Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz

Game of Thrones am Rhein?

› Etwas mystisch ist der Einstieg in den mittelalterlichen Machtkosmos: Ein dunkler Saal, in dem sakrale Gesänge zu hören sind, im Zentrum stehen drei beleuchtete Exponate, drei Stuhl- bzw. Thronfragmente. Sie begrüßen zur Landesausstellung „Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht“ — und dies natürlich nicht zufällig: „Throne sind die sichtbaren Zeichen eines Einzelnen über viele und führen so symbolisch sehr schön in unser Thema ein“, erklärt Birgit Heide, Direktorin des Landesmuseums Mainz. Zusammen mit Bernd Schneidmüller, Geschichtsprofessor an der Universität Heidelberg, hat sie die wissenschaftliche Leitung der Ausstellung inne, die zusammen mit vielen Partner-Institutionen und wissenschaftlichen Expert*innen aus dem In- und Ausland konzipiert wurde.

Raum der Throne

Neben einem Thronfragment aus Kalkstein aus der zweiten Hälfte des 8. Jahrhunderts und einem römischen Klappstuhl aus der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts — ein Thron für Reisen sozusagen — werden auch die bronzenen Thronlehnen aus der Kaiserpfalz in Goslar in dem ersten Präsentationsraum gezeigt. „Sie stammen aus der Zeit Heinrichs IV. und stellen zweifellos eines der bedeutendsten Beispiele von Bronzegussarbeiten in salischer Zeit dar“, erklärt Heide. Es ist nicht nur aufgrund seiner fein gearbeiteten floralen Ornamente ein einzigartiges Stück, sondern auch wegen der Rezeptionsgeschichte: „Die Thronlehnen schmückten den Thron Wilhelms I. 1871 bei der Eröffnung des Reichstags in Berlin. Der Kaiser wollte damit eine Kontinuität zwischen dem Deutschen Kaiserreich und dem Heiligen Römischen Reich herstellen.“ Genau um solche Legitimationsfragen des Kaisertums geht es in der Ausstellung, denn mit der Herrschaft ging auch immer das sprichwörtliche Am-Thron-Rütteln einher.
  • Kunststück – Die Elfenbeinmadonna entstand um die Jahrtausendwende und wurde wohl als Buchdeckel einer liturgischen Handschrift oder als Altarverkleidung genutzt.
  • Filigran – Die Große Mainzer Adlerfibel ist eines der prachtvollsten Beispiele mittelalterlicher
    Handwerkskunst.
  • Barbarossa in Gold – Der Cappenberger Kopf gilt als erstes profanes Herrscherporträt seit der Antike.
  • Codex Manesse – Die umfangreichste deutsche Liederhandschrift des Mittelalters ist als Leihgabe der Universitätsbibliothek Heidelberg sechs Wochen im Original zu bewundern, danach als Faksimile.
Die Landesausstellung erzählt diese Ränkespiele und Machtverschiebungen anhand ausgewählter Kaiserpersönlichkeiten und setzt sie ins Verhältnis zu ihren jeweiligen Säulen der Macht — ganz gleich ob Päpste, Bischöfe, jüdische Gemeinden oder Städte und Fürsten. Über einen Zeitraum von fünf Jahrhunderten erstreckt sich die Präsentation: Am Beginn stehen die Expansionsbestrebungen Karls des Großen seit ungefähr 770 bis zu seiner Kaiserkrönung 800, die zugleich die Idee des antiken Kaisertums wiederbelebte.

Den Abschluss bildet die Goldene Bulle aus dem Jahr 1356, ein kaiserliches Gesetzbuch zur Regelung der Wahl und Krönung von Königen und Kaisern, das bis 1806 Gültigkeit hatte. Die Ausstellung nimmt das Erstarken und Schwinden der Kaisermacht in den Blick und beleuchtet die mittelalterlichen Strukturen und Netzwerke sowie die sozioökonomischen Hintergründe: „Macht und Herrschaft funktionierten nur mit starken Verbündeten, die gesalbten Kaiser herrschten nicht unbestritten mit absoluter Macht über ihr Reich — das wollen wir zeigen“, erklärt die Museumsdirektorin.

