› Herr Röske, wie kam die Ausstellung zustande?
Die Züricher Kunsthistorikerin Katrin Luchsinger hat sich in Schweizer Psychiatrien nach Arbeiten von Patienten umgesehen. Es gab 25 Kantonal-Psychiatrien und sie hat in 18 nach Werken suchen können. Zuweilen ist sie in den historischen Gebäuden, in Schränken und auf Dachböden fündig geworden, in einigen Anstalten wie in Waldau gab es sogar kleine Museen. Vor allem stieß sie auf Zeichnungen in den Krankenakten.Warum stehen bei den meisten Exponaten nur Initialen?
Wenn es um psychiatrische Krankenakten geht, ist die Situation komplex. Man bekommt nur unter bestimmten Auflagen Einsicht und darf daraus fast nichts zitieren oder an die Öffentlichkeit bringen. Man darf in der Regel auch keine Klarnamen verwenden. Meine Vorgängerin Inge Jádi hat damit angefangen, alle Klarnamen unserer Künstler zu veröffentlichen mit der Begründung, dass es sich um Personen der Zeitgeschichte handele. In der jetzigen Ausstellung werden daher nur die Männer und Frauen mit vollem Namen genannt, die schon durch die Sammlung Prinzhorn bekannt sind. Einige Schweizer sind bereits in der Sammlung vertreten. Die anderen sind mit Namenskürzeln identifiziert.Diente die Anonymisierung dem Schutz der Patienten?
Es hat vor allem bewirkt, dass man die Menschen auf ihren Status der unselbstständigen Psychiatriepatienten zurückwarf. Mit der Namensnennung gesteht man ihnen wieder eine Persönlichkeit zu.
Gibt es für Sie besondere Entdeckungen in der Schau?
Es gibt viele diffizile technische Zeichnungen. Gerade Männer haben das Bedürfnis, unter Beweis zu stellen, dass sie fähig sind, interessante, technisch anspruchsvolle, intelligente und gesellschaftlich nützliche Arbeiten zu erzeugen. Manche Beispiele sind wirklich „extraordinaire“: Skulpturen, große Schiffsmodelle und gehäkelte Flugkörper. In der Ausstellung ist die gesamte Palette von künstlerischen Motiven vertreten. Wie ist die Präsentation gegliedert?
Die Werke sind nach den Orten gruppiert, aus denen sie stammen. Auf diese Weise erhält man einen Einblick, ob es bestimmte Schwerpunkte in Regionen gibt. Und es gibt eine kleine Einleitung, in der wir Schweizer Künstler aus unserer eigenen Sammlung zeigen, unter anderem das Werk „Extraordinaire“, nach dem die Ausstellung benannt ist. Geschaffen hat es die Schweizerin Eugenie P., deren Nachnamen wir tatsächlich nicht wissen. In der Schweiz gibt es zwei Museen für Outsider Art und jetzt dieses groß angelegte Projekt, das staatlich gefördert wird. Ist die Sensibilität gegenüber dem Thema dort größer?
Wahrscheinlich schon. In der Schweiz hat die Volkskunst eine lange Tradition. Und es gibt möglicherweise mehr Exzentriker, auch unter großen Künstlern wie Jean Tinguely. Ich glaube, dass man in der Schweiz toleranter gegenüber Abweichendem ist. Der berühmteste Künstler aus psychiatrischem Kontext ist ebenfalls ein Schweizer: Adolf Wölfli wurde schon 1921 mit einer Monografie gewürdigt und ist heute der teuerste Künstler auf diesem Sektor. ‹Thomas Röske ist Kunsthistoriker und leitet seit 2002 die Sammlung Prinzhorn. Seit 2012 ist er Präsident der European Outsider Art Association.Extraordinaire! Werke aus psychiatrischen Einrichtungen in der Schweiz um 1900
11. Oktober 2018 bis 20. Januar 2019
Sammlung Prinzhorn, Heidelberg
Dienstag bis Sonntag 11–17 Uhr, Mittwoch 11–20 Uhr
www.sammlung-prinzhorn.de
Die Züricher Kunsthistorikerin Katrin Luchsinger hat sich in Schweizer Psychiatrien nach Arbeiten von Patienten umgesehen. Es gab 25 Kantonal-Psychiatrien und sie hat in 18 nach Werken suchen können. Zuweilen ist sie in den historischen Gebäuden, in Schränken und auf Dachböden fündig geworden, in einigen Anstalten wie in Waldau gab es sogar kleine Museen. Vor allem stieß sie auf Zeichnungen in den Krankenakten.Warum stehen bei den meisten Exponaten nur Initialen?
Wenn es um psychiatrische Krankenakten geht, ist die Situation komplex. Man bekommt nur unter bestimmten Auflagen Einsicht und darf daraus fast nichts zitieren oder an die Öffentlichkeit bringen. Man darf in der Regel auch keine Klarnamen verwenden. Meine Vorgängerin Inge Jádi hat damit angefangen, alle Klarnamen unserer Künstler zu veröffentlichen mit der Begründung, dass es sich um Personen der Zeitgeschichte handele. In der jetzigen Ausstellung werden daher nur die Männer und Frauen mit vollem Namen genannt, die schon durch die Sammlung Prinzhorn bekannt sind. Einige Schweizer sind bereits in der Sammlung vertreten. Die anderen sind mit Namenskürzeln identifiziert.Diente die Anonymisierung dem Schutz der Patienten?
