Enjoy Jazz Festival

Eine gewaltige Kraft

› Zahlreiche Bücher sind in den letzten Jahrzehnten über den Jazz erschienen, historische, soziologische, musikwissenschaftliche Abhandlungen, die in den Verästelungen dieser Musik nach Erkenntnis-Früchten suchen. Vor genau 100 Jahren hat die Original Dixieland Jazz Band in New York die erste Aufnahme des Genres eingespielt. Auch über diese Geburtsstunde durfte man in den letzten Monaten viel Kluges lesen.

Möglicherweise hat aber kaum jemand so schön über den Jazz geschrieben wie einer seiner größten Protagonisten. Es sei nicht nur die Musik, merkte die Saxophon-Legende Sonny Rollins einmal an, sondern auch das Gefühl von Wahrheit und Güte. „Eine Weise, Können zu würdigen und dabei doch Intuition anzuerkennen. Eine Weise, sich darüber klarzuwerden, dass es tatsächlich einen Unterschied zwischen Richtig und Falsch, Wahrheit und Lüge, Gut und Böse gibt. Täuschen wir uns nicht: Der Jazz ist eine gewaltige Kraft für den Frieden und das Verständnis zwischen Nationen und Völkern, und unsere Welt würde ohne ihn ein viel unwirtlicherer Ort sein.“
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In diesen Zeilen steht kurz und knapp, was das Jahrhundert des Jazz auch ist: ein Gegenentwurf zu dem, was der indische Gesellschaftstheoretiker Pankaj Mishra in seinem neuesten Buch das „Zeitalter des Zorns“ nennt — das Gegenbild zu Rassismus, Ausbeutung, Nationalismus, Ungerechtigkeit, Isolationismus. Im Jazz wurden und werden all die Umbrüche der letzten hundert Jahre reflektiert, sie fließen in seine Formensprache ein — gleichzeitig symbolisiert er das Andere, das Offene, das Versöhnende.

Jazz als Utopie

Die Aufgabe eines ernst zu nehmenden Jazzfestivals ist es demzufolge nicht, einfach nur eine Reihe von Künstlern vorzustellen, die gerade ohnehin auf Tournee sind. Es muss vielmehr die Geschichte und die Gegenwart, das Politische und das Wahrhaftige, das Bewahrende und das Avancierte, das Radikale und das Verstörende des Jazz abbilden. Kurz, es muss zeigen, was Jazz von Anfang an war: ein Raum, in dem trotz aller sozialen Verwerfungen durch die Musik neue künstlerische Entwürfe entwickelt werden können und sich verschiedene Stile, Herkünfte, Ethnien miteinander verbinden. Das Zeitalter des Jazz ist nicht mehr und nicht weniger als eine Utopie — ganz im Sinne von Sonny Rollins.

Rund 60 Konzerte in sechs Wochen

Auch Enjoy Jazz ist nunmehr seit 19 Jahren Teil dieser Utopie und schreibt diese aktiv mit. Die den Jazz konstituierende Vielfalt und Vielschichtigkeit spiegelt sich beständig im Programm des Festivals, so auch in diesem Jahr: Zum Auftakt ist die junge amerikanische Sängerin Somi zu Gast, deren Eltern aus Uganda und Ruanda stammen und deren Musik ihre afrikanischen Wurzeln mit vielen anderen Prägungen mixt. Zum Abschluss ehrt die Crème de la Crème des heutigen Gypsy Swing den bedeutenden Django Reinhardt, einen der Innovatoren des europäischen Jazz, der seinerseits wiederum amerikanische Musiker beeinflusste. In den sechs Festivalwochen mit rund 60 Konzerten kann man die unterschiedlichsten zeitgenössischen Linien, Farben, Spielarten, Landschaften des Jazz kennenlernen und damit immer auch einen Teil seiner Geschichte.
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Am diesjährigen Programm des Enjoy Jazz Festivals kann man überdies schnell feststellen, dass Jazz längst zu einer umfassenden und integrierenden Weltsprache geworden ist, mit unterschiedlichen dialektalen Eigenheiten zwar, aber verständlich und offen für jeden. Europa ist beispielsweise vertreten mit Gianluigi Trovesi und Gianni Coscia, Maya Homburger und Barry Guy, Moses Boyd und Mammal Hands; aus Lateinamerika kommen der Prado Jazz Club und Egberto Gismonti, der im Duo mit der Sängerin Maria João zu Gast ist; Richard Bonas Wurzeln liegen in Kamerun, er begibt sich auf die Spuren afrokubanischer Rhythmen; aus Israel stammen Avishai Cohen und Gilad Hekselman, aus Korea Youn Sun Nah; aus den USA Bad Bad Not Good, Gerald Clayton oder Vijay Iyer, Letzterer der Sohn indischer Einwanderer. Ein besonderes Augenmerk gilt auch immer der deutschen Szene: Eric Schäfer, Thomas Lillinger, das Andromeda Mega Express Orchestra oder Roman Schuler werden zu Gast sein — um nur ein paar wenige zu nennen.

Austausch mit der Welt

Stilistisch bildet das Festival-Programm all das ab, was das Jahrhundert des Jazz hervorgebracht hat: Avantgardistische Positionen sind ebenso vertreten wie traditionalistische, Mixturen verschiedener Genres ebenso wie Grenzüberschreitungen hin zur Klassik, zur Elektronik und zu avanciertem Pop. Schwerpunkte bilden die blühende Szene junger Gitarristen sowie soulaffine Bands.

Wer übrigens die Gegenwart und die Zukunft des Jazz erfassen will, muss auch die Vergangenheit im Blick haben. Der Musikjournalist Peter Kemper stellt in einem Vortrag das gewaltige Erbe vor, das John Coltrane hinterlassen hat. Und Coltranes Weggefährte, der große Archie Shepp, der in diesem Jahr seinen 80. Geburtstag feierte, wird bei einer Deutschlandpremiere in einer Koproduktion mit dem Pariser Festival „Jazz a la Villette“ im BASF-Feierabendhaus die spirituellen Wurzeln seiner Musik erkunden.

Man sieht: Jazz vereint alle Zeitformen. Und auch wenn er zurückblickt, kann er sich dem Zeitgenössischen nicht verschließen. Die Sounds des Jetzt, die sozialen, politischen, künstlerischen Motive der Gegenwart nämlich finden im Live-Moment des Spiels immer automatisch Eingang in die Musik, weil Jazz dialogisch funktioniert, im Kontakt mit der ihn umgebenden Welt. Beim Enjoy Jazz Festival wird man das sechs Wochen lang an jedem Abend erleben können. ‹

Enjoy Jazz Festival

Seit seiner Premiere 1999 hat sich Enjoy Jazz zu einem international renommierten Festival und zum größten Jazzfestival Deutschlands entwickelt. Neben Legenden wie Ornette Coleman oder Wayne Shorter präsentiert das „Internationale Festival für Jazz und anderes“ immer auch die Größen der jüngeren Jazzgeneration und spannt den Bogen zu angrenzenden Genres wie Weltmusik, Elektronik, Hip-Hop und Klassik. Komplettiert werden die rund 70 Konzerte durch Workshops, Matineen, Partys und Vorträge.
TerminMO 02. Oktober bis SA 11. November 2017
AdresseEnjoy Jazz GmbH // Bergheimer Straße 153 // 69115 Heidelberg // Tel: 06221 5835850 // E-Mail: info@enjoyjazz.de
SpielorteVerschiedene Orte in und rund um Heidelberg, Mannheim und ­Ludwigshafen
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