Reiss-Engelhorn-Museen

„Wir forschen von der Pike auf“

> Herr Professor Wieczorek, bei versunkener Geschichte denken wir schnell an die Mythen von Atlantis oder Vineta. Birgt auch unsere Gegend an Rhein und Neckar besondere Geheimnisse?

Durchaus, wir haben es hier in der Region mit einer Veränderung der Landschaft zu tun, die viel stärker war, als wir uns das heute vorstellen können. Rhein und Neckar waren damals nicht die breiten, relativ geradlinigen Wasserstraßen, die sie heute sind. Vielmehr gab es ein unglaubliches Gewirr von verschiedenen Wasserläufen, die heute alle in das Bett von Rhein und Neckar gezwängt sind. Auch waren die Berge in Pfalz und Odenwald am Ende des Mittelalters und in der frühen Neuzeit weitestgehend unbewaldet.

Wie haben die Menschen damals dort gelebt?

In Bronze- und Eisenzeit haben die Menschen nahe dem Wasser gelebt — ähnlich wie die Menschen auf ihren Pfahlbauten am Bodensee oder in den Schweizer Seenreichen. Später haben sie sich auf die Dünenkämme verlegt, in vor dem Hochwasser vermeintlich sichere Zonen. Seit der römischen Zeit entstanden dann in der Rheinebene feste Bauten. Wobei auch in den Zeiten davor festere Bauten und Befestigungen auf den Bergen sowohl in der Pfalz als auch im Odenwald vorhanden waren. Dies alles ist für unsere Verhältnisse total versunken. In der Ausstellung präsentieren Sie nicht nur Funde.
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    Der Waldelefant lebte während der Warmzeiten auch nördlich der Alpen.
Wie bringen Sie Ihren Besuchern die Lebensweise der Vorfahren nahe?

Wir versuchen, die Exponate in ihren Kontext zu stellen und diesen möglichst anregend zu präsentieren. Das heißt, wir arbeiten szenisch, sodass sich die Vorstellungswelt daran weiterentwickeln kann. In praktisch allen Bereichen der Ausstellung — von der Steinzeit bis ins Mittelalter — liegt zum Beispiel auf dem Thema Behausung ein Schwerpunkt.

Wie sieht das konkret aus?

Für die Römerzeit haben wir uns auf die Grabungen unseres Hauses in den 1960er-Jahren in Oftersheim, einem Ort in der Nähe von Schwetzingen, konzentriert. Dort stand eine sehr prunkvoll ausgestattete Villa mit einem großen Schatz an Wandmalereien. So etwas hatten wir in Pompeji und in den großen Städten vermutet, nicht aber bei uns. Das ist nicht die übliche „Raufasertapete“ der Römer gewesen. Diese prächtig ausgemalten Räume haben wir rekonstruieren können.
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    Auch junge Besucher sind von diesem Viergötterstein aus römischer Zeit fasziniert.
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    Aufwendige Inszenierung: In der Ausstellung „Versunkene Geschichte“ können die Besucher einen Grabhügel aus der Hallstattzeit erkunden.
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    Funde mit geheimnisvoller Vergangenheit: Eine Zeittafel erklärt, aus welcher Epoche sie stammen.
Ihre archäologischen Ausstellungen haben enormen Zulauf. Haben Sie ein Erfolgsgeheimnis?

Ich denke, es ist das Anschauliche, aber auch die Qualität. Unseren Ausstellungen geht eine lange Phase wissenschaftlicher Orientierung voraus. Sie sind erst fertig, wenn wir einen neuen Stand erreicht haben — und das mit hochkarätigen und qualitätvollen Exponaten. Glücklicherweise haben wir die Chance, fantastisches Material aus aller Welt zu bekommen und können so stets und ständig außergewöhnliche Ausstellungen präsentieren.

Die Tradition der Archäologie geht in Mannheim bis auf Kurfürst Carl Theodor zurück und wird bei Ihnen von der Abteilung „Archäologische Denkmalpflege“ weitergeführt. Inwieweit sind deren Projekte in der Ausstellung präsent?

Man kann sagen, dass wir in der Ausstellung zu 50 Prozent komplett neues Material präsentieren, das vorher nicht zu sehen war. Wir haben das große Glück, dass wir zu den Museen gehören, die von der Pike auf archäologisch forschen — also vom Ausgraben bis zum Ausstellen. Gerade erst hat unser Chefarchäologe Klaus Wirth die immer vermutete, aber nie nachgewiesene Bebauung des alten Dorfes Mannheim am Schloss gefunden. Das ist eine Sensation.
  • alfried wieczorek direktor archäologie reiss engelhorn museen mannheim
    Professor Alfried Wieczorek ist seit 1999 leitender Direktor und seit 2009 General­direktor der Reiss-Engelhorn-Museen.
Der Rhein-Neckar-Raum ist ein altes Siedlungsgebiet, das gut erforscht ist. Kann man hier in Zukunft noch große Entdeckungen machen?

Das ist ja das Verrückte, dass wir erst einen Bruchteil dem Boden entnommen haben. Ständig gewinnen wir nicht nur auf Mannheimer Gebiet, sondern auch in der Region unglaubliche neue Erkenntnisse. Ilvesheim etwa hat uns für das Ende des römischen Reiches und den Übergang zu germanisch geführten Territorien ganz wesentliche Erkenntnisse gebracht über eine Besiedelung des vierten und fünften Jahrhunderts, die in dieser Qualität davor nicht zu finden war.

Man stellt sich einen Archäologen als Detektiv vor. Was ist für Sie der Reiz an diesem Beruf?

Man muss akribisch sein, um eine komplette Geschichte erzählen zu können. Da ist man von den Kriminalisten nicht weit entfernt. Als Kriminologe möchte man am liebsten das Blut am Messer haben, wenn jemand ermordet wurde. Genauso ist es letztlich in der Archäologie: Wir wollen auch diese Spuren haben, um sagen zu können, wie etwas passiert ist. Das macht den Reiz aus. <

Versunkene Geschichte. Archäologie an Rhein und Neckar
28. Februar 2016 bis 30. Juli 2017
Reiss-Engelhorn-Museen, Museum Weltkulturen D5, Mannheim
Dienstag bis Sonntag (auch an Feiertagen) 11–18 Uhr

Reiss-Engelhorn-Museen

Die Reiss-Engelhorn-Museen sind ein international agierender Museumsverbund mit vier Ausstellungshäusern im Herzen Mannheims. Ihr breites Sammlungsspektrum und ihre Sonderausstellungen vermitteln kulturgeschichtliche Vergangenheit und Gegenwart. Außerdem werden drei Forschungseinrichtungen betrieben. Mit all diesen Aktivitäten haben sich die Reiss-Engelhorn-Museen weit über die Region hinaus einen Namen gemacht.
AdresseReiss-Engelhorn-Museen // Museum Weltkulturen D5 // 68159 Mannheim // Telefon: 0621 2933150 // E-Mail: reiss-engelhorn-museen@​mannheim.de
ÖffnungszeitenDienstag bis Sonntag (auch an Feiertagen) 11–18 Uhr
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