Es hat vor allem bewirkt, dass man die Menschen auf ihren Status der unselbstständigen Psychiatriepatienten zurückwarf. Mit der Namensnennung gesteht man ihnen wieder eine Persönlichkeit zu.
Es gibt viele diffizile technische Zeichnungen. Gerade Männer haben das Bedürfnis, unter Beweis zu stellen, dass sie fähig sind, interessante, technisch anspruchsvolle, intelligente und gesellschaftlich nützliche Arbeiten zu erzeugen. Manche Beispiele sind wirklich „extraordinaire“: Skulpturen, große Schiffsmodelle und gehäkelte Flugkörper. In der Ausstellung ist die gesamte Palette von künstlerischen Motiven vertreten. Wie ist die Präsentation gegliedert?
Die Werke sind nach den Orten gruppiert, aus denen sie stammen. Auf diese Weise erhält man einen Einblick, ob es bestimmte Schwerpunkte in Regionen gibt. Und es gibt eine kleine Einleitung, in der wir Schweizer Künstler aus unserer eigenen Sammlung zeigen, unter anderem das Werk „Extraordinaire“, nach dem die Ausstellung benannt ist. Geschaffen hat es die Schweizerin Eugenie P., deren Nachnamen wir tatsächlich nicht wissen. In der Schweiz gibt es zwei Museen für Outsider Art und jetzt dieses groß angelegte Projekt, das staatlich gefördert wird. Ist die Sensibilität gegenüber dem Thema dort größer?
Wahrscheinlich schon. In der Schweiz hat die Volkskunst eine lange Tradition. Und es gibt möglicherweise mehr Exzentriker, auch unter großen Künstlern wie Jean Tinguely. Ich glaube, dass man in der Schweiz toleranter gegenüber Abweichendem ist. Der berühmteste Künstler aus psychiatrischem Kontext ist ebenfalls ein Schweizer: Adolf Wölfli wurde schon 1921 mit einer Monografie gewürdigt und ist heute der teuerste Künstler auf diesem Sektor. ‹Thomas Röske ist Kunsthistoriker und leitet seit 2002 die Sammlung Prinzhorn. Seit 2012 ist er Präsident der European Outsider Art Association.Extraordinaire! Werke aus psychiatrischen Einrichtungen in der Schweiz um 1900
11. Oktober 2018 bis 20. Januar 2019
Sammlung Prinzhorn, Heidelberg
Dienstag bis Sonntag 11–17 Uhr, Mittwoch 11–20 Uhr
www.sammlung-prinzhorn.de
Bildnachweis:
Häkelobjekt: Lina Cécile Colliot Schafter (1867-1937), „Objekt“, undatiert, © Stiftung Psychiatrie-Museum Bern; Foto Thomas Röske, © Universitätsklinikum HeidelbergSammlung Prinzhorn
Die Sammlung Prinzhorn ist ein Museum für Kunst von Menschen mit psychischen Ausnahme-Erfahrungen. Ihr bekannter historischer Bestand umfasst rund 6.000 Zeichnungen, Aquarelle, Gemälde, Skulpturen, Textilien und Texte, die Insassen psychiatrischer Anstalten zwischen 1840 und 1945 geschaffen haben. Dieser weltweit einzigartige Fundus wurde zum größten Teil von dem Kunsthistoriker und Psychiater Hans Prinzhorn (1886–1933) während seiner Zeit als Assistenzarzt an der Psychiatrischen Klinik der Universität Heidelberg zusammengetragen. Seit 1980 wächst die Sammlung weiter (der neuere Bestand umfasst ca. 16.000 Werke). Das Museum zeigt jährlich drei bis vier thematische Ausstellungen und möchte damit zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankung beitragen. Als Teil des Universitätsklinikums Heidelberg ist das Haus auch eine wissenschaftliche Einrichtung, die das Schicksal der Künstler und Künstlerinnen, ihre Werke und übergeordnete Fragestellungen erforscht. Zu den bekanntesten KünstlerInnen der Sammlung zählen Harald Bender, Else Blankenhorn, Franz Karl Bühler, Paul Goesch, Emma Hauck, August Natterer und Adolf Wölfli.
AdresseSammlung Prinzhorn
// Klinik für Allgemeine Psychiatrie // Universitätsklinik Heidelberg
// Voßstraße 2
// 69115 Heidelberg
// Besucherinformation: 06221 / 56-47 39 // E-Mail: prinzhorn@uni-heidelberg.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 11–17 Uhr, Mittwoch 11–20 Uhr, an geöffneten Feiertagen bis 17 Uhr
In den Umbauzeiten zwischen den Ausstellungen ist das Museum geschlossen!