Schlösser und Gärten Hessen

Gibt es im Odenwald Elefanten?

› Wer sich von ferne dem Odenwald nähert, ist überrascht von dessen Lieblichkeit. Die Hügel wölben sich sanft und sind von Wäldern, Weiden und Wiesen bedeckt. Diese fast idealtypisch romantische Landschaft beheimatet eine ganze Reihe von Städten, die es trotz des Fehlens von Industrie zu einigem Wohlstand gebracht haben. Der prägende Erwerbszweig dieser Städte war über Jahrhunderte hinweg das Handwerk. Darin unterscheidet sich der Odenwald nicht von anderen deutschen Mittelgebirgsregionen. Doch gibt es eine große Merkwürdigkeit: Seine Bewohner schnitzen Elfenbein.

Waren es zu früheren Zeiten tatsächlich die Stoßzähne von Elefanten, aus denen die Odenwälder kunstvolle Figuren und Zierrat schufen, werden heute aus Gründen des Artenschutzes als Rohstoff Mammut-Fossilien genutzt. Die Elfenbeinschnitzerei war dabei kein abendlicher Zeitvertreib, sondern ein ernstzunehmender eigenständiger Wirtschaftszweig: In den Blütezeiten der Elfenbeinschnitzerei arbeiteten mehrere tausend Menschen in diesem Gewerbe. Zentrum der Elfenbeinschnitzerei ist die Stadt Erbach — Erbach und Elfenbein waren lange Zeit Synonyme. Das sogenannte weiße Gold galt über Jahrhunderte in vielen Kulturen als sehr repräsentativer Werkstoff. Filigrane Ausstellungsstücke zierten die Kunstkammern Europas. Aber wie kommt dieses sehr exotische Material, das einst den geistlichen und fürstlichen Herrschern vorbehalten war, in den Odenwald?
  • Kunstwerke aus Elfenbein: Die Die „Erbacher Rose“ wurde 1873 auf der Weltausstellung in Wien prämiert. Sie ist …
  • … zusammen mit zahlreichen anderen filigranen Schnitzereien …
  • … in den völlig neu gestalteten Räumen des Elfenbeinmuseums …
  • … im Erbacher Schloss zu sehen.
Untrennbar mit dem Elfenbein in Erbach ist der Name des Grafen Franz I. verbunden. 1754 als einziges Kind und Thronfolger geboren, stirbt sein Vater, als Franz drei Jahre alt ist. Seine Mutter und ein Onkel führen die Regentschaft, während der minderjährige Monarch beeinflusst von dem Gedankengut der Aufklärung erzogen wird. Schon im Alter von 15 Jahren zieht er in die Welt hinaus und lernt an den größten Königshöfen Europas, kommt mit den führenden Köpfen in Kontakt und bleibt mit ihnen im Austausch. Universell gebildet und von den Ideen der Aufklärung und der Romantik durchdrungen, kehrt er voller umwälzender Ideen und mit großen Sammlungen nach Erbach zurück. Seiner damals wie heute berühmten Antiken-Sammlung fügt er die Sammlung mittelalterlicher Rüstungen, die enzyklopädische Sammlung der Schusswaffen und als Lehrsammlung die Geweihsammlung hinzu. Alle Konvolute waren bereits um 1800 öffentlich zugänglich und wurden in großen Prachtkatalogen, die mit einer Fülle von Zeichnungen versehen sind, detailliert beschrieben.

Weltweiter Ruhm für die „Erbacher Rose“

„Sein aufgeklärtes Wissen hat Franz I. vor allem auch für soziale Reformen eingesetzt, um die Armut in seiner Grafschaft zu lindern“, erläutert Karl Weber, Direktor der Verwaltung der Staatlichen Schlösser und Gärten Hessen. Darüber hinaus schafft er neue Erwerbsmöglichkeiten. Die Töpferei — auch die Nachbildung antiker griechischer Vasen — wird schnell zugunsten der Elfenbeinschnitzerei aufgegeben. Auch wenn das Rohmaterial nicht ganz einfach zu beschaffen ist, springt der Funke der Begeisterung schnell auf die Odenwälder über. Denn Franz I. ist äußerst kunstfertig. Als erster Obermeister der neu gegründeten Zunft, spornt er die anderen an und sorgt auch für den Vertrieb. Dank seiner hervorragenden Beziehungen zu vielen europäischen Höfen entwickelt sich rasch ein blühender Handel. „Der Odenwald hatte eine neue nachhaltige Erwerbsquelle, die viele Jahrzehnte, weit über den Tod des Grafen Franz hinaus, das Arbeitsleben der Menschen prägte“, betont Weber. Wie sehr die Odenwälder ihr Handwerk verstehen, zeigt das Beispiel der „Erbacher Rose“. Sie wird auf der Weltausstellung in Wien 1873 prämiert und erlangt so weltweiten Ruhm.