Synagogen, Dome und Burgen

Das Jahr 2020 hat die Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (GDKE) zum „Kaiserjahr“ in ganz Rheinland-Pfalz ausgerufen, aufgrund der Corona-Krise wird dieses Festjahr bis in den Oktober 2021 verlängert. Die Ausstellung in Mainz ist das Zentrum, darüber hinaus gibt es an vielen Korrespondenzorten Ausstellungen und Veranstaltungen zum Thema. „Interessanterweise blieb der hiesige Raum am Rhein über Jahrhunderte hinweg das politische, wirtschaftliche und kulturelle Zentrum Europas“, erklärt Heide. „Wir möchten den Besucherinnen und Besuchern der Ausstellung auch ganz dringend ans Herz legen, die besonderen Stätten wie Synagogen, Dome und Burgen in der Region zu besuchen. Das sind Orte, die schon seit Jahrhunderten das reiche kulturelle Erbe bezeugen und dies noch lange tun werden.“

Von Mainz bis Speyer

„Die größte Kraft des Reiches“ schrieb der Chronist Otto von Freising im 12. Jahrhundert dem Raum am Rhein zu — der Region zwischen Aachen und Basel, zwischen Metz und Frankfurt. Die Ausstellung rückt diese Region als Schauplatz zentraler Ereignisse der mittelalterlichen Geschichte in den Mittelpunkt. Hier entstanden, auf einer Strecke von knapp 100 Kilometern, die mächtigen Kathedralbauten von Mainz, Worms und Speyer. Hier fanden große Hof- und Reichsversammlungen sowie bedeutende Kirchensynoden statt. Hier wurden Könige gewählt und gekrönt.

Im „goldenen Mainz“ residierte der mächtigste Mann nach dem Kaiser und Stellvertreter des Papstes — Erzbischof Willigis. In Worms wurde im Jahr 1122 das erbitterte Ringen um den Machtanspruch zwischen Kaiser und Papst mit dem Wormser Konkordat beendet. In der Kaiserpfalz in Ingelheim machten Könige und Kaiser mit Gefolge Halt, in Mainz und Worms hielten sie Hoftage und große Feierlichkeiten ab. Die drei Städte Speyer, Worms und Mainz mit ihren hoch angesehenen Talmudschulen galten über Jahrhunderte als „Wiege der Gelehrsamkeit“. Unter dem Namen „SchUM“ (SCHpira, Uormatia und Magenza) entwickelten sie sich im aschkenasischen Judentum zur höchsten Autorität in religiös-kultischen und rechtlichen Fragen. Dieses Erbe steht übrigens auch im Fokus der aktuellen Bewerbung der SchUM-Städte um Aufnahme in die Welterbeliste der UNESCO — auch dazu gibt es Informationen in der Ausstellung.
  • Nicht nur im Landesmuseum in Mainz, sondern auch an Korrespondenzorten in der Region wird das Kaiserjahr gefeiert. So zum Beispiel in Speyer...im Dom zu Speyer, im Historischen Museum der Pfalz, im Museum Schpira und Judenhof sowie im Archäologischen Schaufenster.
  • In Worms im Dom St. Peter, im Jüdischen Museum und im Nibelungenmuseum.
  • Im Kloster Lorsch.
  • In Bad Dürkheim im hiesigen Stadtmuseum, auf der Klosterruine Limburg sowie der Schloss- und Festungsruine Hardenburg.
  • In Annweiler auf der Reichsburg Trifels und im Museum unterm Trifels.
Rund 300 Exponate, von denen viele selten in Ausstellungen zu sehen sind, wurden für die Landesausstellung in Mainz versammelt. „Uns war es sehr wichtig, möglichst viele originale Exponate hier zu zeigen und nur im Ausnahmefall auf Repliken zurückzugreifen“, berichtet Ausstellungsmacherin Heide. Sie selbst könne sich gar nicht entscheiden, welches ihr Lieblingsstück sei. Zu sehen sind Besonderheiten wie die Willigiskasel, das zentrale Gewand des mächtigen Erzbischofs, dem Heinrich II. maßgeblich seine Macht zu verdanken hatte, oder das Armreliquiar Karls des Großen aus dem Pariser Louvre, ein prächtiger goldener Schrein, der von der Karlsverehrung während der Zeit Friedrich I. Barbarossas zeugt.

