Kunsthalle Mannheim

„Wir werden ein Museum in Bewegung sein“

› Frau Dr. Lorenz, die neue Kunst­hal­le Mann­heim wird nicht nur ein Gebäude sein, in dem Kunst gezeigt wird. Müssen Museen heute mehr bieten als früher?
Die Welt ver­än­dert sich und die Museen ver­än­dern sich mit ihr. In den 1960er-Jah­ren stand die Dienst­leis­tung im Vor­der­grund und die Museen er­füll­ten die Er­war­tun­gen ihrer Be­su­cher. In den 1970er-Jah­ren setzte mit den Stu­den­ten­re­vol­ten und den ge­sell­schaft­li­chen Ver­än­de­run­gen ein mu­se­ums­päd­ago­gi­scher Auf­bruch mit neuen Schwer­punk­ten ein. In den 1980er/90er-Jah­ren wie­der­um sollten Museen ver­zau­bern. Und heute hat vor allem die jüngere Ge­ne­ra­ti­on einen Krea­ti­vi­täts­boom aus­ge­löst. Die so­ge­nann­ten „Digital Natives“ greifen auf die Welt aktiv zu und wir öffnen uns als In­sti­tu­ti­on diesen An­for­de­run­gen. Wir bieten unsere Inhalte an für eine Be­tei­li­gung und Mit­ar­beit am Museum, an unserer Arbeit, an unserem Nach­den­ken über die Kunst.


Wie kann der Be­su­cher selbst aktiv werden?
Die Kunst­hal­le Mann­heim wirkt durch ihre neue Ar­chi­tek­tur wie ein Symbol für eine „Stadt in der Stadt“. Wir haben einen Markt­platz, den wir als Ort der Be­geg­nung und des Aus­tauschs sehen. Die Be­su­cher kommen in dieses Herz­stück des Hauses, ohne Ein­tritt be­zah­len zu müssen, und können von dort aus alles über­schau­en. In diesem 700 Qua­drat­me­ter großen Ta­ges­lichta­tri­um be­fin­det sich unsere Collec­tion Wall, ein di­gi­ta­les Werk­zeug wie eine große Pla­kat­wand. Sie besteht aus Touch­screens, auf denen die gesamte Samm­lung er­scheint. Die Be­su­cher können Bilder, die sie in­ter­es­sie­ren, her­an­zie­hen, ver­grö­ßern, auf ihre Smart­pho­nes her­un­ter­la­den und sich in­for­mie­ren, ob diese Bilder im Moment aus­ge­stellt sind oder im Depot lagern. Sie er­hal­ten auch Ein­bli­cke in die ver­bor­ge­nen Teile des Museums. Jeder kann sich seine eigene Führung zu­sam­men­stel­len und diese anderen Be­su­chern hin­ter­las­sen. Auf diese Weise schaf­fen wir eine Ebene des Aus­tauschs, die ohne uns als „kon­trol­lie­ren­de“ In­sti­tu­ti­on funk­tio­niert. Das ist eine Art von Frei­heit, die neu ist im Museum.
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    Ein­drucks­vol­le Per­spek­ti­ven: Im Juli konnten in­ter­es­sier­te Be­su­cher bei einer ar­chi­tek­to­ni­schen Führung schon erste Ein­drü­cke sammeln und erleben, …

Zur Er­öff­nung hat die Stif­tung Kunst­hal­le Mann­heim ein be­son­de­res Werk des Süd­afri­ka­ners William Ken­tridge er­wor­ben …
Für mich ist es ein we­sent­li­ches Werk der zeit­ge­nös­si­schen Kunst. „The Refusal of Time“ aus dem Jahr 2012 ist eine mul­ti­me­dia­le Arbeit mit fünf großen Pro­jek­tio­nen und einer zen­tra­len Skulp­tur, die sich wie eine Ma­schi­ne bewegt. Ken­tridge kom­bi­niert Musik, Theater, Bild, Skulp­tur und Selbst­por­trät. Politik und Poesie ver­ei­ni­gen sich hier auf das Sinn­fäl­ligs­te. Er ist ja in einer Zeit in Süd­afri­ka auf­ge­wach­sen, in der Apart­heid das Leben be­stimm­te. Sein Vater war Rechts­an­walt und hat mit Nelson Mandela die neue Ver­fas­sung er­ar­bei­tet. So ist dieser Künst­ler ein po­li­ti­scher Mensch ge­wor­den und be­ar­bei­tet seine Prä­gun­gen künst­le­risch. „The Refusal of Time“ ist für mich ein Ge­gen­stück zu Manets „Er­schie­ßung Kaiser Ma­xi­mi­li­ans“ — eben­falls ein eminent po­li­ti­sches Werk unserer Samm­lung. Mir war es wichtig, zu Manets Gemälde aus dem 19. Jahr­hun­dert ein Werk aus dem frühen 21. Jahr­hun­dert zu er­wer­ben, das eine ähn­li­che Haltung und einen ähn­li­chen An­spruch ver­mit­telt, gleich­zei­tig aber völlig anders funk­tio­niert, weil es zeit­ge­nös­sisch und mul­ti­me­di­al ist.


