Denkfest 2025

„Wir feiern ein Fest des freien Denkens“

› Christian, das diesjährige Denkfest steht unter dem Motto der Freiheit, das Konzept trägt den Arbeitstitel „Ethik der Ambivalenz“. Was können wir uns darunter vorstellen?
Er steht für die Idee, dass Freiheit und Demokratie immer auch bedeuten, Mehrdeutigkeiten, Pluralität und Spannungen produktiv neu zu verhandeln — ohne vorschnelle Urteile, sondern mit der Bereitschaft zur Verständigung. Dafür steht der Begriff der Ambivalenz. Und der Begriff der Ethik macht deutlich, dass es uns nicht um Moral, die ja eher normativ verhan-delt wird, sondern um den performativen Charakter des offenen Denkens und Nachdenkens geht. Wir sagen nicht, dass wir Antworten haben, sondern wir wollen das Denkfest durch bestimmte Gesprächsformate als Akt der Demokratie gestalten: Man streitet über Positionen und Vorstellungen, um im Idealfall unterschiedliche Ansichten miteinander zu versöhnen — oder sie einfach nur zuzulassen.

Und diese Ambivalenz siehst du im heutigen öffentlichen Diskurs in Gefahr?
Ja, durchaus, und zwar von mehreren Seiten. Zum einen natürlich von der extrem rechten und manchmal auch rechtsextremen Seite, die versucht, einen Regress zu installieren. Das kann man in Österreich sehen, in den Niederlanden, Italien, in der Slowakei und aktuell in den USA, aber auch bei der AfD gibt es die Versuche, Freiheit einzuschränken und die Akteure im Kultur- und Wissenschaftsbetrieb zu maßregeln, zu gängeln, mit Framing und Nudging zu arbeiten, also sie in eine bestimmte Richtung bringen zu wollen.

Und was ist die andere Seite?
Dort gibt es das Phänomen des „Wokeismus“, also der von aus der linken Ideologie kommende Versuch, Normalität anders zu definieren als bisher und bestimmte Traditionslinien aufzubrechen, was ich prinzipiell legitim finde. Meiner Wahrnehmung nach kann dieser Versuch jedoch zu einer autoritären Haltung führen, die vorschreiben möchte, wie man „richtig“ zu denken, zu sprechen, sich zu verhalten hat. Das ist dann tatsächlich eine Verletzung der Freiheit. Die Ideen der Pluralität und Diversität werden ja auch insofern eingeschränkt, als man sie nicht vollständig zur Geltung kommen lässt.

Wie würdest du dann die Freiheit, die programmatisch über dem Denkfest steht, definieren?
Für mich ist es wichtig, dass wir versuchen, unabhängig und ergebnisoffen über soziale und kulturelle Entwicklungen nachzudenken. Wir wollen den Begriff der Freiheit von Vorbedingungen befreien und versuchen, Fragen zu stellen: Wie gehen wir eigentlich mit gesellschaftlichen Wandlungsprozessen um, wie mit extremen Kräften jeglicher Art, die die Freiheit einschränken wollen? Sollen wir die, denen wir Ausgrenzung vorwerfen, selbst ausgrenzen? Das sind alles Dinge, die aus meiner Sicht offen und unvoreingenommen thematisiert werden müssen.

Lass uns nochmal konkret auf das Denkfest zurückkommen. Ihr seid gerade mitten in der Planung — gibt es schon Vorstellungen davon, was ihr machen werdet?
Ja, inhaltlich haben wir uns auf mehrere Leitmotive verständigt, die das Denkfest strukturieren sollen. Unter anderem geht es um die Frage, was wir überhaupt unter „Freiheit“ wie auch unter „Kultur“ verstehen — was ja Auswirkungen auf die konkrete Kulturpolitik hat, gerade auf lokaler Ebene. Uns interessiert, inwiefern geschlossene Identitätskonzepte eine Bedrohung für Freiheit darstellen können. Ich persönlich zum Beispiel bin sehr skeptisch gegenüber dem Begriff der Identität, weil er ein statisches Selbstbild oder eine Essenz suggeriert. Viel sinnvoller erscheint mir, Identifikation als etwas Prozesshaftes und Fluides zu begreifen, das sich immer wieder aufs Neue hervorbringt und begründet.

