› Loreley, Hagen, Siegfried und die Nibelungen — der Rhein übt offenbar eine starke Anziehungskraft auf sagenumwobene Gestalten aus. In den Legenden ist sein Wasser mal ein Jungbrunnen, mal ein Ort der Verwandlung. Die einen finden ihr Schicksal in den Fluten, andere verstecken ihre Schätze darin. Wo, wenn nicht in Ludwigshafen, der selbsternannten „Stadt am Rhein“, muss man also damit rechnen, plötzlich einigen dieser merkwürdigen Wassergestalten zu begegnen? In diesem Sommer braucht man gar nicht erst lange das Ufer nach ihnen abzusuchen. Während des Internationalen Straßentheaterfestivals treiben sie sich nämlich praktischerweise mitten in der Innenstadt herum.Halb Wassergöttin, halb KröteVerantwortlich für das aufwendige Schauspiel ist das Theater Anu aus Berlin. Fünf Künstler werden den Ludwigshafener Europaplatz an den Abenden des 21. und 22. Juli 2017 mit einem märchenhaft-irrealen Stück über die mythische Kraft des Wassers bespielen. Die Inszenierung greift Motive aus dem „Froschkönig“ und anderen literarischen Texten mit ausgeprägter Wassersymbolik auf und überführt sie in fantasievolle neue Bilder. In einer Szene ist eine Wassergöttin zu sehen, die der Sagengestalt Undine ähnelt, aber auch etwas mit der garstigen Kröte aus dem Märchen der Brüder Grimm zu tun hat. Das Halbwesen in Menschengestalt bewacht eine Quelle und kommt dabei in den Besitz einer Silberkugel. Kaum hat die schöne Frau darin ihr Spiegelbild erblickt, verwandelt sie sich in ein Amphibium.Wassergöttin, Königssohn und nackte NympheFließende Übergänge zwischen Figuren, Räumen und Bedeutungen finden sich in der Theaterinstallation „Wasser. Mythen. Mensch.“ überall. Jede der fünf zeitgleich vorgeführten Performances dauert eine knappe Viertelstunde und wird ab Einbruch der Dämmerung loopartig wiederholt. „Die Nacht macht es leichter, sich der Inszenierung zu öffnen“, sagt Bille Behr, Spielleiterin beim Theater Anu. Mit ihrer Gruppe zeigt sie sich nicht nur häufig in der Dunkelheit, sondern vorzugsweise auch im Freien. Hier können die Gedanken der Zuschauer weiter schweifen als in einem herkömmlichen Theatersaal. Das ist wichtig, denn es braucht die eigene Fantasie, um sich auf die Zusammenhänge der surrealen Inszenierung einen Reim zu machen. Neben der Wassergöttin sind unter anderem ein Königssohn, eine Tänzerin und eine nackte Nymphe zu sehen.
Die im Detail manchmal rätselhafte „Mosaikdramaturgie“ bedeutet freilich nicht, dass die Aufführung besonders abstrakt oder schwierig wäre. Schon die spektakulären Bauten des Szenografen Martin Thoms schaffen einen intuitiven Zugang zum Geschehen. Für den Auftritt in Ludwigshafen wird das Theater Anu hunderte Wassergläser zu einer Mauer aufeinandertürmen, eine breite Projektionsleinwand aufspannen und den Europaplatz mit weißen Baldachinen verhüllen. Die Zuschauer sind eingeladen, ein Labyrinth aus leuchtenden Wasserbeuteln zu durchschreiten, von dem sie an den einzelnen Spielszenen vorbeigeführt werden. Das von der schneckenartigen Bepflasterung des Platzes inspirierte Szenenbild verknüpft das Ereignis direkt mit dem Aufführungsort.„Theater der Begegnung“Auch die Menschen aus der Umgebung will die Darbietung der Anu-Spieler miteinbeziehen — ohne sich ihnen aufzudrängen. „Wir machen alles, nur kein Mitmachtheater“, betont Bille Behr. Im Jargon des von ihr und ihrem Mann Stefan geleiteten Teams ist eher die Rede vom „Theater der Begegnung“. Die Schauspieler gehen auf das Publikum zu und ermutigen die Besucher, das eigene Nähe- oder Distanzgefühl zum Spiel zu hinterfragen und durch Standortwechsel zu verändern. Bei früheren Auftritten in Ludwigshafen haben die Künstler bereits erlebt, dass die Bewohner der Stadt am Rhein begeisterungsfähig sind — sowohl beim Kultursommer als auch beim Straßentheaterfestival, bei dem sie vor acht Jahren schon einmal dabei waren. An das begehbare Lichtermeer aus 3.500 Kerzen auf dem Hans-Klüber-Platz dürften sich viele noch erinnern. Das Land der schönen Poesie„Wir versuchen immer, atmosphärische Räume zu schaffen“, erzählt Behr. In der kreativen Auseinandersetzung mit dem Element des Wassers drängt sich dieses Bild geradezu auf. Wenn der in kühlen Eisfarben ausgeleuchtete Aufführungsraum im Juli von den surrealen Klängen und den gesprochenen Worten des Stücks leise widerhallt, wird das in den Ohren der Besucher wie ein Rauschen oder Plätschern klingen und gerade im Hochsommer seine Wirkung nicht verfehlen. Wie heißt es doch in einem alten Gedicht über den Rhein? Wo die Wirklichkeit sich zum Märchenzauber fügt, dort ist das Land der schönen Poesie. Und in diesem Jahr ist dieses Land auf dem Europaplatz in Ludwigshafen, zumindest für zwei Abende im Juli. ‹
Wasser. Mythen. Mensch.
21. & 22. Juli 2017, ca. 22 Uhr,
Europaplatz, Ludwigshafen
Wasser. Mythen. Mensch.
21. & 22. Juli 2017, ca. 22 Uhr,
Europaplatz, Ludwigshafen
Internationales Straßentheaterfestival Ludwigshafen
Das Straßentheaterfestival präsentiert jeden Sommer spektakuläres Open-Air-Theater aus ganz Europa und teilweise aus Übersee. An zwei Tagen und drei Abenden können die Zuschauer an verschiedenen Orten in der Ludwigshafener City hautnah die Vielfalt des Theaters unter freiem Himmel erleben. Das Spektrum reicht vom fantasievollen Walk-Act über Musik-, Tanz- und Figurentheater bis hin zur aufwendigen Platzinszenierung.
TerminDO 20. bis SO 23. Juli 2017
AdresseStadt Ludwigshafen – Kulturbüro // Bahnhofstraße 30 // 67059 Ludwigshafen // Telefon: 0621 504-2263 // E-Mail: kulturbuero@ludwigshafen.de
Infoswww.ludwigshafen.de