Ihre erste Heimat fanden die wertvollen Elfenbeinschnitzereien im Erbacher Schloss. Dieses Schatzhaus ist bis heute von den Sammlungen und dem Geist Franz I. durchdrungen. 1911 wurde eine erste Vitrine eingerichtet. Später entstand daraus ein kleines Museum, das aber im Schloss ohne festen Standort umherwanderte. 1966 wurde dann — auch auf Initiative des damals einflussreichen Grafen Franz II. — außerhalb der Innenstadt eine feste Bleibe gegründet, die sich den Namen „Deutsches Elfenbeinmuseum“ gab. Trägerin dieses Museums war die Stadt Erbach, die dessen Finanzierung sicherstellte, bis auch aus finanziellen Gründen eine Verlagerung notwendig wurde. Und so kehrten jetzt die Elfenbeinschätze ins Schloss zurück, wo sie in zuvor nicht genutzten Depoträumen untergebracht wurden. Einst befanden sich dort die Küchen und Vorratskammern.

Historische Stücke, moderne Präsentation

„Es war eine Herausforderung, in diesen kleinen Räumen, die in schlechtem Zustand waren, ein modernes Konzept für die Präsentation des Erbacher Elfenbeins zu finden“, versichert Weber. Die Architekten Peter Sichau und Hartmut Walter entwickelten gleichwohl eine beeindruckende Lösung. Ein 90 Meter langer Steg führt an den Vitrinen vorbei. Der sie umgebende Raum verschwindet im Dunklen, sodass die Exponate scheinbar schweben. Der Effekt: Die Objekte stehen im Vordergrund und nicht das Ensemble aus Raum und Objekten wie bei den historischen Sammlungen.

Auf diese Weise gewährt das Museum einen modernen Blick auf die handwerklichen Kleinode, die Franz I. teilweise eigenhändig geschaffen hat. „Das Land Hessen hat 2005 nach einem langen sorgfältigen Abwägungsprozess entschieden, die für die Geschichte des Odenwalds so wichtigen Sammlungen hier am originalen Standort zu belassen“, erläutert Weber. Die Idee, einzelne, besonders wertvolle Werke in ein Landesmuseum zu überführen, sei bewusst verworfen worden. Zur Freude nicht nur der Odenwälder Elfenbeinschnitzer, sondern auch der vielen Besucher von Schloss Erbach. Denn so ist und bleibt das Schloss nicht nur wegen seiner idyllischen Lage eine Reise wert! ‹


Deutsches Elfenbeinmuseum
Schloss Erbach
Öffnungszeiten — März bis Oktober, täglich 10–17 Uhr
Telefon — 06062 80936
Internet — www.elfenbeinmuseum.de

Staatliche Schlösser und Gärten Hessen

Das UNESCO-Weltkulturerbe Kloster Lorsch ist das bedeutendste Bauwerk, das die Hessische Schlösserverwaltung in der Metropolregion Rhein-Neckar betreut. Sein Freilichtlabor Lauresham zieht wie auch der romantische Staatspark Fürstenlager in Bensheim-Auerbach Jung und Alt an. Außerdem gehören auch die Burgen Auerbacher Schloss und Hirschhorn zum Einzugsgebiet der Hessen sowie das Erbacher Schloss mit den gräflichen Sammlungen und dem Deutschen Elfenbeinmuseum. Ein weiteres Kleinod ist die Einhardsbasilika in Michelstadt-Steinbach, eines der letzten Beispiele authentisch erhaltener karolingischer Architektur.
TerminNeu eröffnet
AdresseStaatliche Schlösser und Gärten Hessen // Schloss // 61348 Bad Homburg v.d.Höhe // Telefon: 06172 9262-0 // E-Mail: info@schloesser.hessen.de
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