Sie prä­sen­tie­ren die Samm­lung nicht chro­no­lo­gisch, sondern the­ma­tisch. Können Sie ein Bei­spiel nennen?
Wir sind auch im Umgang mit unserer Samm­lung ein „Museum in Be­we­gung“. Aus diesem Grund gibt es keine Hängung mehr „für die Ewig­keit“. Viel­mehr machen wir unserem Pu­bli­kum immer wieder neue Vor­schlä­ge und In­ter­pre­ta­ti­ons­an­ge­bo­te. Die Samm­lung, die die Stadt und die Bürger Mann­heims in mehr als 100 Jahren zu­sam­men­ge­tra­gen haben, be­han­delt vor allem exis­ten­zi­el­le Themen: Liebe, Tod, Ver­gäng­lich­keit, Glück. Diese Fragen nehmen wir auf. Es wird Räume geben,
in denen wir die Be­su­cher un­mit­tel­bar an­spre­chen. So kon­fron­tie­ren wir sie zum Bei­spiel mit fi­gür­li­chen Skulp­tu­ren auf einem Platz, sodass sie sich als Körper im Raum be­grei­fen. Oder es gibt Räume, die auf Ka­ta­stro­phen der Ge­schich­te und Ge­gen­wart an­spie­len: Francis Bacons „Schrei­en­der Papst“ kommt hier bei­spiels­wei­se mit einer ex­pres­si­ven In­stal­la­ti­on von Thomas Hirsch­horn zu­sam­men.

Be­kom­men Schlüs­sel­wer­ke wie Manets „Die Er­schie­ßung Kaiser Ma­xi­mi­li­ans“ eine be­son­de­re Bühne?
Ja, man kann be­stimm­te The­men­räu­me auch als eine Art Bühne be­zeich­nen. Das Haupt­werk der Samm­lung wird aber nicht allein in einem Wei­he­raum prä­sen­tiert wie ein Altar, sondern wir setzen es bewusst einer zeit­ge­nös­si­schen Po­si­ti­on ent­ge­gen. Das wird mit Si­cher­heit für Über­ra­schun­gen, viel­leicht sogar für Ir­ri­ta­tio­nen sorgen. Ich will nicht zu viel ver­ra­ten, aber es ist ein Werk, das der Be­su­cher be­nut­zen kann. Er kann hin­auf­klet­tern und im realen Sinn seine Per­spek­ti­ve auf Manet ver­än­dern. Das ist auch eine Art von Ak­tua­li­sie­rung.


In der ersten Son­der­aus­stel­lung zeigen Sie die Fo­to­kunst von Jeff Wall …
Jeff Wall ist ein ka­na­di­scher Fo­to­pio­nier, der in den 1970er/ 80er-Jah­ren in­no­va­ti­ve Zeichen in der Fo­to­gra­fie gesetzt hat — mit seinen großen in­sze­nier­ten Leucht­käs­ten, die wie Film­stills wirken. Sie sind extrem thea­tra­lisch und gleich­zei­tig auch eine direkte Re­fle­xi­on der Kunst­ge­schich­te. Manet zum Bei­spiel ist sehr wichtig für Jeff Wall. Das war der Aus­gangs­punkt, uns mit diesem Künst­ler zu be­schäf­ti­gen. ‹


Open House — die neue Kunst­hal­le stellt sich vor
15. De­zem­ber 2017 — Er­öff­nungs­par­ty
16. & 17. De­zem­ber 2017 — Er­öff­nungs­wo­chen­en­de:
Die Be­su­cher können den Neubau und die neu in­sze­nier­te Samm­lung bei freiem Ein­tritt er­kun­den.
Kunst­hal­le Mann­heim
www.​kuma.​art

Kunsthalle Mannheim

Die Kunst­hal­le Mann­heim zählt mit ihren Spit­zen­wer­ken von Edouard Manet bis Francis Bacon und ihrem Skulp­tu­ren­schwer­punkt zu den re­nom­mier­tes­ten Samm­lun­gen von deut­scher und in­ter­na­tio­na­ler Kunst der Moderne und der Ge­gen­wart. Hoch­ka­rä­ti­ge Son­der­schau­en in­ter­na­tio­na­ler zeit­ge­nös­si­scher Kunst ver­voll­stän­di­gen das Aus­stel­lungs­pro­gramm. Gezeigt werden sie im Kern­ge­bäu­de, dem im­po­san­ten, frisch sa­nier­ten Ju­gend­stil­bau von Hermann Billing aus dem Jahre 1907. Bis 2017 ent­steht au­ßer­dem ein zu­kunfts­wei­sen­der Neubau, der die Aus­stel­lungs­flä­che um rund 1.300 Qua­drat­me­tern er­wei­tert.
AdresseKunsthalle Mannheim // Friedrichplatz 4 // 68165 Mannheim // Tel. 0621 293 6413 // kunsthalle@mannheim.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 10–18 Uhr, Mittwoch 10–20 Uhr, 1. Mittwoch im Monat 18-22 Uhr (freier Eintritt)
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