule in Kaiserslautern unterrichtet, schreibe schon fast sein ganzes Leben lang und habe Spaß daran. „Den meisten anderen Schriftsteller*innen, die ich kenne, geht es übrigens ganz ähnlich.“ Der Ton — ein „Ton unsentimentaler Lakonie“, wie es in der Laudatio zum Ingeborg-Bachmann-Preis im letzten Jahr über ihn heißt — ist damit gesetzt. Er entspricht dem markanten Sound aus Silas Romanen: Humor, Direktheit, Experimentierfreude und leise Melancholie nutzt er darin, um die kleinen alltäglichen Dinge — Liebeskummer, Freundschaft und Heranwachsen — scheinbar mühelos mit Themen existenzieller Bedrohung wie Gewalt und Krieg zu verknüpfen. „Bin ich verständlich?“ sei dabei die Leitfrage, die sein Schreiben bestimme.Erfolg in KlagenfurtDiese Verbindung von Alltag und existenzieller Not prägt auch die Biografie von Tijan Sila. Geboren wird er 1981 in Sarajevo. Als Dreizehnjähriger flüchtet er mit seiner Familie vor dem Bosnienkrieg nach Deutschland. Er landet zunächst in Mannheim, verbringt seine Jugend in Landau und studiert dann Germanistik und Anglistik in Heidelberg. 2017 erscheint sein Debüt „Tierchen unlimited“, 2023 kommt sein autobiografischer Roman „Radio Sarajevo“ über die Kindheit im Krieg in die Buchhandlungen. An diesen anknüpfend liest er 2024 beim Bachmann-Preis den Text „Der Tag, an dem meine Mutter verrückt wurde“, in dem das Kriegstrauma seiner Herkunft im Mittelpunkt steht. Schlägereien auf dem Disco-ParkplatzSeine Lebensgeschichte zieht sich auch durch seine früheren Werke. In „Tierchen unlimited“ ist der heranwachsende Protagonist in einem grotesken Wiederholungszwang gefangen. Er verliebt sich immer wieder in die Schwestern von Neonazis, die ihm an den Kragen wollen, aber schließlich an der Front im Jugoslawienkrieg ihr Leben lassen. In „Krach“ geht es um das Aufwachsen im pfälzischen Kaff — als Musiker einer Punkband, der inmitten jugendlicher Alltagssorgen auch in handfeste Auseinandersetzungen mit den örtlichen Hooligans gerät. Der Roman aus dem Jahr 2021 liest sich dabei auch wie eine Hommage an den pfälzischen Dialekt — angefangen mit dem doppeldeutigen Titel, der das Brüllen der Verstärker im ranzigen Probekeller genauso bezeichnet wie die Schlägerei auf dem Disco-Parkplatz. „Pfälzisch ist so schön jambisch und rhythmisch“, sagt Sila dazu. Er ist der Meinung, dass die Deutschen ihre Dialekte viel zu abwertend betrachten, schließlich stifteten gerade diese regionalen Varianten Nähe. Die genaue Beobachtung der gesprochenen Sprache, aber auch von Milieus und Verhaltensweisen, durchzieht Silas Texte. „Ich schreibe, was ich selbst gerne lesen würde“, sagt er darüber. Über den Krieg schreibe er aus persönlicher Erfahrung: „Zu Beginn meines Schreibens in den Nullerjahren dachte ich, ich schreibe retrospektiv über das 20. Jahrhundert und gehöre zur letzten Generation in diesem verfluchten Jahrhundert mit all seinen Kriegen und Vertreibungen.“ Die Gegenwart lehre ihn hingegen leider etwas anderes: „Meine Realität ist eine Realität, die auch heute viele Menschen betrifft.“Tipp! Lesung von Tijan Sila, 01.04.2025, 19.30 Uhr, Historischer Ratssaal der Stadt Speyer, Eintritt frei
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Christian WernerLocal Heroes
In der Serie „Local Heroes“ präsentiert das KULTURMAGAZIN Macherinnen und Macher, die das Kulturleben bereichern und die Kulturregion Rhein-Neckar voranbringen.