Kurpfälzisches Museum Heidelberg

Nackt im Museum

› Sie liegt wie hingegossen da: Die nach dem Vorbild Tizians gemalte „Schlummernde Venus“ präsentiert ihre hüllenlose Schönheit auf einer Chaiselongue aus rotem Samt. Ein unbekannter flämischer oder deutscher Renaissance-Künstler hat sich von einem Gemälde des Venezianers inspirieren lassen. Welch ein Kontrast zu den Bildern von provozierender Unvollkommenheit und Hinfälligkeit in Werken der Moderne und Gegenwart. Was sagen solche Darstellungen über das Verständnis von Weiblichkeit, über Werte und Lebensentwürfe einer Gesellschaft aus? Dr. Dagmar Hirschfelder, Leiterin der Abteilung Gemälde und Grafik im Kurpfälzischen Museum, buchstabiert das spannungsgeladene Sujet des weiblichen Akts systematisch durch — von den Schönheits- und Kunstidealen der Renaissance bis zu den grellen Standpunkten der Netzkünstlerinnen und -künstler von heute, von Albrecht Dürers revolutionären Aktzeichnungen bis zu Cindy Shermans feministischem Ansatz.

Füllige Rubensfiguren und emanzipierte Frauen aus den 1920er-Jahren

Die Ausstellung „Frauenkörper“ spannt mit rund 130 Gemälden, Grafiken, Skulpturen, Fotografien und Videos — viele davon Leihgaben aus renommierten Häusern — einen Bogen über 500 Jahre Kunstgeschichte. Beleuchtet werden sowohl die männlich-voyeuristischen Blicke auf idealisierte Schönheiten der Renaissance, füllige Rubensfiguren oder verführerische, emanzipierte Frauen aus den 1920er-Jahren als auch identitätsbezogene weibliche Positionen. Unter ihnen finden sich Käthe Kollwitz mit ihrer empathischen Kunst, die Körperbewusstseinsbilder von Maria Lassnig, die sich ungeschönt selbst darstellt, Cindy Shermans Dekonstruktionen von Settings aus Porno- und Filmindustrie und die in Pink und Rosé schillernde Mädchenwelt, die Instagram-Aktivistin und Fotomodell Arvida Byström aus Schweden zerlegt.
  • kurpfälzisches museum heidelberg ausstellung frauenkörper Bartholomäus Spranger
    Frauenkörper – die Ausstellung spannt einen weiten historischen Bogen von der Renaissance über den Barock, wie hier Bartholomäus Spranger, bis …
    (Bartholomäus Spranger: Hermaphroditus und die Nymphe Salmacis, um 1581/82, Kunsthistorisches Museum, Wien © KHM-Museumsverband)
  • kurpfälzisches museum heidelberg ausstellung frauenkörper max beckmann
    … zur Moderne, wie Max Beckmanns "Weiblicher Akt mit Hund", und …
    (Max Beckmann: Weiblicher Akt mit Hund, 1927, Öl auf Leinwand, Museum Wiesbaden, Dauerleihgabe des Vereins zur Förderung der bildenden Kunst in Wiesbaden e.V.© Museum Wiesbaden, Foto: Bernd Fickert)
  • kurpfälzisches museum heidelberg ausstellung frauenkörper elvira bach
    … zur zeitgenössischen Kunst, hier Elvira Bachs "Am Anfang war der Apfel", …
    (Elvira Bach: Am Anfang war der Apfel, 1993, Acryl auf Leinwand, Kunststiftung Rainer Wild – Am Anfang war der Apfel © VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto: Matthias Heibel)
  • kurpfälzisches museum heidelberg ausstellung frauenkörper Daniel Firman
    … Daniel Firmans "Justine – 1er mouvement" (2017), und …
    (Daniel Firman: Justine – 1er mouvement, 2017, Gips, Kleidung, Perücke, Schuhe, Privatsammlung © Studio Rémi Villaggi, Courtesy Ceysson & Bénétière)
  • kurpfälzisches museum heidelberg ausstellung frauenkörper arvida
    … Arvida Byströms "Upskirt" (2018).
    (Arvida Byström: Upskirt, 2018, Digitalprint auf Aludibond © Arvida Byström, 2018)
Kuratorin Hirschfelder, selbst Expertin für nordalpine Malerei des Spätmittelalters und der Frühen Neuzeit, ortet immer wieder Bezüge der alten Kunst zur Gegenwart. „Für mich ist es wichtig, Themen zu behandeln, die an die aktuelle Lebenswelt und unsere heutigen Erfahrungen anknüpfen“, erklärt sie. Unsere Sehgewohnheiten seien noch stark geprägt von jahrhundertealten Bildtraditionen. Deshalb gehe es in dieser Schau einerseits darum, Kontinuitäten zu zeigen. Denn Formeln, Bildmuster und Sehweisen, wie sie in Renaissance und Barock aufkamen, beeinflussten noch heute die Bilder von weiblichen Körpern in Kunst und Medien. Andererseits möchte sie den Blick genauso intensiv auf die radikalen Brüche bei der Interpretation von Weiblichkeit lenken.

