Straßentheaterfestival Ludwigshafen

Die Spur der Piloten

› Wo kommt denn dieses Kle­be­band her? Viele Pas­san­ten wundern sich, wenn sie in ihrer Stadt die schwar­zen Strei­fen ent­de­cken, die Hervé Thiot auf Straßen, Bänke und Fas­sa­den geklebt hat. Täglich hasten die Men­schen hier vorbei, ohne richtig hin­zu­schau­en, doch das ver­än­der­te Aus­se­hen der ver­trau­ten Orte be­mer­ken sie sofort. Sie bleiben stehen und über­le­gen, was die li­ni­en­för­mi­gen Muster wohl be­deu­ten, die mal einer Skyline, mal dem Grund­riss einer Wohnung ähneln. Für einen Moment sehen sie ihre Stadt mit anderen Augen.

Wenn das pas­siert, haben die „Asphalt Piloten“ ihr Ziel er­reicht. Mit ihrer Per­for­mance „Tape Riot“ wollen die Künst­ler aus dem schwei­ze­ri­schen Biel die Auf­merk­sam­keit von Stadt­be­woh­nern trai­nie­ren und ge­mein­sam mit ihnen den öf­fent­li­chen Raum er­kun­den. Neben dem Künst­ler Hervé Thiot gehören zwei Tän­ze­rin­nen zur Be­set­zung, die akro­ba­ti­sche Be­we­gun­gen in­ner­halb der ge­kleb­ten Vier­ecke vor­füh­ren. Dabei tun sie so, als wären die schwar­zen Kon­tu­ren ein drei­di­men­sio­na­ler Be­stand­teil der städ­ti­schen Ar­chi­tek­tur.

Tape, Tanz und Sound

Auf ihre Arme ge­stützt, schwe­ben sie wie beim Break­dance dicht über dem Boden, klet­tern schein­bar eine Haus­fas­sa­de empor. Oder sie laufen in einem Feld mit aus­ge­streck­ten Armen hin und her, als suchten sie den Ausgang aus einem zu­ge­mau­er­ten Raum. Ein Klang­künst­ler un­ter­malt diesen Tanz, indem er die Ge­räu­sche aus der Um­ge­bung auf­zeich­net und zu pul­sie­ren­den Rhyth­men loo­par­tig ab­spielt. Tape, Tanz und Sound ver­bin­den sich zu einer mobilen Ge­samt­in­stal­la­ti­on, die von ihrer urbanen Kulisse in­spi­riert ist und sie gleich­zei­tig ver­än­dert, während die Vie­rer­grup­pe langsam durch die Stadt zieht.

Im Sommer gehen die Asphalt Piloten mit ihrem Stück erst­mals in Lud­wigs­ha­fen an den Start. Von all den Tanz­kom­pa­ni­en, die beim dies­jäh­ri­gen Stra­ßen­thea­ter­fes­ti­val auf­tre­ten, sind sie die­je­ni­ge, die man am schnells­ten aus­fin­dig machen kann. In­ter­es­sier­te müssen einfach nur der schwar­zen Tape-Spur folgen, dann finden sie die Gruppe viel­leicht schon an der nächs­ten Ecke. Oder sie geben „www.​taperiot.​com“ in ihr Smart­pho­ne ein und lassen sich per Live-Tracking an den ak­tu­el­len Auf­füh­rungs­ort na­vi­gie­ren. Auf der In­ter­net­sei­te sind au­ßer­dem alle frü­he­ren und zu­künf­ti­gen Spiel­stät­ten ver­zeich­net.

Alles ganz locker …

„Unser Stück kann grund­sätz­lich überall statt­fin­den“, sagt Anna An­de­regg, künst­le­ri­sche Lei­te­rin der Asphalt Piloten. Alle Städte von Ko­pen­ha­gen bis Is­tan­bul, in denen „Tape Riot“ seit 2012 auf­ge­führt wurde, hat sie vorher genau unter die Lupe ge­nom­men, um pas­sen­de Spiel­or­te aus­zu­wäh­len. Ar­chi­tek­to­nisch ab­wechs­lungs­rei­che Stre­cken eignen sich am besten, da die Piloten hier be­son­ders viele Fa­cet­ten zeigen können. Zeit­wei­se ver­har­ren die Tänzer für längere Zeit in Stand­bil­dern, dann wieder zappeln sie wild herum. An­de­regg glaubt, dass die leichte Zu­gäng­lich­keit des Stücks der Grund dafür ist, dass es über kul­tu­rel­le Grenzen hinweg so gut ankommt. Die Per­for­mance spricht die Sinne an, ohne sich dem Pu­bli­kum auf­zu­drän­gen. „Wir gehen nicht zu den Leuten und quet­schen uns zwi­schen sie in die Bus­hal­te­stel­le“, sagt An­de­regg. Im Ge­gen­teil, die Zu­schau­er können das kuriose Treiben aus si­che­rer Distanz ver­fol­gen und höchs­tens frei­wil­lig aus ihrer Pri­vat­sphä­re her­aus­tre­ten, um Kontakt mit­ein­an­der auf­zu­neh­men. Alles ganz locker also — wie es zu einem Stra­ßen­thea­ter­fes­ti­val passt.
  • strassentheater ludwigshafen damotus! take air
    Die Schwei­zer Thea­ter­grup­pe DaMotus! prä­sen­tiert das Drei­per­so­nen­stück "Ta­ke-Air".
Eine andere Tanz­kom­pa­nie möchte die Men­schen in Lud­wigs­ha­fen eher zur Aus­ein­an­der­set­zung mit sich selbst anregen: „Da Motus!“ aus Frei­burg im Üecht­land reisen mit einem Drei­per­so­nen­stück zum Fes­ti­val an. Es the­ma­ti­siert den Zu­sam­men­hang zwi­schen Atmung und Kör­per­ge­fühl und steht unter dem mehr­deu­ti­gen Titel „Ta­ke-air“, was aus­ge­spro­chen sowohl „Hol Luft!“ als auch „Pass auf!“ be­deu­ten kann. Um beides geht es den Schwei­zer Per­for­mance­künst­lern, denn wie wir ein- und aus­at­men, hat viel mit Wahr­neh­mung und Selbst­kon­trol­le zu tun. Zwei Frauen und ein Mann de­mons­trie­ren das in einem abs­trak­ten tän­ze­ri­schen Spiel, dem die Fes­ti­val­be­su­cher nicht nur zusehen, sondern auch lau­schen können. Das Atmen der Spieler als be­deu­ten­des akus­ti­sches Element der Auf­füh­rung wird mit Funk­mi­kro­fo­nen ein­ge­fan­gen und über Laut­spre­cher hörbar gemacht.

