Enjoy Jazz

Drones over Heidelberg

› Kunst, die es ernst meint, hat mit Überschreitung zu tun. Einerseits kann das bedeuten, dass sie sich aus ihren angestammten Kontexten herausbewegt — etwa aus dem Museum auf die Straße, vom Konzertsaal an einen niederschwelligen Ort. Oder sie bricht Regeln, bürstet Konventionen gegen den Strich, denkt sorgsam Eingeübtes auf verspielte Weise neu.

Natürlich kann es noch eine weitere Transition geben: jene zwischen Produzent*innen und Rezipient*innen, zwischen Künstler*innen und Zuschauer*innen, Musiker*innen und Hörer*innen. Dahinter steckt ein alter Traum der Avantgarde, die vom bürgerlichen Kunstelitismus errichteten Grenzen zu überwinden, Trennlinien aufzuheben. Um Überschreitung auf allen drei Ebenen geht es nun auch in einem Projekt beim Enjoy Jazz Festival 2021: „Drones over Heidelberg“ könnte man als partizipatives Konzertereignis mit hybriden Strukturen an ungewöhnlichem Ort bezeichnen, das dazu noch nachhaltig ist und nicht mit dem Konzertabend endet.

Ein maximal entschleunigtes Tieftonereignis

Drone Music ist mehr als eine spezifische Musikrichtung — sie ist eine minimalistische Form, die seit jeher in verschiedenen Kulturen ihren Platz hatte und heute in unterschiedlichen Genres zu Hause sein kann: in improvisierter und Minimal Music, bei Ambient und Neuer Musik, im Noise sowie im Dark Jazz und Drone Metal. Drones zeichnen sich durch anhaltende Töne aus, gedehnte Klänge, Rhythmen oder Cluster, meist sehr entschleunigt: ein Tieftonereignis, ein Brummen, das etwas leicht Entrücktes, Sphärisches, Meditatives, Kontemplatives evoziert. Drones sind elementar, substanziell, urwüchsig, fast urzeitlich anmutend, als würde man mit ihnen in einer sonischen Ursuppe rühren. Als würde eine magische Verbindung zwischen Zeiten und Räumen entstehen.

Diese auf schönste Weise infinitesimalen Sounds werden nicht von ungefähr als natürlich und naturnah empfunden. Drone Music sei, so beschreiben es die Festivalmacher, „insofern ausgesprochen demokratisch und egalitär, als sie, einem Computer-Spiel nicht unähnlich, auf Basis von theoretisch zahlenmäßig unbegrenzten, vorgefertigten Versatzstücken von jedem, auch von Nicht-Musikern, gespielt werden kann“.

Grundstein für eine offene Drones Library

Dass Drones technisch unaufwendig zu erschaffen sind, ist die Voraussetzung für das Enjoy-Jazz-Projekt: Musik- oder technikaffine User sollen im Rahmen eines Wettbewerbs selbst Drones kreieren und während eines Konzerts live zuspielen. Ein bekannter Elektronikmusiker, DJ und Produzent — der Name wird noch nicht verraten — wird hierzu ein Online-Tutorial anbieten. Eine eigens hierfür geschaffene Website soll im Übrigen dauerhaft frei nutzbar bleiben. Jede und jeder kann dann mit den hinterlegten Drones spielen und experimentieren oder eigene Drones hinzufügen. Sukzessive entsteht so eine offene Drones Library.

Komposition mit zehn Hobby-Dronisten

Zwei renommierte Musiker*innen — auch deren Namen sind noch ein Geheimnis — entwickeln eine Basiskomposition, die dann bei einem Konzert mit den von der Jury ausgewählten Drones zu hören sein wird, live vor Ort und als Stream im Internet. Durch das Zuspielen der vorab entstandenen Sound-Files, durch die Schichtung der verschiedenen Elemente verändert sich während der Live-Performance das Stück fortwährend. Zehn Hobby-Dronisten aus aller Welt werden mit ihren Drones in Echtzeit zum integralen Bestandteil des Konzerts.

Stattfinden wird das vom Innovationsfonds Kunst des Landes Baden-Württemberg geförderte Event nicht in einem Konzerthaus, sondern auf dem Landfried-Gelände in Heidelberg — ein Ort, der sich zunehmend zu einem spannenden Kreativ-Zentrum wandelt. Die Performance vereinigt damit analoge und digitale Puzzleteile, und was daraus hervorgeht, ist fast vollkommen unberechenbar, ungehört und im wahrsten Sinne des Wortes vielschichtig. Grenzen sprengende, Übergänge schaffende, offene Kunst. ‹

Enjoy Jazz Festival

Seit seiner Premiere 1999 hat sich Enjoy Jazz zu einem international renommierten Festival und zum größten Jazzfestival Deutschlands entwickelt. Neben Legenden wie Ornette Coleman oder Wayne Shorter präsentiert das „Internationale Festival für Jazz und anderes“ immer auch die Größen der jüngeren Jazzgeneration und spannt den Bogen zu angrenzenden Genres wie Weltmusik, Elektronik, Hip-Hop und Klassik. Komplettiert werden die rund 70 Konzerte durch Workshops, Matineen, Partys und Vorträge.
TerminSA 02. Oktober bis SA 13. November 2021
AdresseEnjoy Jazz GmbH // Bergheimer Straße 153 // 69115 Heidelberg // Tel: 06221 5835850 // E-Mail: info@enjoyjazz.de
SpielorteVerschiedene Orte in und rund um Heidelberg, Mannheim und ­Ludwigshafen
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