Der männliche und der weibliche Blick

Auf ikonografische Muster spielt zum Beispiel das Gemälde „Me, a Lurker“ (2020) an. Jenna Gribbon, ein Shooting-Star der US-amerikanischen Kunstszene, bildet darauf drei Frauen beim entspannten Sonnenbad auf einer Wiese ab, eine von ihnen fotografiert. Eine ambivalente Szene, denn zum einen erinnert sie an die Impressionisten und ihre unverkrampften Aktdarstellungen im Freien. Zum anderen bezeichnet „Lurker“ in der Netzsprache einen Internet-Spanner. Der Schatten am vorderen Rand des Gemäldes verweist auf die Künstlerin selbst als heimliche Beobachterin (und Produzentin) der Szene. Zugleich ist dies eine Referenz an die Maler der Frühen Neuzeit, die den männlichen Blick häufig direkt in ihre Werke integrierten wie das bei der in der Heidelberger Präsentation gezeigten Antiope-Darstellung von einem Van-Dyck-Nachfolger der Fall ist. Darauf vergreift sich Jupiter an der Amazone.

Der eigene Körper als Objekt des kreativen Prozesses

Für Hirschfelder war bei der Planung von Anfang an klar: Mit einer chronologischen Aneinanderreihung der Exponate ließe sich das Thema nicht packen. Stattdessen hat sie sechs pointierte Schwerpunkte gesetzt — vom Wandel der Weiblichkeitsideale bis zu unseren heutigen Körperdebatten. Neue Impulse für die Aktdarstellung gingen zu Beginn des 20. Jahrhunderts von Künstlerinnen aus.
  • Félix Vallotton: Liegende Frau vor violettem Grund, 1924, Kunsthalle Bremen © Kunsthalle Bremen, Foto: Lars Lohrisch – ARTOTHEK
  • Tizian-Nachfolge: Schlummernde Venus, 1580/1600, Öl auf Leinwand, Hessisches Landesmuseum Darmstadt © HLMD, Foto: Wolfgang Fuhrmannek
  • Annegret Soltau: Transgenerativ – Mutter / Tochter / Vater / Sohn (59), 2002/2008, Fotovernähung, Besitz der Künstlerin © VG Bild-Kunst, Bonn 2021
Der Zugang zu den Akademien blieb ihnen nicht länger verwehrt. Sie wurden in der Kunstszene präsenter und reflektierten die weibliche Identität in ihren Werken. Künstlerinnen wie die kubanisch-amerikanische Performance-Künstlerin Ana Maria Mendieta oder die Body-Art-Künstlerin Orlan machen ihren eigenen Körper zum Gegenstand des kreativen Prozesses und konterkarieren damit gesellschaftliche Erwartungen. Beide sind in der Schau vertreten.

Doch die Ausstellung beschreibt nicht nur den Wandel der Aktdarstellung, sie bietet darüber hinaus eine ganze Reihe großer Namen: neben den bereits erwähnten Albrecht Dürer, Rembrandt, Käthe Kollwitz, Maria Lassnig und Cindy Sherman auch Gustav Klimt, Annegret Soltau, Max Beckmann oder Otto Dix, um nur einige zu nennen. ‹


Frauenkörper — Der Blick auf das Weibliche von Albrecht Dürer bis Cindy Sherman
24. Oktober 2021 bis 20. Februar 2022
Kurpfälzisches Museum Heidelberg
www.museum.heidelberg.de
Bildnachweis:
Jenna Gribbon: Me, a Lurker, 2020, Öl auf Leinwand, Privatsammlung, Deutschland
© VG Bild-Kunst, Bonn 2021, Foto: Ludger Paffrath (Aufmacher) / Tizian-Nachfolge: Schlummernde Venus, 1580/1600, Öl auf Leinwand, Hessisches Landesmuseum Darmstadt
© HLMD, Foto: Wolfgang Fuhrmannek

Kurpfälzisches Museum

Kunst und Kultur in der Heidelberger Altstadt bietet das Kurpfälzische Museum. Mit seinen vielfältigen Beständen und deren Schwerpunkten Archäologie, Gemälde und Grafiik, Kunsthandwerk und Stadtgeschichte lädt es zu einer faszinierenden Entdeckungsreise ein, von den ersten Siedlungsspuren im Rhein-Neckar-Raum bis zu Werken der Klassischen Moderne von Beckmann, Slevogt und Corinth. Die kostbaren Bestände des Kunsthandwerks — Silber, Porzellan und Möbel — können im historischen Palais Morass bewundert werden, der „Windsheimer Zwölfbotenaltar“ von Tilman Riemenschneider in einer Sonderpräsentation.
AdresseKurpfälzisches Museum // Hauptstraße 97 // 69117 Heidelberg // Telefon: 06221 58–34020 // E-Mail: kurpfaelzischesmuseum@heidelberg.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag 10–18 Uhr
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