Winter in Schwetzingen

Eine Winterreise durch die Barockmusik

› Los geht es mit einem Ausflug ins Alte Testament, der deutschen Barockoper „Nebukadnezar“ von Reinhard Keiser. Der neubabylonische Herrscher Nebukadnezar betrieb, so würde man heute sagen, einen skrupellosen Expansionskurs. Unter anderem zerstörte er Jerusalem und zwang dessen Oberschicht ins babylonische Exil. Vor der mächtigen Kriegsmaschine der Hegemonialmacht hatten Propheten wie Jeremia Israels Könige vergeblich gewarnt.

Den bekannten biblischen Stoff bearbeitete Giuseppe Verdi in seiner Oper „Nabucco“. Doch bereits 140 Jahre früher hatte sich der Barockkomponist Reinhard Keiser dieser schillernden Figur aus dem Alten Testament gewidmet. Allerdings gehört sein Werk nicht wie „Nabucco“ zum Kanon der meistgespielten Opern, sondern schlummerte mehrere Jahrhunderte in Archivkisten. „Ein Musikwissenschaftler hat uns darauf hingewiesen und für uns eine Spielfassung erstellt“, erzählt Thomas Böckstiegel. Zusammen mit Ulrike Schumann hat er die Operndirektion am Heidelberger Stadttheater und die Leitung des Festivals im Schwetzinger Schloss inne.

Kleinode der deutschen Barockoper

Vor fünf Jahren haben die beiden angefangen, Kleinode der deutschen Barockoper auszugraben, denn in diesem Bereich ist noch viel Pionierarbeit zu leisten: „Es besteht immer noch sehr stark der Glaube, dass sich der deutsche Barock vor allem auf sakrale Musik beschränkt“, erklärt Schumann. In Schwetzingen ist Keiser dennoch kein Unbekannter. Schon im vergangenen Jahr eröffnete das Barockfest mit einem seiner szenischen Werke. „Ulysses“, das nur in Fragmenten existiert, führte in die griechische Mythologie. Zum 350. Geburtstag des Komponisten präsentiert das Festival nun „Nebukadnezar“ — ein vollständig erhalten gebliebenes Musiktheaterstück, das unterschiedliche Fassungen hat. „In der Aufführungspraxis kam es manchmal zum Austausch von Arien, abhängig von der Besetzung der Sängerinnen und Sänger“, erläutert Böckstiegel.

Wie Verdi variiert auch Keiser die biblische Handlung in künstlerischer Freiheit. Es geht um Macht, Liebe, Familie und Intrigen. Während Nebukadnezar sich größenwahnsinnig als gottgleichen Herrscher stilisiert, zieht dessen Frau Adina, die in der Bibel gar nicht vorkommt, im Hintergrund die Fäden — ein „House of Cards“ aus babylonischer Zeit. „Das Spannende an dem Werk ist neben der fantastischen Musik auch die feine Psychologie. Das ist untypisch für damals“, sagt Böckstiegel.

Beziehungsdramen und Intrigen

Die subtile Figurenführung erklärt sich aus Keisers Biografie. Der Komponist zählt zu den wichtigen Vertretern der Hamburger Gänsemarktoper, dem ersten bürgerlich-städtischen Theater im deutschen Raum. „Die Geschichten aus der Bibel und der griechischen Mythologie wurden auf das Leben der Zuschauer*innen, die aus dem bürgerlichen Milieu kamen, heruntergebrochen“, betont Schumann. Die Beziehungsdramen und Intrigen erschienen so irdischer und menschlicher. Auch in der Gegenwart hat sich an dieser Vorgehensweise nichts geändert. „Es ist interessant, wie sich unsere Geschichten bis heute auf die Grundpfeiler der griechischen Mythologie und des Alten Testaments stützen“, so die Operndirektorin.