Tief aus­at­men

„Ta­ke-air“ zeich­net sich durch eine Cho­reo­gra­fie aus, die die Be­we­gun­gen der Per­so­nen auf der Bühne bis in feine Details auf­ein­an­der ab­stimmt. Jeder Tänzer ge­bär­det sich wie ein Bla­se­balg, der die anderen Spieler an­haucht, aus­saugt, um­pus­tet. Einige dieser In­ter­ak­tio­nen sind sanft, andere ag­gres­siv. Das ori­gi­nel­le Be­we­gungs­vo­ka­bu­lar von „Da Motus!“ lässt viele In­ter­pre­ta­tio­nen zu.

„Der heutige Le­bens­rhyth­mus sorgt nicht gerade dafür, dass wir sorgsam mit unserem Atem umgehen“, sagt Antonio Bühler. Der Yoga- und Tanz­leh­rer hat das halb­stün­di­ge Stück ge­mein­sam mit den drei Tänzern ent­wi­ckelt und findet es wichtig, re­gel­mä­ßig „tief aus­zu­at­men“. Wie sich Emo­tio­nen und das all­ge­mei­ne Wohl­be­fin­den auf diese Weise be­ein­flus­sen lassen, ver­deut­licht „Ta­ke-air“, indem die Spieler ver­su­chen, ihr kon­trol­lier­tes Luft­ho­len auf die Zu­schau­er zu über­tra­gen. Je nachdem, ob sie gerade hecheln oder das Atmen für einen Moment aus­set­zen, kann das Pu­bli­kum ver­schie­de­ne Gefühle von Be­klem­mung bis Er­leich­te­rung nach­füh­len.
  • strassentheater ludwigshafen damotus! take air
    In "Ta­ke-air" un­ter­sucht DaMotus! den Zu­sam­men­hang zwi­schen Atmung und Kör­per­ge­fühl.
„Da Motus!“ hoffen, dass die Zu­schau­er in Lud­wigs­ha­fen sich ihres Atmens wieder be­wuss­ter werden und das Gespür für diese innere Kraft­quel­le in ihren Alltag tragen. Die Asphalt Piloten hin­ge­gen wollen in der Stadt am Rhein ihren Abdruck hin­ter­las­sen: das schwar­ze Tape. Vor­aus­ge­setzt, die Be­woh­ner sind ein­ver­stan­den, sollen die schwar­zen Kle­be­strei­fen auf den Fas­sa­den einfach kleben bleiben. So wie in Mar­seil­le, wo das schwar­ze Band in­zwi­schen seit vier Jahre auf der Treppe des Haupt­bahn­hofs haftet und noch immer die Pas­san­ten dazu einlädt, den (acht­lo­sen) Blick auf das All­täg­li­che zu schär­fen und ihre Stadt ganz neu zu be­trach­ten.

Internationales Straßentheater­festival Ludwigshafen

Das Stra­ßen­thea­ter­fes­ti­val prä­sen­tiert jeden Sommer spek­ta­ku­lä­res Open-Air-Thea­ter aus ganz Europa und teil­wei­se aus Übersee. An zwei Tagen und drei Abenden können die Zu­schau­er an ver­schie­de­nen Orten in der Lud­wigs­ha­fe­ner City hautnah die Viel­falt des Thea­ters unter freiem Himmel erleben. Das Spek­trum reicht vom fan­ta­sie­vol­len Walk-Act über Musik-, Tanz- und Fi­gu­ren­thea­ter bis hin zur auf­wen­di­gen Platz­in­sze­nie­rung.
TerminDO 21. bis SA 23. Juli 2016
AdresseStadt Ludwigshafen – Kulturbüro // Bahnhofstraße 30 // 67059 Ludwigshafen // Telefon: 0621 504-2263 // E-Mail: kulturbuero@ludwigshafen.de
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