Aus Heidelberg ist mit dem Codex Manesse ein selten gezeigtes Stück angereist. Aus konservatorischen Gründen wird diese Liederhandschrift aus der Zeit um 1300 nur noch selten gezeigt. Die Seiten müssen einmal pro Woche umgeblättert werden, weil sie so empfindlich sind. Das sensible Ausstellungsstück kann nur sechs Wochen ausgestellt werden, danach wird das Faksimile zu sehen sein.

Macht für die Fürsten

Aus Wien kehrt die Mainzer Goldene Bulle nach über zwei Jahrhunderten an ihren Ursprungsort zurück. Mit diesem Schriftstück schuf Karl IV. eine neue Grundordnung und reagierte auf die Doppel- und Gegenkönigswahlen, die das Heilige Römische Reich deutscher Nation nach dem Tod des letzten Staufers Friedrich II. im Jahr 1250 destabilisiert hatten. Damit wurden die Reichsfürsten offiziell als Wahlgremium bestimmt sowie ihre Rechte und Pflichten akribisch festgeschrieben. Am Ausgang der Mainzer Schau verabschieden einen so auch nicht ein gekröntes Oberhaupt allein, sondern acht monumentale Sandsteinreliefs. Die Figuren stammen vom Mainzer Kaufhausgebäude aus dem 14. Jahrhundert und zeigen König Ludwig den Bayern, später Kaiser Ludwig IV., umringt von den sieben Kurfürsten — den Säulen seiner Macht. ‹


Die Kaiser und die Säulen ihrer Macht. Von Karl dem Großen bis Friedrich
Barbarossa

bis 18. April 2021
Landesmuseum Mainz
Öffnungszeiten — Mittwoch bis Sonntag 10–17 Uhr, Dienstag 10–20 Uhr
www.kaiser2020.de
Info — Bitte buchen Sie über die Website vorab ein Zeitfenster-Ticket!
Mittelalter zum Anfassen! — Mitmach-Ausstellung für Kinder
Unter dem Titel „Ritter, Bauer, Edeldame“ präsentiert das Landesmuseum Mainz begleitend zur Kaiser-Schau eine eigene Ausstellung für Kinder. Ritter, Edeldame, Händlerin, Spielmann, Handwerker, Mönch und Bauer — die Mitmach-Ausstellung erzählt die Geschichten von sieben Menschen aus dem Mittelalter. An insgesmat 32 Stationen können die jungen Besucher*innen in die Welt des Mittelalters eintauchen — etwa ein Turnier reiten und ein Schwert schmieden, sich wie eine Edeldame kleiden, eine mittelalterliche Stadt entdecken, einen höfischen Tanz erlernen oder mittelalterliche Musik komponieren. Zielgruppe der Schau sind Kinder ab fünf Jahren und ihre Familien. Kinder dürfen nur in Begleitung von Erwachsenen die Ausstellung besuchen.
Ritter, Bauer, Edeldame, bis 18. April 2021, Mittwoch bis Sonntag 10–17 Uhr, Dienstag 10–20 Uhr; Landesmuseum Mainz, www.kaiser2020.de
Bildnachweis:
@ Radek Brunecky; Ausstellungsgestaltung Holzer Kobler Architekturen

Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz

Unter dem Motto „Wir machen Geschichte lebendig!“ erforschen, sichern, sammeln und vermitteln die sechs Direktionen unter dem Dach der Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz (GDKE) das Kulturelle Erbe des Bundeslandes. Ihren Sitz hat die Obere Landesbehörde, die direkt dem Ministerium für Bildung, Wissenschaft, Weiterbildung und Kultur nachgeordnet ist, in der Festung Ehrenbreitstein in Koblenz. Zu den Liegenschaften und Denkmälern, für die die GDKE in der Metropolregion Rhein-Neckar zuständig ist, gehören das Schloss Villa Ludwigshöhe in Edenkoben, die Reichsburg Trifels in Annweiler und die Hardenburg in Bad Dürkheim. In Speyer ist eine Außenstelle der Landesarchäologie beheimatet, die unter anderem das „Archäologische Schaufenster“ betreibt.
AdresseGeneraldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz // Festung Ehrenbreitstein // 56077 Koblenz // Telefon: 0261 6675-0 (Zentrale)
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