Dass diese Themen aktuell geblieben sind, möchten die Festivalmacher*innen mit modernen Inszenierungen unterstreichen. Im vergangenen Jahr spielte „Ulysses“ an einer Lounge-Bar mit Leuchtschrift. Und auch dieses Mal soll es eine spritzige Regiehandschrift geben. „Regisseur Felix Schrödinger und Ausstatter Pascal Seibicke sind zwei junge Kreative“, verspricht Böckstiegel.
  • winter in schwetzingen barock schloss theater heidelberg festival dorothee oberlinger
    Eine der ganz Großen der Barockmusikszene: Die Barockflötistin und Dirigentin Dorothee Oberlinger übernimmt die musikalische Leitung bei "Nebukadnezar". (Foto: Johannes Ritter)
Als besondere Ehre empfinden es Böckstiegel und Schumann, dass die renommierte Barockflötistin und Dirigentin Dorothee Oberlinger die musikalische Leitung übernimmt und zudem einen Konzertabend gibt. „Sie ist eine der ganz Großen der Barockmusikszene“, schwärmt Böckstiegel. Der Opern-Cast besteht neben Ensemblemitgliedern des Heidelberger Theaters aus namhaften Spezialist*innen für Alte Musik wie etwa dem Countertenor Franko Klisovic und dem Sopranisten Dennis Orleanna. Letzterer stammt aus Honduras und trat in diesem Jahr auch bei den Salzburger Festspielen auf. Beste Voraussetzungen also für das Gelingen des zwei Monate dauernden Barockfests. Das Schwetzinger Schloss mit dem ältesten Rangtheater der Welt bietet dafür die perfekte historische Kulisse. ‹

Nebukadnezar, Barockoper von Reinhard Keiser, Premiere: 01. Dezember 2023, 19.30 Uhr, Rokokotheater Schwetzingen


Winter in Schwetzingen
01. Dezember 2023 bis 04. Februar 2024
Schloss Schwetzingen, Peterskirche und Theater Heidelberg
www.theaterheidelberg.de
Bildnachweis:
Susanne Reichardt

Winter in Schwetzingen

Seit mehr als 15 Jahren bietet das Barock-Fest im Rokokotheater des Schwetzinger Schlosses Begegnungen mit Opernraritäten des Barocks. Inzwischen hat das Festival einen festen Platz in der deutschen Kulturlandschaft, immer wieder werden Aufführungen durch die Fachpresse als »Wiederentdeckung des Jahres« gewürdigt. Neben dem zentralen Werk, das in einer Neuinszenierung das Zentrum einer jeden Ausgabe bildet, bieten hochkarätige Konzerte in der kurfürstlichen Sommerresidenz den Rahmen. Mit der künstlerischen Leitung des Direktionsteams Ulrike Schumann und Thomas Böckstiegel widmet sich der Winter in Schwetzingen seit 2019 der Wiederentdeckung der Werke deutscher Barockkomponisten.
TerminFR 01. Dezember 2023 bis SO 04. Februar 2024
AdresseTheater und Orchester Heidelberg // Theaterstraße 10 // 69117 Heidelberg
SpielorteSchloss Schwetzingen
  • Das sollten Sie nicht verpassen

    Winterreisen – Auf dem Weg nach Hause
    Die „lautten compagney“ aus Berlin verbindet die Sehnsucht nach Heimat mit dem Bild des Reisens im Winter. Zur Musik des 17. Jahrhunderts liest die Schauspielerin Neda Rahmanian Texte von zeit­genössischen Autor*innen wie zum Beispiel Saša Stanišić.
    29. Dezember 2023, 19.30 Uhr,
    Rokokotheater, Schloss Schwetzingen
    (Foto: Ida Zenna)
  • Das sollten Sie nicht verpassen

    Dorothee Oberlinger: Grand Tour
    Grand Tour nannte sich die obligatorische Bildungs­­­reise, auf die sich junge Adelige seit der Renaissance begaben. Die renommierte Dirigentin und Blockflötistin für Alte Musik Dorothee Oberlinger wählt diese Bezeichnung, um mit ihrem ­Ensemble 1700 zu einem Parforceritt durch die europäische Barockmusik zu starten – von Bach bis Purcell.
    19. Januar 2024, 19.30 Uhr,
    Rokokotheater, Schloss Schwetzingen
    (Foto: Johannes Ritter)
facebooktwitterg+Mail