> „Ein schottisches Lied ist jederzeit von einem französischen, und beyde von einem italiänischen oder deutschen, so wie jedes von dem gemeinsamen Volke gesungen wird, merklich verschieden.“ Selbst 1783, als in einem Musiklexikon dieser Satz veröffentlicht wurde, mag die Erkenntnis nicht gerade sensationell gewesen sein: Die Lieder der verschiedenen — in diesem Falle — europäischen Völker sind verschieden. Schwieriger wird es jedoch bei der Frage, worin die Unterschiede zwischen diesen Liedtraditionen liegen. Sind es die Rhythmen, Harmonien oder bestimmte Timbres, die ein französisches von einem italienischen oder schwedischen Volkslied unterscheiden? Was genau macht den Reichtum der europäischen Musikstile aus?Unterwegs mit dem Trio MediaevalDie Schwerpunkt-Reihe „Klangraum Europa“, die nun mit dem Norden in ihr viertes und letztes Jahr geht, spürt genau diesen Fragen nach und macht sie sinnlich erfahrbar. Die musikalische Reise führt zum Beispiel mit dem Trio Mediaeval in die faszinierende Klangwelt des norwegischen Mittelalters mit ihren betörend schönen Volksweisen, die häufig durch Bordun-Klänge geprägt sind. Unter Bordun versteht man einen Halteton oder eine Gruppe von Haltetönen, die als stehende Klänge eine Melodie als Stütze begleiten. Das Trio spielt dabei auf traditionellen Instrumenten wie der Hardangerfiedel, einer kastenförmigen Violine, die im Süden Norwegens vor allem in der Volksmusik verwendet wird, und anderen Bordun-Instrumenten. Durch eigene, mit leichter Hand vorgenommene Arrangements transponieren die drei Damen aus Norwegen diese Werke auch in die heutige Zeit.
Ebenfalls erfrischend unbekümmert geht das Vokalensemble Rajaton aus Finnland mit dem musikalischen Erbe seiner Heimat um. Sein Markenzeichen ist die musikalische Grenzüberschreitung, das sogenannte „Genre-Crossing“. In den Programmen der sechs Sängerinnen und Sänger wird das Alte mit dem Neuen kombiniert und auch der Popmusik eine gelegentliche Visite abgestattet. Heiße Musik aus dem Norden — quasi eine „musikalische Sauna“! Junge WildeNordeuropäische Musiker beschreiten unkonventionelle Wege, wenn es darum geht, Klassisches und Traditionelles zu Gehör zu bringen. Wie ungewöhnlich man in Skandinavien auch der Hochklassik begegnet, ist in den Kammerkonzerten zu erleben. Da wären zum Beispiel die vier „jungen Wilden“ des Danish String Quartet, die mit Augenzwinkern und unbändigem Temperament die Klassik-Szene gehörig aufmischen. Und selbstverständlich lässt das Spiel der vier in puncto Perfektion und Raffinement keine Wünsche offen. Spannend sind auch die ganz neuen Töne einer außergewöhnlichen Frau: Kaija Saariaho. Zwar lebt die prominente und mit zahlreichen Preisen ausgezeichnete Komponistin seit Langem in Paris, aber ihren finnischen Wurzeln spürt sie in ihrem Schaffen immer wieder nach. An einem dreiteiligen Abend bei den Schwetzinger SWR Festspielen ist sie selbst mit ihren Kompositionen intensiv zu erleben.
Bach im FokusNeben der Musik Nordeuropas zieht sich das Werk Johann Sebastian Bachs wie ein roter Faden durch das diesjährige Programm der Festspiele. Das kompositorische Schaffen des Thomaskantors ist so überragend und unbegreiflich, dass selbst Schwetzingen nur einzelne Akzente setzen kann. Der Fokus liegt in diesem Fall auf den ausübenden Musikern, die allesamt als außerordentliche Bach-Interpreten hervorgetreten sind: Jean-Guihen Queyras mit den Cello-Suiten, Isabelle Faust und Kristian Bezuidenhout mit den Violinsonaten, Cantus Cölln mit den „Lutherischen Messen“, Collegium 1704 mit den Motetten, La Cetra Barockorchester Basel mit den Brandenburgischen Konzerten und der Pianist Evgeni Koroliov, der als 17-Jähriger zum ersten Mal das gesamte „Wohltemperierte Klavier“ gespielt hat, mit den Goldberg-Variationen. Diese Konzert-Reihe verspricht magische Momente und vielleicht auch mystische Erfahrungen, wie man sie nur mit der Musik Johann Sebastian Bachs machen kann.Überhaupt, die Pianisten: Grigory Sokolov, Maria João Pires und Sir András Schiff, sie alle besetzen den heutigen Olymp des Klavierspiels. „Wer zählt die Künstler, nennt die Namen, die alle hier zusammenkamen?“ Man darf getrost das bekannte Schiller- Wort ein wenig abwandeln, um das Programm der diesjährigen Schwetzinger SWR Festspiele zu um- reißen. Die Wahl fällt zweifellos schwer — großartige Hörerlebnisse sind aber auf jeden Fall garantiert.
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Schwetzinger SWR Festspiele
Die Schwetzinger SWR Festspiele sind seit 1952 ein internationales Festival der klassischen Musik. Jährlich präsentieren sie im Frühjahr in den historischen Räumlichkeiten des Schwetzinger Schlosses über 50 Konzerte. Ihre Veranstaltungen werden vom Rundfunk begleitet und weltweit gesendet. Neben zahlreichen Konzerten umfasst das Programm auch Oper und Musiktheater, Klanginstallationen und viele SWR Kultur Sendungen vor Ort. Im Auftrag der Festspiele entsteht jedes Jahr eine Musiktheaterproduktion, mit deren Uraufführung die Saison festlich eröffnet wird.
TerminFR 29. April bis SA 04. Juni 2016
AdresseSchwetzinger SWR Festspiele gGmbH // Hans-Bredow-Straße // 76530 Baden-Baden //Kartentelefon: 07221 300200
SpielorteSchwetzinger Schloss, Dom zu Speyer und Dreifaltigkeitskirche, Speyer
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