Habt ihr schon Formate entwickelt?
Wir haben eine Reihe von Ideen entwickelt, die unterschiedliche Zugänge ermöglichen. So soll es eine „Statement-Gala“ geben, bei der verschiedene Redner auf der Bühne jeweils kurze Impulse geben. Dann planen wir eine „Interventionskaskade“, bei der auf genau dreiminütige Beiträge in dreiminütigen Repliken geantwortet wird. Es geht also darum, spontan und respektvoll auf die soeben entwickelte These oder Position zu reagieren und deren Gedanken aufzunehmen und zu transformieren. Ein weiteres Format sind sogenannte „Tête-à-Tête-Talks“, bei denen zwei möglichst kontrovers denkende Köpfe ohne Moderation ein selbstständiges Gespräch miteinander hervorbringen. Wir planen sogenannte „Deep Dives“, um einzelne Positionen gezielt zu vertiefen. Und wir wollen unsere Version einer „Speakers’ Corner“ einrichten: ein offenes Rednerpult, an dem alle Teilnehmer*innen des Denkfests sich zu Wort melden können — spontan, in der Länge eines brennenden Streichholzes. Jede*r kann sprechen, widersprechen, anregen.

Gibt es auch wieder Gäste von außerhalb der Region?
Unbedingt! Für unser Format „Deep Dive“, das sich besonders an Akteur*innen aus der kulturellen Praxis richtet, würden wir gerne Intendant*innen, Kurator*innen oder Festivalmacher*innen aus Ländern wie Ungarn, Polen oder der Slowakei eingeladen, die bereits erleben mussten, was passiert, wenn Kulturpolitik unter autoritäre oder nationalpopulistische Vorzeichen gerät. Hier geht es um Erfahrungsberichte und den Austausch über den Umgang damit, wenn Kultur plötzlich nicht mehr frei ist. Und dann gibt es noch das Format „MAZ ab“, mit dem wir mehrere vorab aufgezeichnete Interviews auf der Leinwand abspielen.

Was wünschst du dir für das diesjährige Denkfest?
Ich würde mir wünschen, dass es seinem wunderbaren Namen gerecht wird und wir zwei Tage lang das Denken feiern. Voltaire wird das Zitat zugeschrieben: „Ich bin zwar anderer Meinung als Sie, aber ich würde mein Leben dafür geben, dass Sie Ihre Meinung frei aussprechen dürfen.“ Freies Denken und wahre Toleranz sind erst gegeben, wenn ich Positionen und Haltungen anerkennen und vielleicht sogar wertschätzen kann, gerade weil ich sie nicht teile. Und schließlich heißt Denken ja auch, sich selber zu hinterfragen und sich zu korrigieren. Und das zu einem Festakt zu machen, gerade in diesen schwierigen Zeiten, das ist der Gedanke, der mir vorschwebt — ein Fest des freien Denkens! ‹


Denkfest 2025 — Freiheit wagen
08. & 09. Oktober 2025
Altes Kaufhaus, Landau
denkfest-rhein-neckar.de

  • kulturbüro metropolregion rhein neckar denkfest christian schüle
    Foto: Markus Röleke
Christian Schüle, geboren 1970 in Friedrichshafen am Bodensee, studierte Philosophie, Soziologie und Politische Wissenschaften in München und Wien. Er war Redakteur und Reporter der Wochenzeitung DIE ZEIT, schrieb und schreibt unter anderem für GEO, National Geographic, mare und die Kulturredaktionen des ARD-Hörfunks. Er leitete Thinktanks in Berlin und lebt als freischaffender Autor und Vortragsredner in Hamburg. Seine Romane, Essays und Sachbücher beschäftigen sich mit gesellschaftlichen Wandlungsprozessen und dem ständigen Ringen des Individuums um Freiheit. Regelmäßig nimmt er in Fernseh- und Radiointerviews wie auch als Politischer Essayist im Bayerischen Rundfunk wie auf Deutschlandfunk Kultur zu politischen und kulturellen Entwicklungen Stellung. Seit 2015 hat er einen Lehrauftrag für Kulturwissenschaft an der Universität der Künste in Berlin.
Bildnachweis:
Thomas Wolf (Illustrationen)

Denkfest

Das Denkfest ist eine alle zwei Jahre stattfindende gemeinsame Veranstaltung des Kulturbüros, der Festivals und der Museen und Schlösser der Region Rhein-Neckar. Es vernetzt die regionale Kulturszene und gibt Impulse für neue Kooperationen. Mit dem Denkfest fördert das Kulturbüro seit 2011 den regionalen Austausch von Ideen und etabliert die Rhein-Neckar Region gleichzeitig überregional als Kreativschmiede.
TerminMI 08. bis DO 09. Oktober 2025
AdresseDenkfest // c/o Kulturbüro der Metropolregion Rhein-Neckar // M 1, 4-5 // 68161 Mannheim // Telefon: 0621 10708410 // E-Mail: kulturbüroh@m-r-n.com
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