› Effizienter kann man Kunst nicht zeigen. Ganze 70 Gemälde hat ein Fotograf 1933 festgehalten — auf nur vier Aufnahmen. Ähnlich lapidar war auch die Präsentation der Kunstwerke: Sämtliche Gemälde der Ausstellung „Kulturbolschewistische Bilder“ waren in der Kunsthalle Mannheim einfach aus ihren Rahmen genommen und dann schnöde aneinandergereiht worden. Die Werke galten als „entartet“, sie passten nicht in das Kunstdiktat der NS-Zeit. So zeigte man sie nackt, entwürdigt und ohne erkennbare Ordnung. Doch von wem stammten diese Aufnahmen überhaupt? Wer hatte die Ausstellung im Auftrag der Nationalsozialisten fotografiert? 7.000 Fotos aus dem ArchivArno Gisinger hat versucht, auf diese Fragen Antworten zu finden. Und aus dem historischen Glasplattenarchiv der Kunsthalle Mannheim für die anstehende Biennale für aktuelle Fotografie eine große Installation im Wasserturm erarbeitet. „Die Geschichte der Kunst ist auch eine Geschichte der Fotografie“, sagt der Österreicher, der 7.000 Fotos für sein Projekt gesichtet hat. Denn das größte kuratierte Fotoereignis in Deutschland ist auch so etwas wie eine Standortbestimmung — für Kunsthistoriker, Kuratoren und Künstler. Und genau deswegen blickt es auch zurück, in die Historie. „Farewell Photography“ ist der offizielle Titel des anstehenden Großevents vom 09. September bis 05. November.
Insgesamt sieben Ausstellungshäuser in Mannheim, Heidelberg und Ludwigshafen sind an der Biennale beteiligt. Kuratiert wird das Ganze von sechs Experten: Der prominenteste ist Florian Ebner, der am Centre Pompidou in Paris eine der bedeutendsten Fotosammlungen Europas leitet und unter anderem im Deutschen Pavillon der Biennale von Venedig die erste Fotoschau überhaupt gezeigt hat. In Mannheim stellt er bei Zephyr, dem „Raum für Fotografie“ unter dem Dach der Reiss-Engelhorn-Museen, die Schau „Andere Zeugenschaften“ zusammen — unter anderem mit Aufnahmen der Migrant Image Research Group, die sich mit den Standpunkten von Journalisten, Flüchtlingen und Polizisten auf der Insel Lampedusa beschäftigt.Historische Porträts und Bilder aus den sozialen NetzwerkenInsgesamt 4.000 Quadratmeter Ausstellungsfläche gilt es zu bespielen. Dafür hat Ebner ein junges Team zusammengestellt: Im Ludwigshafener Wilhelm-Hack-Museum spürt die Fotohistorikerin Kathrin Schönegg der Entstehung von Bildern in einer Art Parcours nach, während Ebners Co-Kuratorin Christin Müller die Öffnung des Bildraums hinterfragt — also Fotos zeigt, die traditionelle Bildträger wie etwa das Fotopapier verlassen. In der Heidelberger Sammlung Prinzhorn stellt sie zudem historische Porträts zeitgenössischen gegenüber. „Global Players“ hat Kerstin Meincke eine Schau genannt, in der es um Ökonomie und Migration geht — mit Künstlern wie Serafettin Keskin, der sich selbst als Gastarbeiter in Heidelberg dokumentierte. Als Künstlerkurator widmet sich Boaz Levin der politischen Bedeutung von Fotos im Kunstverein Ludwigshafen, während der Kunsthistoriker Fabian Knierim im Port 25 hinterfragt, warum Menschen ihre Fotos in sozialen Netzwerken teilen, nach welchen Kriterien man sie ordnen könnte. Der „Historiker-Fotograf“Und Arno Gisinger? In der Kunstszene wird er gern auch als „Historiker-Fotograf“ bezeichnet, denn immer wieder umkreisen seine Arbeiten Vergangenes, Verborgenes und Verdrängtes: Für die Serie „12 Interiors“ etwa hatte er Juden besucht, die während des Holocausts nach New York geflüchtet waren, und ihre Wohnzimmer als Orte voller Erinnerungen an Europa gezeigt. Die Serie „Invent arisiert“ dokumentierte Bestände des Mobiliendepots in Wien, aus dem sich bis zum Jahr 2000 Diplomaten bedienen konnten — um sich auch im Ausland möglichst österreichisch einzurichten. In ihm recherchierte er die Besitztümer aus acht jüdischen Familien, die man in der NS-Zeit enteignet hatte: ihre Schreibmaschinen, Kinderbetten, Teppiche.
Für sein Biennale-Projekt „Gespenstergeschichten“ hat Gisinger historische Aufnahmen von der Gründung der Mannheimer Kunsthalle im Jahr 1907 bis in die frühen 1960er-Jahre zu einem „visuellen Bilderstreit“ zusammengestellt. Gezeigt wird das Projekt im Wasserturm, da die Kunsthalle mit ihrem eindrucksvollen Neubau erst am 15. Dezember dieses Jahres wiedereröffnet wird. Für Gisingers Schau hat der Architekt Bernhard Tatter eine Plattform entworfen, auf der etwa 25 Personen Platz finden. Mit drei Weitwinkelprojektoren will Gisinger die Glasplatten in dreifacher Ausführung an die Wände werfen: als Positive, Negative und abfotografierte Bilder, die auch Randbemerkungen und Beschneidungen zeigen. Und damit nicht nur die Historie des Hauses und der Kunst, sondern auch der Fotografien an sich.Wie Gespenster aus vergangenen Zeiten sollen sich so Zeiten und Stile überlagern, verbinden — und Umbrüche zeigen: sich mit der Zeit verändernde Geschmäcker und Kunstrichtungen. Aber auch den Einfluss der Politik — wie eben auf jene Ausstellung im Jahr 1933, die „entartete Kunst“ zeigte. Jeweils 18 mal 24 oder 13 mal 18 Zentimeter ist solch eine Glasplatte groß, aus der ein riesiges Tableau entsteht. Aus hunderten Einzelteilen — eine Mannheimer Geschichte der fotografierten Kunst. ‹
Arno Gisingers „Gespenstergeschichten“ sind als Installation im Mannheimer Wasserturm während der Biennale für aktuelle Fotografie vom 09. September bis 05. November 2017 zu sehen (Dienstag bis Sonntag, jeweils 15 bis 19 Uhr). Bei der „Langen Nacht der Fotografie“ am 23. September sind die Gespenstergeschichten bis 23 Uhr geöffnet.
Hinweis! Am 10. sowie am 12. und 13. September ist die Installation geschlossen.
Farewell Photography — der ÜberblickDie sechs Kuratorinnen und Kuratoren fragen in acht Themenfeldern nach der Materialität und den Gebrauchsweisen ebenso wie nach dem gesellschaftspolitischen Potenzial der Fotografie. 1 × 1 der Kamera. Was verspricht und was verfehlt das Material?
Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen, Kuratorin: Kathrin SchöneggDas stille Bild verlassen. Wie hoch, breit, tief und flexibel ist ein Bild?
Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen, Kuratorin: Christin Müller Kein Bild ist eine Insel. Wie prägt das Teilen unseren Umgang mit Bildern?
Port25 — Raum für Gegenwartskunst, Mannheim,
Kurator: Fabian KnierimWer bist du? Das bist du! Was verraten Porträts (nicht) über die Porträtierten?
Museum Sammlung Prinzhorn, Heidelberg, Kuratorin: Christin MüllerWiderständige Bilder. Wie behauptet sich Widerstand — mit Bildern und gegen sie?
Heidelberger Kunstverein, Kurator: Boaz LevinGlobal Players. Wie lassen sich Fotografie, Ökonomie und Migration zusammen denken?
Kunstverein Ludwigshafen, Kuratorin: Kerstin MeinckeAndere Zeugenschaften. Was sagt die Einstellung über die Einstellung?
ZEPHYR — Raum für Fotografie in den Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim, Kurator: Florian EbnerGespenstergeschichten. Ein Bilderstreit im Mannheimer Wasserturm.
Kunsthalle Mannheim (Installation im Mannheimer Wasserturm), ein Projekt von Arno Gisinger
Arno Gisingers „Gespenstergeschichten“ sind als Installation im Mannheimer Wasserturm während der Biennale für aktuelle Fotografie vom 09. September bis 05. November 2017 zu sehen (Dienstag bis Sonntag, jeweils 15 bis 19 Uhr). Bei der „Langen Nacht der Fotografie“ am 23. September sind die Gespenstergeschichten bis 23 Uhr geöffnet.
Hinweis! Am 10. sowie am 12. und 13. September ist die Installation geschlossen.
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Kunsthalle Mannheim (Installation im Mannheimer Wasserturm), ein Projekt von Arno Gisinger
Biennale für aktuelle Fotografie
Die Biennale für aktuelle Fotografie findet alle zwei Jahre in den wichtigsten Ausstellungshäusern der drei Städte Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg statt. Gezeigt werden Themenausstellungen von international renommierten GastkuratorInnen. Knapp 4000 Quadratmeter Ausstellungsfläche bietet Platz für eine vielfältige Betrachtung aktueller fotografischer Positionen und schafft den Rahmen, über ein Medium nachzudenken, das unsere Gesellschaft prägt wie kaum ein anderes.
TerminSA 09. September bis SO 05. November 2017
AdresseBiennale für aktuelle Fotografie e.V. // E 4,6 // 68159 Mannheim // E-Mail: info@biennalefotografie.de
SpielorteLudwigshafen: Wilhelm-Hack-Museum, Kunstverein // Mannheim: Forum Internationale Photographie (FIP) & ZEPHYR, Port25 – Raum für Gegenwartskunst, Kunsthalle // Heidelberg: Kunstverein